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Debatte Türkei, „IS“ und SyrienEin Flugverbot ist notwendig

Kommentar von Bente Scheller

In der Debatte über die Türkei und den „IS“ fehlt etwas: die syrische Zivilbevölkerung. Um sie zu schützen, muss Assad gestoppt werden.

Türkische Polizisten bei Kurdenprotesten in Diyarbakir. Foto: dpa

J e verheerender der Konflikt in Syrien wird, desto weniger interessiert sich der Westen für ihn. Spätestens seit der „Islamische Staat“ sein „Kalifat“ ausgerufen hat, gilt alle Sorge der extremistischen Bedrohung. Dass Baschar al-Assad im Windschatten der Terroristen sein Land in Schutt und Asche legt, ist nebensächlich geworden.

Nach dem Anschlag in der türkischen Grenzstadt Suruç am 20. Juli, der dem „IS“ zugeschrieben wird und bei dem 32 Menschen starben, haben die Luftangriffe der Türkei und die gespenstische internationale Debatte gezeigt, wer im Kalkül sowohl der türkischen wie der amerikanischen Regierung die geringste Rolle spielt: die syrische Zivilbevölkerung.

Wenige Tage nach dem Anschlag verkündete die türkische Regierung, sich mit den USA auf die Einrichtung einer „Schutzzone“ in Nordsyrien geeinigt zu haben. Das klang erst einmal gut angesichts eines Krieges, in dem Zivilisten wie in kaum einem anderen getötet und vertrieben werden. Doch schon die dazu zirkulierenden Landkarten waren ernüchternd: Rund 100 Kilometer breit und 35 Kilometer tief sollte sich die Zone entlang der türkischen Grenze erstrecken.

Das hätte weder Aleppo noch irgendeine andere größere Stadt in Syrien eingeschlossen. Der Zuschnitt der Schutzzone orientierte sich auch für die Türkei, die jahrelang eine Flugverbotszone gefordert hatte, nicht daran, wo die Bedrohung für die Menschen am größten ist – sondern allein daran, dass hier das letzte vom „IS“ kontrollierte Gebiet im Norden Syriens liegt.

Für die Zivilisten in diesem Landesteil würde eine Umsetzung des Plans die Bedrohung paradoxerweise zunächst nicht mindern, sondern verstärken. Denn solange der „IS“ ein Gebiet kontrolliert, fliegt die syrische Luftwaffe allenfalls sporadisch Angriffe.

Doch selbst die türkische Minimalvariante einer Schutzzone war offenbar weit mehr, als mit Washington tatsächlich vereinbart wurde. Kaum hatte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu vom Schutz für Zivilisten, gar von Rückkehrmöglichkeiten für Flüchtlinge gesprochen, übten sich die USA in der Königsdisziplin ihrer Syrienpolitik und ruderten zurück.

Keine Beteiligung kurdischer Kräfte

Es gehe weder um irgendeine Zone noch um den Schutz von Zivilisten, sondern ausschließlich darum, die Gegend aus der Luft zu bombardieren. Der „IS“ soll vertrieben werden, aber allein schon das Definieren einer Zone könnte ja mit einer Schutzverantwortung einhergehen – und die möchte Barack Obamas Regierung auf keinen Fall übernehmen.

Den Rest des Kampfs sollen Bodentruppen übernehmen, die allerdings weder die USA, noch die Türkei entsenden wollen. Das sollen syrische Rebellen übernehmen. Doch da ist die Auswahl nicht groß: Für die Türkei kommt die Beteiligung kurdischer Kräfte nicht infrage, selbst wenn diese als am besten organisiert gelten.

Die Wunschkandidaten der USA sind die von ihnen angeblich sorgfältig ausgewählten und trainierten syrischen Rebellen. Nachdem Washington jedoch immer wieder jene im Stich gelassen hat, denen es zuvor Hilfe versprochen hatte, ist das Programm auf eine homöopathische Dosis geschrumpft: Lediglich 54 statt der für dieses Jahr angekündigten 5.000 Kämpfer haben ein Trainingsprogramm beendet. Und von denen wurde jüngst ein Drittel samt ihrem Anführer von der Al-Nusra-Front entführt.

Ein Freibrief für den Diktator

Für viele SyrerInnen sind Assad und der „IS“ gleichermaßen tödliche Bedrohungen. Auch nur eine von beiden loszuwerden, wäre ein Fortschritt. Nur wird gern übersehen, dass man sie nicht getrennt voneinander bekämpfen kann.

Eine westliche Politik, die sich nur gegen den „IS“ richtet, während Assad für die weitaus höheren Opferzahlen verantwortlich ist, erreicht das Gegenteil ihres Ziels: Sie hilft dem „IS“ bei der Rekrutierung neuer Kämpfer, weil sie den SyrerInnen klarmacht, dass der Westen weder an Menschenrechten noch an Demokratie interessiert ist – sondern lediglich daran, jene Feinde umzubringen, die ihn selbst bedrohen könnten. Dafür bekommt auch ein vermeintlich säkularer Diktator einen Freibrief, solange er nur behauptet, gegen die Dschihadisten vorzugehen.

Seit Jahren fordern syrische AktivistInnen eine Flugverbotszone, denn Assads Luftwaffe löscht mit Fassbomben ganze Häuserblöcke aus und schreckt auch vor dem Einsatz international geächteter Waffen wie Streu- und Brandbomben oder Chlorgascontainern nicht zurück.

Zwar hat der UN-Sicherheitsrat inklusive Russland und China eine Resolution gegen Fassbomben und eine weitere gegen den Einsatz von Chlorgas verabschiedet, doch ist es illusorisch zu glauben, dass diese jemals umgesetzt würden. Mit einer Flugverbotszone würde die Situation von Zivilisten in Syrien grundlegend verbessert, aber sie würde verlässlich zumindest am russischen Veto im Sicherheitsrat scheitern. Also darf Assads Luftwaffe ungehindert das Land weiter in Schutt und Asche legen.

