Debatte US-Außenpolitik: Obama macht nicht alles falsch
Der US-Präsident verhält sich immer angepasster. Warum nur? Er könnte die ganzen Karrieristen in Washington doch einfach hinwegfegen.
Ein leichtes Erbe ist es nicht, das amerikanische Präsidenten antreten müssen. Immer wartet eine starre Außenpolitik, eine vielgliedrige Exekutive, der Druck aus dem Kongress, entschlossene Lobbyisten, oberflächliche Journalisten und ein ignorantes Volk auf sie. Barack Obama schien just darauf bestens vorbereitet: Sein Intellekt und sein internationaler Hintergrund, so glaubte man, waren beste Voraussetzungen für dieses schwierige Amt.
Weshalb also fällt es dem Präsidenten so schwer, besonders in der Nahostpolitik über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken, ganz so, als ob er immer noch im Staat seiner Großeltern festsitzen würde, nämlich in Kansas?
In Washington hat er sich zunächst als guter Verhandlungspartner erwiesen. Er zog das Militär auf seine Seite, indem er ihnen die Strategie des globalen Zugriffs garantierte. Er stellte die Geheimdienste ruhig, indem er ihnen uneingeschränktes Handeln im „Krieg gegen den Terror“ ermöglichte. Und mit nur minimaler Regulierung, einem offenen Zugang und einer vorsichtigen Umweltpolitik hat er für neue Kapitalzuwächse gesorgt.
1926 in New York geboren, lehrte als Professor für Soziologie an der Georgetown University und beriet Robert sowie Edward Kennedy. Er war Mitbegründer der New Left Review und arbeitet heute unter anderem für The Nation.
Aber der Preis für all das war hoch. Die Verfassung der Vereinigten Staaten musste mehrmals gebeugt werden, ebenso internationale Gesetze, besonders, was den Einsatz von Drohnen betraf. Das brachte die US-Administration in Misskredit. Die totale elektronische Überwachung bringt immer mehr amerikanische Bürger gegen die Regierung auf, von den ausländischen Bevölkerungen mal ganz abgesehen.
Der US-Administration scheint es nicht mehr um soziale Entwicklungen zu gehen oder gar um Menschenrechte. Der internationale Einfluss der USA schwindet; Obamas Auftreten hat daran bisher leider nichts geändert. Dass die Verleihung des Friedensnobelpreises vorschnell gewesen war, muss hier nicht noch einmal betont werden.
Eskalation des Konflikts mit den Taliban abgewendet
An vielen Stellen hat sich die Situation sogar drastisch verschlechtert. Chinas Einfluss sollte gedämpft werden, wozu eine Reihe von Nationen unterstützt wurden – von Japan bis zu Vietnam. Aber das führte gleichzeitig zu Unwägbarkeiten wie dem Wiedererstarken des japanischen Militärs, von den Eigenwilligkeiten kleinerer Nationen mal abgesehen. Und in Sachen Menschenrechte haben die USA wegen der Veröffentlichungen der Whistleblower und des offiziellen Umgangs dramatisch an Glaubwürdigkeit verloren.
Gleichzeitig wurde Russlands wachsendes nationales Selbstbewusstsein, wenn auch unfreiwillig, gestärkt: Obama hat nur wenig unternommen, um Russlands Groll über die Erweiterung der Nato nach Osten zu dämpfen. Dem Unbehagen des Kongresses, atomaren Abrüstungsverhandlungen zuzustimmen, hat er nachgegeben.
Und dann wäre da noch der „Krieg gegen den Terror“. Der hat statt für Frieden nämlich nur für noch mehr Feinde gesorgt; in einem weiten Bogen von Indonesien über Pakistan bis zum Jemen, Somalia und Zentralafrika. Im Dauerkonflikt mit den islamischen Staaten stellen sich die USA immer noch gern auf die Seite autoritärer Regime – und wie stets hinter Israel. Israels Unterminierung der ohnehin zerbrechlichen Verhandlungen mit den Palästinensern durch ihre Siedlungspolitik trifft jetzt auf eine gespannte Situation in Ägypten, wo sich das Militär entgegen dem amerikanischen Ratschlag weigert, auf Moderation zu setzen.
Obamas Kritiker stellen sich dabei gern eine Welt vor, die pariert, wenn der amerikanische Präsident ein Machtwort spricht. Das aber war früher schon nicht so, und heute ist es noch viel weniger der Fall. Trotzdem macht Obama nicht alles falsch: Gerade da, wo er nicht handelt, handelt er paradoxerweise oft richtig. Die Konflikte mit Lateinamerika hat er so auf ein ritualisiertes Niveau heruntergeschraubt. Er hat gar nicht erst versucht, Brasiliens Aufschwung aufzuhalten.
Der Rückzug aus Afghanistan schreitet voran; eine Eskalation der Auseinandersetzungen mit den Taliban wurde abgewendet. Der Rückzug aus dem Irak ist abgeschlossen. In Syrien wird bislang nur auf sehr kleiner Basis interveniert. Auch auf den Druck Israels, einen Angriff auf den Iran vorzubereiten, ist er nicht eingegangen.
Obama bleiben noch dreieinhalb Jahre
Tatsächlich hat Obama Netanjahu und seine amerikanischen Unterstützer geschickt ausmanövriert. Obama wusste, dass die amerikanischen Juden in der Hauptsache amerikanische Patrioten sind. Die Behauptung der jüdischen Verbände, dass sie die Mehrheit der amerikanischen Juden repräsentieren, ist falsch. Obama hat trotz Netanjahus Einsatz für die Republikaner 70 Prozent der jüdischen Stimmen gewonnen.
Trotz der Konflikte in In- und Ausland hält sich Obama in seinem Auftreten gern zurück. Er hat wider besseres Wissen die amerikanische Obsession in Sachen Kuba nicht für lächerlich erklärt; Netanjahu indes mag er in Vier-Augen-Gesprächen vor Israels Weg in die politische Isolation gewarnt haben, öffentlich wurde davon nichts. Er mag betont haben, wie gut sich Kooperationen mit dem Ausland für die USA bezahlt machen; zur tatsächlichen Lage der USA – nämlich der einer Supermacht auf dem absteigenden Ast – hat er kaum ein Wort verloren.
Natürlich hat er während des Wahlkampfs 2012 versprochen, sich in seiner zweiten Amtszeit um die Wirtschaft und den Haushalt zu kümmern. Ob er aber den außenpolitischen Schlingerkurs in den drei Jahren und fünf Monaten, die ihm bleiben, noch korrigieren wird, bleibt fraglich.
Washington wird von mediokren Karrieristen dominiert. Ein guter Präsident könnte sie mit einer Bewegung hinwegfegen – indem er sich der Öffentlichkeit zuwendet. Die Tatsache, dass auf nationaler Ebene immer noch auf die falschen Prioritäten gesetzt wird, macht die Sache schwierig. Der Präsident könnte sich erst dann zum letzten Triumph aufschwingen, wenn er auf große Veränderungen setzt, also auf den „Change“, den er einst versprochen hat. Natürlich im vollen Bewusstsein seiner begrenzten Möglichkeiten.
In seiner Studentenzeit hat Obama gern einmal die abweichende Meinung gepflegt. Es wird Zeit, dass er sich dieser Wurzeln besinnt.
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