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Debatte WirtschaftstheorieDie Fehler der Keynesianer

Kommentar von Stephan Schulmeister

Unter den Volkswirten herrscht Krieg. Die Neoliberalen haben bisher gewonnen, weil die Keynesianer zentrale Themen lange ignorierten.

Geld allein kann nicht erklären, warum die Neoliberalen in der Ökonomie so mächtig sind. Bild: dpa

E uropa hat in zehn Jahren drei schwere Finanzkrisen erlebt – und dennoch regiert noch immer das neoliberale Paradigma, das im Kern behauptet, Märkte seien perfekt. Sie würden immer zum Gleichgewicht tendieren, weswegen der Staat nicht eingreifen dürfe. Wie kann so viel Blindheit sein?

Die Ökonomie ist eine tückische Wissenschaft: Ihre Theorien verändern ihr Objekt, die wirtschaftliche Realität – im Gegensatz zu den Naturwissenschaften. Die neoliberale Theorie ist dafür ein gutes Beispiel: Sie verteilt Einkommen, Vermögen und Macht von unten nach oben und macht die Reichen noch reicher.

In der Ökonomie vermengen sich daher Erkenntnis und Interesse, Einsicht und Rechtfertigung. Umso bemühter sind Ökonomen, den Schein objektiver Naturwissenschaftlichkeit zu erhalten. Dies zeigt sich krass bei den Nobelpreisen: Ausgezeichnet werden am liebsten Theorien, die durch originelle Konstruktion und mathematische Abstraktion unkenntlich machen, dass sie in die gesellschaftlichen Verteilungskämpfe eingreifen.

Stephan Schulmeister

Stephan Schulmeister ist Wirtschaftsforscher und Universitätslektor in Wien. Letztes Buch: „Mitten in der großen Krise. Ein ,New Deal' für Europa“ (Picus Verlag, Wien 2010).

Die Theoriebildung ist daher auch ein Krieg um Vorherrschaft – an den Universitäten, in den Medien und in der Politik. Für Vermögende lohnt es sich, in die Theorieproduktion zu investieren und etwa Thinktanks, Lehrstühle und Studien zu finanzieren.

Die falsche „Phillips-Kurve“

Doch obwohl die Neoliberalen über viel Geld verfügen, kann Geld allein nicht erklären, warum sie in der Ökonomie eine derartige Hegemonie erreichen konnten. Es kamen auch Fehler der Keynesianer hinzu.

Zu ihren Irrtümern gehört die sogenannte „Phillips-Kurve“. Der britische Ökonom Phillips hatte beobachtet, dass geringe Arbeitslosigkeit mit höherer Inflation einhergeht. Dies allein ist noch keine sensationelle Erkenntnis: Bei Vollbeschäftigung sind die Gewerkschaften stark und können hohe Löhne durchsetzen, was wiederum die Preise steigen lässt. Doch später interpretierten die Keynesianer dies auch in umgekehrter Richtung und erweckten den Eindruck, dass man mit höherer Inflation Vollbeschäftigung schaffen könne. Damit produzierten die Keynesianer die größte Schwachstelle in ihrer „Theoriefront“.

Denn genau auf die Phillips-Kurve konzentrierte sich die Offensive der Neoliberalen: Ab 1971 brach die Weltwährungsordnung von Bretton Woods auseinander, und der Dollar verlor in zwei Schüben 50 Prozent seines Wertes, worauf die Opec wiederum mit zwei Ölpreisschocks reagierte. Dies löste zwei Rezessionen und eine starke Inflation aus. Damit waren die Keynesianer erledigt: Arbeitslosigkeit und Inflation stiegen gleichzeitig, und mit dieser „Stagflation“ schien ihre gesamte Theorie widerlegt. (Gleichzeitig wurde übersehen, dass die Neoliberalen die eigentlichen Auslöser der Krise waren, weil sie stets gefordert hatten, die Wechselkurse freizugeben.)

Finanzmärkte nicht erforscht

Hinzu kommt ein weiterer Grund: Die meisten Keynesianer haben sich nie für die Finanzmärkte interessiert – anders als Keynes selbst. In seiner „General Theory“ von 1936 finden sich zentrale Einsichten über das Wesen der Finanzspekulation: Da die Zukunft prinzipiell unsicher ist, werden die wirtschaftlichen Entscheidungen anhand von Erwartungen gefällt, die oft emotionsgeladen sind und sich wie von selbst verstärken, weil Menschen zu Herdenverhalten neigen.

