Debatte Völkermord in Ruanda: Genozid im Giftschrank
Vor 20 Jahren ignorierten deutsche Behörden systematisch den sich anbahnenden Völkermord in Ruanda. Sie wussten mehr, als sie zugeben.
D ie deutsche Außenpolitik hat Afrika entdeckt. „Stärker in Afrika Verantwortung zeigen“ will Bundeskanzlerin Angela Merkel; Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mahnte bei der Ruandadebatte im Bundestag am Freitag, man müsse „das uns Mögliche tun, das in unserer Macht steht, um Völkermord zu verhindern“. Wäre es da nicht sinnvoll, zunächst einmal die Fehler der deutschen Politik aufzuarbeiten, gerade was Ruanda angeht?
Vor 20 Jahren wurden innerhalb von 100 Tagen über 800.000 Ruander abgeschlachtet. Und zwar unter den Augen der Weltöffentlichkeit. Die UN hatte Truppen vor Ort, war aber unfähig, einzugreifen. Auf die Bitten des kanadischen Blauhelmkommandanten General Roméo Dallaire, die Truppenstärke aufzustocken, um dem Gemetzel ein Ende setzen zu können, reagierten die westlichen Nationen mit Teilabzug. Dallaire wurde zum Zuschauer degradiert. Auch Deutschland schaute zu.
Dieter Hölscher war zwischen 1991 und April 1994 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Ruanda. Über die Ereignisse im April 1994 zeigte er sich hinterher völlig überrascht: Er habe zwar zuvor von einzelnen Übergriffen gehört, aber das Ausmaß der Katastrophe so nicht erwartet. Das ist schlicht und einfach gelogen. Dieter Hölscher und der deutschen Botschaft in Kigali wurden immer wieder Informationen zugetragen, die auf eine drohende Eskalation hinwiesen. Die Bundesrepublik Deutschland hatte Augen und Ohren im ganzen Land.
lebt in Oakland (USA) und arbeitet seit 1996 als freier Journalist. Auf einer Reise nach Ruanda fragte er sich, welche Rolle die Deutschen vor und während des Genozids spielten. Die Recherche ist noch nicht abgeschlossen.
Der evangelische Pfarrer Jörg Zimmermann lebte seit 1991 mit seiner Familie in Kigali. Er spricht die Landessprache Kinyarwanda und war nahe dran an den Ereignissen. „Wir bekamen mit, wie die Radikalisierung in der Bevölkerung voranschritt, ganz massiv.“ Regelmäßig berichtete er der deutschen Botschaft von seinen Eindrücken. Hölscher habe immer nur abgewinkt, erinnert er sich: Man solle keine Panik machen.
In einem Bericht für das Entwicklungsministerium über Deutschlands Rolle vor und während des Genozids schrieben 1999 die Politologen Jürgen Wolff und Andreas Mehler: „Die systematische Vorbereitung des Völkermords, für die es seit 1992 Hinweise gab, kommt in den Botschaftsinformationen nicht vor. Den ominösen Namen Interahamwe (Jugendmiliz der damaligen ruandischen Regierungspartei) haben die Gutachter in einem Schriftstück der Botschaft Kigali zum ersten Mal am 6. April 1994 in einer Mitteilung über einen Überfall auf den Fahrer des Botschafters gefunden.“
„Es gab keinerlei Reaktion“
An anderer Stelle schreiben Wolff und Mehler: „Ein deutscher Experte wird unmittelbar Augenzeuge des ’Probelaufs‘ für den Völkermord in der Bugesera südöstlich von Kigali (ein Massaker mit Hunderten von Toten und mindestens 15.000 Flüchtlingen) und gibt eine an Deutlichkeit nicht zu überbietende Schilderung. Er kann fotografieren, den Film in Deutschland entwickeln lassen und ihn mit einem Bericht an die GTZ weiterleiten. Es gab keinerlei Reaktion.“
Der Bericht verschwand im Giftschrank des Ministeriums; er wurde nie publiziert.
Befragt, zeigt sich Jürgen Wolff nicht überrascht. „Diplomaten werden dafür bezahlt, dass sie Ärger vermeiden“, erläutert er und erinnert sich, ein deutscher Militär sei zum Botschafter gegangen und habe diesem erzählt: „Herr Botschafter, schauen Sie mal, ich habe hier eine Karte von Ruanda und da ist der Wald von Nyungwe, da gibt es ein Lager der Interahamwe, die trainieren da Massaker, und wenn es mal los geht, dann sag ich Ihnen 10.000 bis 30.000 Tote voraus.“ Die Reaktion des Botschafters war darauf, laut Aussage dieses Obersts der Bundeswehr: „Verrückt. Militär denkt nur an Leichen.“
Eine solche Bewertung kann ein Botschafter natürlich vornehmen. Aber die Information nicht einmal in seinem Bericht zu erwähnen – das sollte er eigentlich nicht.
Deutschland war gut vernetzt in Ruanda. Der Deutsche Entwicklungsdienst DED und die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GTZ waren im ganzen Land sehr aktiv. Die Bundeswehr unterhielt bereits seit 1976 enge Kontakte: Ruanda war Empfängerland im Rahmen des Ausstattungshilfeprogramms der Bundesregierung für ausländische Streitkräfte, eine Beratergruppe der Bundeswehr war vor Ort und arbeitete eng mit dem ruandischen Militär zusammen. Das Bundesland Rheinland-Pfalz war seit Mitte der 1980er Jahre Partnerland für Ruanda. Ein Partnerschaftsbüro in der Hauptstadt Kigali koordinierte die vielfachen Projekte im ganzen Land, bei denen rheinland-pfälzische Gemeinden direkt mit ruandischen Partnergemeinden zusammenarbeiteten.
Man wusste genau Bescheid
Über all diese direkten Kontakte wussten die deutschen Behörden genau, was vor sich ging: Das Auswärtige Amt, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), das Bundesverteidigungsministerium, das Innenministerium in Rheinland-Pfalz. Ihnen wurden regelmäßig Informationen über Massaker, Diskriminierungen, Menschenrechtsverletzungen übermittelt. Man beschwichtigte, man übersah, man verharmloste, man versteckte sich hinter einer nichtexistenten europäischen Linie.
Daneben waren auch noch die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Deutsche Welle in Ruanda präsent und bildeten lokale Journalisten aus – auch, wie der unveröffentlichte BMZ-Bericht schreibt, „problematische Partner“. Das steht für Journalisten, die für Anti-Tutsi-Hetzmedien wie die Zeitschrift Kangura oder den Hasssender Radio et Télévision des Mille Collines (RTLM) arbeiteten.
Ein deutscher Diplomat, der sehr gute Kenntnisse von Ruanda hat, meinte kürzlich, man habe technisch viel aus den Erfahrungen in Ruanda gelernt, politisch allerdings gar nichts. Gelernt habe man, wie man schneller auf Extremsituationen reagiert, wie man Evakuierungen besser organisiert. Doch nach wie vor stütze man mit Entwicklungsgeldern sehr zweifelhafte Regime.
Ruanda könnte und sollte eine Zäsur in der deutschen Außenpolitik sein. Das verlangt aber auch, dass man hinsieht, Stellung bezieht und handelt.
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