Pufferzone aus Eigeninteresse

Wie die Bemerkungen aus Washington zeigen, hat nicht einmal eine Minimalvariante einer wie auch immer gearteten Schutzzone eine Chance. Außerdem möge man sich nicht täuschen, dass auch eine „Pufferzone“, wie die Türkei sie nun ins Spiel gebracht hat, nicht allein humanitären Erwägungen geschuldet wäre. Den Nachbarstaaten geht es auch darum, ein Übergreifen der Kämpfe in Syrien auf ihr eigenes Territorium zu verhindern. Und: Gäbe es eine solche Zone, wäre es leichter, Flüchtlinge fernzuhalten und einige vielleicht sogar nach Syrien zurückzuschicken.

Der libanesische Außenminister Gebran Bassil liebäugelt mit Flüchtlingslagern auf der syrischen Seite der Grenze, um den Libanon zu entlasten. Ohne eine Garantie allerdings, diese notfalls militärisch gegen das syrische Regime und andere Kräfte zu verteidigen, würde man die Schutzsuchenden dort ihrem Schicksal überlassen.

Das Einzige, was in Syrien erreicht worden ist, sind „IS“-freie Zonen, geschaffen durch die Rebellen selbst. Ihnen ist es gelungen, die Terrormiliz zurückzudrängen. Um diese Gebiete dauerhaft zu halten und einen Wiederaufbau zu ermöglichen, müssen die Luftangriffe des Regimes beendet werden. Alles andere wird den Krieg fortsetzen.

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5 Kommentare

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  • In Syrien wird es weiterhin Tod, Folter, Zerstörung, Vertreibung, Plünderung und dazu noch diese spezielle ISIS-Gewalt-Shows geben.

     

    Es interessiert einfach niemanden wirklich, was in diesem Land passiert. Die Sicherheitszone der Türkei (und USA) ist eigentlich auch als Abschiebezone für die syrischen Flüchtlinge in der Türkei gedacht. Wo kann sie wirklich entstehen und wer kann sie schaffen? Antworten auf diese Frage gibt's gar nicht.

     

    Und die lokalen Milizen in Syrien können zwar den irren 'Islamischen Staat' hier und dort mal stoppen, manchmal eine gewisse Hilfs- und Solidaritätskultur lokal etablieren, aber diese Kräfte können diesen Konflikt nicht entscheiden, eigentlich sind sie nur so ein seltenes Gewächs in einem Land, das eigentlich ein großes Vakuum ist.

     

    Wenn man einem Menschen Zynismus als Begriff erklären will, muss man nur die letzten vier Jahre in Syrien erzählen.

     

    Es ist einem sehr großen Teil dieses Planeten egal, was in diesem Land und mit seinen Menschen passiert. Wer ist dort schon gut oder wirklich böse? Vielleicht ist der IS böse, aber alles andere ist dort so rot wie das Blut, das immer wieder vergoßen wird. Die Opfer zähler hier nicht, gar nicht.

  • Hier wird ein Flugverbot gefordert, ohne auch nur mit einem Wort darauf einzugehen, wie dies beschlossen werden soll. Durch den UN-Sicherheitsrat ? Das ist wegen des zu erwartenden russischen Vetos vollkommen ausgeschlossen. Also einseitig, durch die USA oder die NATO, ohne Billigung der UNO ? Wenn die Autorin das befürwortet, sollte sie das auch offen so schreiben.

  • Der Artikel vernachlässigt einen entscheidende Punkt bezüglich der "safe zone". Von türkischer Seite ist sie vor allem dafür gedacht die Vereinigung der kurdischen Kantone Kobane/Cizire mit dem Kanton Afrin zu verhindern. Erdogan sagte, daß die Türkei auf keinen Fall die Entstehung eines neuen Staates in Nordsyrien dulden werde "koste es was es wolle".

    Weiterhin verbindet die türkische Regierung die Nutzung der airbase Incirlik mit der Bedingung, daß mit den von dort ausgehenden Angriffen auf keinen Fall der YPG/J geholfen werden darf. Damit ist der wichtigste nordsyrische player aus dem Spiel.

    Da kann man dann dieser Koalition nur noch weiterhin viel Spaß und Erfolg wünschen.

    Ein amerikanischer Kommentator sagte heute die Situation in Syrien sei: "dreidimensionales Schach mit neun Spielern und ohne Regeln".

  • 6G
    6120 (Profil gelöscht)

    Die USA decken das Assad-Regime

     

    Der Kommentar von Bente Scheller ist sehr gut. Als Ergänzung verweise ich auf einen Bericht der NZZ ( http://www.nzz.ch/international/amerika/nur-60-syrische-rebellen-werden-ausgebildet-1.18576848 ), aus dem klar hervorgeht, WARUM die USA so wenig syrische Rebellen rekrutieren. Eine Grundbedingung für die Aufnahme in das US-Programm lautet nämlich, dass die Kämpfer NICHT gegen das Assad-Regime kämpfen dürfen...! Mit anderen Worten: Die USA decken faktisch den Terror des Assad-Regime.

  • Und das soll den Konflikt lösen? Wie realtitätsfern muss man sein, um so etwas auch nur annähernd zu glauben?

    Wir werden sehen was die drei, USA, RU und SA, zustandebringen. Vielleicht ist der Punkt erreicht, wo niemand mehr einen Vorteil an der Fortsetzung dieses unfassbaren Bürgerkriegs sieht - abgesehen von Erdogan und seinen IS-Freunden.