Dies gilt vor allem für die Finanzmärkte, deren Akteure besonders kurzfristig agieren: Die „manisch-depressiven“ Schwankungen von Aktienkursen, Wechselkursen, Rohstoffpreisen und Zinssätzen führen periodisch zu Krisen. Der konservative Antimarxist Keynes wollte daher die Finanzspekulation unterbinden und forderte eine „Euthanasie der Rentiers“. Seine Erkenntnisse hat Keynes allerdings nicht in seine Theorie integriert – dies wäre später die Aufgabe seiner Schüler gewesen.

Keynes’ „Euthanasie-Botschaft“ wurde durch die Wissenschaft auch deswegen vernachlässigt, weil die Politik seine Empfehlungen in den 1950er und 1960er Jahren teilweise umgesetzt hatte: Das Weltwährungssystem von Bretton Woods unterband die Devisenspekulation und stellte die Finanzmärkte ruhig, so dass diese kein interessantes Forschungsgebiet mehr war. Überdies nährte die „Ruhe“ die Illusion, dass Finanzmärkte an sich stabil seien.

Zudem lassen sich Finanzmärkte nicht begreifen, indem man nur ökonomische Gleichungen produziert. Die Keynesianer hätten die Selbstisolation der Wirtschaftswissenschaften durchbrechen und intensiv mit anderen Disziplinen zusammenarbeiten müssen, insbesondere mit der Sozialpsychologie, Soziologie und Politologie. Auch Feldforschung hätte geholfen, um zu belegen: Das „Überschießen“ der Finanzmärkte – „Bullen- und Bärenmarkt“ im Jargon der Trader – wird durch Spekulation produziert.

Krise von 2008 nicht genutzt

Da die Finanzkrise 2008 nicht für einen keynesianischen Gegenangriff genutzt werden konnte, geschah das glatte Gegenteil und der Neoliberalismus triumphierte. Die Krise wird zum Turbo, um in weiten Teilen der EU den Sozialstaat zu demontieren: Wenn auf den Bankrott von Mitgliedsstaaten spekuliert wird, dann begrüßen die EU-Eliten dies als eine „Disziplinierung durch den Markt“. Wenn dadurch die Krise verschärft wird, antworten sie mit der Troika-Sparpolitik, die Südeuropa in die Depression treibt.

Wenn daraufhin die Arbeitslosigkeit steigt, werden die Löhne gesenkt und die Sozialleistungen gekürzt. Die Neoliberalen stört es nicht, dass anschließend der Konsum einbricht – und die Arbeitslosigkeit noch weiter steigt. Ihr Rezept lautet: Dann muss eben noch mehr gespart werden.

Doch der Triumph der Neoliberalen wird nicht anhalten, denn ihr mächtigster Gegner sind sie selbst. Der Aufschwung will einfach nicht kommen, den sie stets aufs Neue prognostizieren. Stattdessen verlängert sich die Rezession, die am Ende auch die Vermögenden trifft. Es ist ja kein Zufall, dass die Aktienkurse wieder fallen. Eine Spielanordnung nach dem Motto „Lassen wir unser Geld arbeiten“ hat sich in der Geschichte immer selbst zerstört. Die Neoliberalen haben die Theorieschlacht gewonnen – und werden den Krieg trotzdem verlieren.

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23 Kommentare

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  • "Die Ökonomie ist eine tückische Wissenschaft" Die ist überhaupt keine Wissenschaft, sondern Irrsinn.

  • Was mir an dem Artikel nicht gefällt, ist, dass er die neoliberale Politik als tatsächliche Ideologie betrachtet.

    Letztendlich ist dies nur ein Mittel, um das Kapital weiter an der Macht zu halten, denn gerade diejenigen, die diese Politik predigen, waren die ersten, die sofortige Schritte vom Staat erwarteten, als die erste Kreditblase zu platzen drohte und der Kampf insofern für das Kapital schlecht geendet hätte, wenn man Banken mitsamt ihrer Einlagen einfach pleite hätte gehen lassen.

    In dem Moment sind auch die größten Verfechter neoliberaler Sparpolitik dabei, Mrd und mehr aus dem Steueretat in die Wirtschaft zu pumpen, weil ansonsten die falschen getroffen wären.

    Diese Politik setzt sich auch fort, wenn es um drohende Staatspleiten geht, dies sogar noch in nationalistisch-chauvinistischer Weise.

    Wo z.B. auch deutsche Anleger Geld haben, werden Staaten gehätschelt wie Irland, während man Zypern den Zusammenbruch ohne Schwierigkeiten zumutet.

     

    Letztendlich wird das Kapital wieder den Kampf gewinnen, indem es einfach, sobald es selber bedroht ist, auf die neoliberale Ideologie scheißt.

    Es geht nur um Machterhalt.

  • Interessanter Beitrag.

    Hier könnten sich noch weitere Beiträge (von demselben Autor) anschließen.

  • Auf meinem 30-jährigen Weg zum Finanzanlagenfachmann (Tolle Bezeichnung, was?) habe ich auf die alte empirische Art und Weise eines feststellen dürfen: ALLE Theorien sind hervoragend geeignet, rückwirkend so das Eine oder andere zu analysieren. Hier sind Daten produziert worden, die MATHEMATISCH wunderbar verwurstet werden können. Ein Markowitz hat dafür sogar einen Nobelpreis bekommen- einen völlig überflüssigen, wenn man sich mit dessen Therie näher beschäftigt.

     

    Warum?

     

    Er geht davon aus, daß ein Anleger IMMER das geringste Risiko wählt UND über endlose Liquidität verfügt. Unsinniger geht es nicht. Sogar der Kredit von Staaten ist begrenzt.

     

    Und hier ist der Knackpunkt aller -ismuse: Wirtschaft funktioniert nicht auf mathematischen Grundlagen von Investoren, sondern auf Grund der Psychologie aller Verbraucher. Und wenn die ein Produkt nicht kaufen können oder wollen, helfen alle historischen Daten nicht weiter: Das Produkt, und eventuell das dahinterstehende Unternehmen, gehen pleite. Ein Bankenrun ist nicht berechenbar.

     

    Das nächst ist die Wertschöpfung. Geld/Kredit spielt hierbei keine, bestenfalls eine moderierende Rolle. Die Finanzindustrie verfügt aber nur über Geld/Kredit. Und eine Vermehrung ist nur über ZINS möglich, ein Gläubiger/Schuldner - Verhältnis. Und je mehr Schulden, desto mehr Zins. Nur, daß die SCHULDEN den realen Gegenwert an ARBEIT/ROHSTOFFEN/GRUND&BODEN dermaßen übersteigt, daß die Zinsen die Rendite daraus auffressen.

     

    Und jetzt sind wir wieder bei der Psychologie: Ab wann ist der Verbraucher/Bürger nicht mehr gewillt für die Schulden in Form von Steuern, Einschränkungen und Inflation aufzukommen?

     

    Wer die Antwort darauf im Vorfeld weiß, hat dann auch einen -ismus verdient.

    • @Michael Zetti:

      Und dennoch sind einige operationale Fehler schlicht nicht totzukriegen: Staaten, die ihre eigene Währung herausgeben (also nicht die Eurozone) sind tatsächlich unbegrenzt liquide und benötigen keine Kredite.

       

      Ausserdem spielt Geld in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem nicht nur eine "moderierende" Rolle, sondern eine motivierende - alle kapitalistische Produktion ist auf Profit ausgelegt.

       

      Zu guter Letzt werden bei Produktionszuwachs zwangsweise höhere Ausgaben als Einnahmen aus der Vorperiode benötigt, was NUR durch Kredite möglich ist. Also wieder nicht "nur moderierend". Diejenigen, die das nicht verstehen, bezeichnet man gemeinhin als Neoklassiker, die, die es nicht verstehen wollen, als Neoliberale.

  • Oh je , da dachte ich doch : die neoliberale VWL sitze seit 2008 klein und häßlich in der Schmollecke . Nun sagt mir der Schulmeister hier , die habe gewonnen . Wo doch nur der Keynesianismus die Rettung aus dem Desaster bringen könne .

    Nein , sage ich , keine von beiden wird das können .

    Was Ende 2008 passiert ist , markierte nicht nur das tiefe Abrutschen der Konjunktur in eine Depression , sondern einen Epochbruch des kapitalistischen Wirtschaftssystems selbst . Das System hatte sich seit den 70iger Jahren des letzten Jahrhunderts mangels ausreichender realer Kapitalakkumulation auf immer höher werdenden Stelzen fiktiven Geldes über Wasser gehalten , zunächst gestützt auf die Liquidität aus ubiquitär wachsender Staatsverschuldung , später dann zusätzlich auf die aus der Spekulationsblase der "Finanzindustrie (Immobilienkrdite ,ABS , Kreditkettenbriefe)

    Um im Bild zu bleiben : die Stelzen versanken 2008 im Sumpf . Ein Teil des fiktiven Geldes wurde als Giftmüll versteckt bei EZB , in 'bad banks' , in Konzernbilanzen ,wo es als Zeitbombe weiter tickt .

    Der Grund für den (globalen!) Pumpkapitalismus der letzten ca 30 Jahre vor 2008 liegt in der technischen Revolution , zu der die Entwicklung der Mikroelektronik geführt hat . In allen kapitalistisch hoch entwickelten Ländern bewirkte diese , dass gewaltige Mengen an Arbeitskraft in Produktion , Handel und Verwaltung überflüssig geworden sind . Die Folge : steigende Arbeitslosigkeit , Sinken der Löhne/Gehälter , Sinken der Gesamtkaufkraft .

    Unter dem Zwang der globalen Konkurrenz ist der Prozess der Abschmelzung von kapitalverwertbarer Arbeitskraft unumkehrbar . Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit bedeutet makroökonomisch : weiteres Überflüssigmachen von Arbeitskraft , weitere Senkung von Löhnen und Gehältern, weitere Senkung der gesellschaftlichen Gesamtkaufkraft , Reduzierung der Produktion wegen Rückgang der Kaufkraft .

     

    No way out ? Sieht sehr danach aus ...

  • Die Tatsache, dass Diskussionsanstöße wie dieser Artikel so einsam in der Medienlandschaft erscheinen, ist nur eine Folge der Hegemonie des Neoliberalismus in Köpfen. Die von Kapitalinteressen geleitete Medienindustrie beschäftigt natürlich nur glatte Bachelor- & Masterabsolventen, die von den heutigen Wirtschaftsfakultäten produziert werden. Eingefahrene Denkstrukturen, religions- oder fetischartige Gläubigkeit an „den Markt“ oder andere schwarze Nullen bis hin zu purer Unwissenheit, dass es jenseits des neoliberalen Mantras noch andere Theorie- und Handlungsansätze gibt … all das ist die traurige Wahrheit in den Wirtschaftsredaktionen hiesiger „Qualitätsmedien“, sei es Print oder auch im öffentlich-rechtlichen TV/Radio (eine andere Art von "Lost Generation").

     

    Praktische Folgen sind u.a., dass es Rattenfängern im Politikgewand wie Lucke oder Starbatty (beides turbo-neoliberale AfD-Profs) gelingt ihre Ideologie über ein maskiertes Parteiprogramm bei Bevölkerungsschichten zu platzieren, die objektiv betrachtet nur verlieren können durch die Umverteilung nach oben, durch Sozialabbau und prekäre Arbeitsverhältnisse.

     

    Eine kritische Öffentlichkeit begleitet von mit breitem Wissen ausgestatteten Wirtschaftsredaktionen wäre in der Lage eine Figur wie Lucke in Nullkommanichts argumentativ auseinanderzunehmen und zu demaskieren. Nichts dergleichen geschieht, stattdessen nur gebetsmühlenartiges Frankreich-/Italien-/Griechenland-Bashing, die „endlich mal Strukturreformen“ machen sollen.

    • @Daniel L:

      Vor einiger Zeit ging eine sehr schöne Aktion durch die Medien, die vielleicht Anlass zur Hoffnung gibt: Viele WirtschaftsstudentInnen sind selbst total genervt vom Ewiggleichen, das sich schon in so tausenderlei Weise als unsinnig, ignorant, menschenverachtend, alles zugleich usw. herausgestellt hat:

       

      http://taz.de/Oekonomie-Studenten-rebellieren/!146369/

  • Sie sprechen es an, aber man muss es noch mal betonen: die "Keynesianer" haben wichtige Teile von Keynes' Einsichten ignoriert oder bastardisiert (man denke nur an IS-LM).

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Mit der Finanzkrise 2008 wurde der Beleg erbracht, dass das Kernziel des Neoliberalismus, nämlich die Deregulierung der Finanzmärkte, welche von FDP, CDU/CSU, SPD und Grünen forciert, umgesetzt im Bundestag und nicht blockiert im Bundesrat, hundertprozentiger Schwachsinn war und erneut sein wird.

    Auch die Privatisierung von öffentlichen Kernbereichen der Daseinsvorsorge war und ist ökonomischer Unsinn.

    Die Finanzkrise konnte nur durch den dann wieder stark eingreifenden Staat überwunden werden. Die Verluste wurden sozialisiert und die Gewinne weiterhin privatisiert.

    Die stark regulierende Kurzarbeiterreglung hatte Deutschland anschließend zusätzlich vor Schlimmeren bewahrt.

    Ich weiß wirklich nicht, wo hier ein Beleg sein soll, dass das neoliberale Konstrukt bisher funktioniert hat?

    Ich hoffe Rifkins Prognosen werden zutreffen und die Share Economy und das kooperative Wirtschaften werden an Bedeutung gewinnen. Doch ich befürchte, dies sind nur Wunschfantasien und der Unsinn des Neoliberalismus wird erneut stark an Zustimmung in der Presselandschaft finden, da die vierte Gewalt größtenteils käuflich ist.

  • „Der Kapitalismus basiert auf der merkwürdigen Überzeugung, dass widerwärtige Menschen aus widerwärtigen Motiven irgendwie für das allgemeine Wohl sorgen werden." John Maynard Keynes

  • Einige Faktoren nennt der Autor nicht: Nach der durch den neoliberalen Deregulierungs-Irrsinn verursachten Weltwirtschaftskrise 2008/9 zeigten die Neoliberalen, was sie aus den Vorgängen nach 1929 gelernt haben. Um zu verhindern, dass ihre Ideologie, genau wir ihr klassischer Vorgänger auf dem Müll der Geschichte landet, erfanden sie die Schuldenbremse und ähnliche Mechanismen. Das verhindert antizyklisches Handeln, und zementiert so die Macht der Neoliberalen.

    Was meiner Ansicht nach ebenfalls fehlt ist die existierende Deutungshoheit der Neoliberalen. So wurde aus der wahren Ursache der Krise 2008ff, den schon genannten Deregulierungen wie von Geisterhand die von der Politik in den USA geförderten Kredite an private Haushalte. Und aus der Eurokrise wurde eine "Schuldenkrise"

    • @Kaboom:

      Antizyklisches Handeln ist faktisch nicht existent. Einzig richtig ist, das in Krisenzeit Schulden gemacht werden.

      Was nicht funktioniert - bedingt durch den politischen Zyklus - ist das antizyklische Sparen.

      Es sind nicht die sog. Neoliberalen, die antizyklisches Wirtschaften unmöglich machen, es ist die Demokratie.

  • "Doch der Triumph der Neoliberalen wird nicht anhalten, denn ihr mächtigster Gegner sind sie selbst. Der Aufschwung will einfach nicht kommen, den sie stets aufs Neue prognostizieren. Stattdessen verlängert sich die Rezession, die am Ende auch die Vermögenden trifft."

     

    Gut zusammengefasst, aber: Die Neoliberalen bedienen sich am Staat, mobilisieren das vorhandene Vermögen und benutzen es für sich selbst, für ihre Ideologie.

    Die gigantischen Kosten werden schlicht unter den Teppich gekehrt – müssen Gemeinden endlos über jede Ampel und jede Glühbirne reden, öffnen sich Kassen für die Fehler des Neoliberalismus scheinbar von selbst.

    Nur hat die neoliberale Wirtschaftsideologie (leider) auch eine eigene Gesellschaftsordnung hervorgebracht, die ihre falsche Ausrichtung sozial weiter unterstützt.

     

    Momentan wird Arbeitslosigkeit in Deutschland gar nicht mehr als Problem abgebildet, sondern sie ist offiziell abgeschafft. Die Hartz-Gesetze implizieren sogar Vollbeschäftigung und eine starke Nachfrage nach Arbeitskräften. Die Realität entspricht dem nicht und wird in den meisten Medien nicht mal behandelt.

    Insofern ist diese Analyse hier nur die eine Seite einer Medaille.

     

    Die soziale Zusammensetzung des Neoliberalismus ist viel schwieriger aufzulösen, als die offensichtlichen theoretischen Probleme und Fehlannahmen.

  • btw es gibt keinen Wirtschaftsnobelpreis. Der fälschlicherweise dafür gehaltene und zeitgleich mit den echten Nobles an Ökonomen vergebene Preis heisst in Wirklichkeit "Sveriges Riksbank Prize in Economic Sciences in Memory of Alfred Nobel", und wird, wie der Name sagt, von der Schwedischen Reichsbank vergeben - ausdrücklich gegen den Willen von A. Nobel übrigens... Soll nicht heissen dass der Preis nicht relevant wäre, aber ein Nobel ist er eben nicht.

  • Hmmm, der Laie tut sich schwer, und der Fachmann wundert sich.

    Immer wieder wird von den Krypto-Keynsianern (erfolgreich) die Suggestion platziert, mit fixen Wechselkursen à la Bretton-Woods könne man 2 Fliegen mit einer Klappe schlagen: Spekulation/Akkumulation verhindern UND eine Arbeitnehmer-freundlichen Investionspolitik in die Wege leiten. Als ob das eine was mit dem anderen zu tun hätte...

    Das der Arbeitsmarkt ein Markt ist, wird eigentlich völlig ignoriert. Der Begriff steht im Krypto-Keynesianimus eigentlich schon bald für das Gegenteil: Arbeitsreservoir, includierend Arbeit und Teilnehmer.

    Stimmt, diese Wissenschaft hat mit Politik zu tun, aber auch mit Intelligenz...

  • Der Hauptfehler am Keynesianismus ist, dass er zur Zeit nur über Schulden finanziert werden kann. Das ist

    1. auf Dauer gesellschaftlich nicht "vermarktungsfähig",

    2. Aufgrund unserer privaten Geldordnung überhaupt nicht möglich und

    3. nicht die beste Alternative, da es zur Inflation führt welche zwar Vermögensungleichheit in unserer Gesellschaft abflacht jedoch durch das gesamtgesellschaftliche Interesse an Preisstabilität nicht unterstützt wird.

     

    Das eigentliche Problem liegt an unserem rudimentären und wirtschaftsabhängigen Steuersystem welches:

    1. mit einer hiesigen Steuerbasis von ca. 2 Bill.€. einfach nicht leistungsfähig genug ist. Unangetastet bleiben hier die Geldvermögen von ca. 4 Bill. € und Transaktionen mit ca. 64 Bill. €.

    2. durch die gewählte Steuerbasis der Wirtschaft bei drohender Rezession nicht weiter besteuert werden kann, weil dies die Wirtschaft zusätzlich belastet.

     

    Wir müssen endlich Geld besteuern, nicht die Wirtschaft. Der Gemeinheit bekannte Ansätze gibt es hier beim Schwundgeld und der Tobin-Steuer.

    • @globelix:

      Punkt 1. ist korrekt.

       

      Punkt 2. ist schlicht falsch - Geldquellen sind nie privat, es handelt sich um Zentralbanken, entweder nationale oder supranationale wie die EZB. Privatbanken können Kredite vergeben, aber müssen im Endeffekt bei der ZB selbst Kredite nachfragen, um Einlagenkriterien zu erfüllen.

       

      Punkt 3. ist zu allgemein formuliert - Inflation tritt nur dann ein, wenn das nachgefragte Gut so knapp ist, dass weitere Nachfrage den Preis hochtreibt. Angesichts von Arbeitslosigkeit und Infrastrukturenvernachlässigung ist diese Situation in Europa und den USA schlicht nicht gegeben.

      • @BigRed:

        zu 2.

        Die EZB wie jede andere heutige Zentralbank auch, unterliegt einer privaten vollpropritären Geldordnung. Genau aus diesem Grund müssen Staaten ihren Haushalt auf dem privaten Kreditmarkt abdecken. Bis es nicht mehr geht. Sachen wie der ESM oder das geplante Anleihekaufprogramm sind hier doch gerade eine Ausnahme.

        zu 3.

        Das ist ein sehr schnittiger Einwand von ihnen. Allerdings wird einer monetären Inflation immer auch eine preisliche vorausgesagt. Sonst würden wir wohl einfach unsere Schulden neu drucken. Und selbst wenn dem so wäre steht uns da schon wieder die private Geldordnung im Weg.

         

        Jetziges Geld ist systematisch vollkommen privat. Ich sehe darin ein Hauptproblem unserer Krisen.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Zitat: "Wenn auf den Bankrott von Mitgliedsstaaten spekuliert wird, dann begrüßen die EU-Eliten dies als eine „Disziplinierung durch den Markt“. Wenn dadurch die Krise verschärft wird, antworten sie mit der Troika-Sparpolitik, die Südeuropa in die Depression treibt.

     

    Wenn daraufhin die Arbeitslosigkeit steigt, werden die Löhne gesenkt und die Sozialleistungen gekürzt. Die Neoliberalen stört es nicht, dass anschließend der Konsum einbricht – und die Arbeitslosigkeit noch weiter steigt. Ihr Rezept lautet: Dann muss eben noch mehr gespart werden." Zitat-Ende.

     

    Das trift es auf den Punkt. Außer der Vertretung ökonomischer Interessen bestimmter Gruppen und seiner Existenz als Wirtschaftstheorie ist heute der Neoliberalismus auch eine Moraleinstellung und wird auch so argumentativ benutzt: "Erwirtschaften kommt vor dem Verteilen", "Sozialgeschenke", "Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen" etc. Die Disziplinierungsfunktion der Gesellschaft und gewünschte Elitenbildung nach dem Vorbild der Gesellschaften des 19 Jh. werden als Wege zur Steigerung der allgemeinen Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft angesehen und anscheinend auch als erwünschtes social engineering.

    • @10236 (Profil gelöscht):

      Der Artikel zeigt im Grunde eine gewissen Halbbildung, da viele Aspekte überhaupt keine Erwähung finden. Unter dem Begriff "Neoliberalismus" werden verschiedene Strömungen zusammengefasst, die sehr unterschiedliche Auffassungen haben (Freiburger Schule, Chicagoer Schule, Österreichische Schule) und zum Teil sehr unterschiedliche Methoden verwenden. Methodisch steht zum Beispiel ein Keynesianer wie Paul Samuelson einem "Neoliberalen" wie Milton Friedman viel näher als dieser zum Beispiel F. A. Hayek. Gerade auch die keynesianischen Maktroökonomen haben die Methematisierung und Formalisierung der VWL vorangetrieben, dagegen haben die Ordoliberalen, Hayek und CO die Mathematisierung abgelehnt.

      Es gibt durchaus viele Keynesianer, die für flexible Wechselkurse plädieren und neoliberale (z. Beispiel Ludwig von Mises), die für feste Wechselkurse plädieren. Das "neoliberale" Militärregime in Chile hat die Landeswährung zum Beispiel fest an den Dollar gekoppelt, was dann auch zum einer massiven Krise geführt hat. Ebenso unterschiedliche ist auch die Einstellung zur Verschuldung. Demokraten wie Jimmy Carter und Bill Clinton waren zum Beispiel Fiskalkonservative, die den Haushalt sanieren wollten. Republikaner wie Ronald Reagan oder George W. Bush haben das Gegenteil getan und die Wirtschaft mit hohen Defiziten angefeuert. Deshalb wird ihre Politik auch als "Bastard-Keynesianismus" bezeichnet.

      Keynes selbst hat sich seiner Allgemeinen Theorie ausdrücklich dafür eingesetzt, die Reallöhne zu senken, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Nur wollte er das eben über den Anstieg der Inflation erreichen. Das unterscheidet sich zwar in der Methode, aber nicht in der Zielsetzung von den Neoklassikern.

      Die einfache Gegenüberstellung von "Neoliberalen" und Keynesianern ist einfach eine ziemlich platte Simplifizierung, die der Geschichte des Fachs überhaupt nicht gerecht wird.

      • 1G
        10236 (Profil gelöscht)
        @Tobias Mayer:

        Ich mag den Begriff "Keynsianismus" nicht und konnte mit der Theorie nie viel anfangen. Vielleicht , weil ich eh glaube, dass der Staat eine gewichtige Rolle (auch als Umverteiler) in der Wirtschaft zu spielen hat.

        Ich bin auch der Meinung, dass der "Neoliberalismus" schwer zu fassen und definieren ist. Für mich kommt es eher daher mit dem (wie schon geschrieben) moralischen Anspruch: monetär messbare Leistung = geselschaftlicher Nutzen.

      • @Tobias Mayer:

        Viele korrekte Beispiele - auch und gerade für den wichtigen Punkt, dass die Keynesianer sich zwar so nannten, aber Keynes eben nicht verstanden hatten.

         

        Nur: "Keynes selbst hat sich seiner Allgemeinen Theorie ausdrücklich dafür eingesetzt, die Reallöhne zu senken, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen."

        Das Zitat würd ich dann doch gern mal sehen.