Debatte Tierhaltung: „Fleisch for fun“
Die Medien entscheiden über die Art der Tierhaltung. Die Produzenten haben das längst begriffen – und passen sich entsprechend an.
S chon seit einiger Zeit herrscht Nervosität bei der Fleisch- und Tierindustrie. Zur Krönung waren im Dezember Bilder aus Schweinezuchtbetrieben im Fernsehen zu sehen: Arbeiter greifen sich frisch geborene Ferkel, schlagen sie mehrmals mit dem Kopf gegen die Stallwand.
Sie sind so klein, dass sich die Aufzucht nicht lohnt. Ausschussware in der Tierindustrie. So stellt sich der Verbraucher das Vorleben seines Schnitzels ja nun nicht vor, immer öfter stellt er bohrende Fragen.
„Wegducken bringt nichts mehr“, überschrieb Das Magazin für Geflügelwirtschaft und Schweineproduktion einen Artikel im Mai. Bayerns Agrarminister Helmut Brunner sagte kürzlich: „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich die Gesellschaft immer mehr in unsere Arbeit einmischt.“ Gleich mehrere Branchenzeitschriften diagnostizierten: „Die Landwirtschaft hat ein Imageproblem.“
Prompt schlägt die Agrarindustrie den naheliegenden kapitalistischen Weg ein. Nicht die Zustände müssen verbessert werden, sondern die Public Relations. Man müsse „gemeinsam das Image aufpolieren“, empfahl die Zeitschrift Top agrar. „Höchste Zeit, in die Offensive zu gehen und die Imagewerbung zu verstärken.“
Cleveres Vokabular
Oder wie das Landwirtschaftliche Wochenblatt Westfalen-Lippe diagnostizierte: „Nicht immer verfügt die Landwirtschaft über cleveres Vokabular. Dabei lässt sich das Image der Tierhalter mit gut gewählten Begriffen positiv verändern.“ Dazu machte das Blatt etliche Vorschläge, zum Beispiel: „Mäster. Der Weg vom Mäster zum Tierquäler ist in der Assoziation nicht weit.
Auch dieser Begriff sollte sofort aus dem Vokabular gestrichen werden. Als Tierhalter wirkt man deutlich sympathischer, denn bei diesem Begriff schwingt die Sorge um das Wohlergehen der Tiere mit.“ Nächstes Problem: „Antibiotika. Bitte diesen Begriff unbedingt vermeiden. Auch wenn er in einer Frage verwendet wird, diesen nicht in der Antwort wiederholen.“
Kniffelig auch: „Schnabelkürzen. Nach dem Tierschutzgesetz ist das Kürzen des Schnabels eine Amputation, somit ein Eingriff am Tier. Wissenschaftlich korrekt müsste es daher Schnabelkürzen heißen. Hier sollte es aber das gute Recht der Landwirte sein, den negativ besetzten Begriff zu vermeiden und auf die Bezeichnung Schnabelbehandlung zurückzugreifen. Denn eine Behandlung wird von der Bevölkerung in einem deutlich positiveren Zusammenhang gesehen.“
Es ist ein Dilemma. Einerseits würde man der Öffentlichkeit gern beweisen, dass in den Ställen alles nur halb so schlimm ist. Aber wenn das Fernsehen unvermutet anklopft, passt es gerade nicht so gut. Top agrar gibt Tipps: „Überlegen Sie, was Sie auf dem Hof und im Stall zeigen und was nicht. Achten Sie auf einen gepflegten Hof und Stall, ohne gleich große Aufräumaktionen anzuschieben: Ansonsten sind Sie zum Termin nur abgekämpft.“
Abgekämpft wirkt nicht sympathisch, doch einfach die Tür zuzuhalten macht auch einen schlechten Eindruck. „Völlig überrumpelt hat deshalb schon so mancher Schweinehalter dem Kamerateam die Stalltüren geöffnet. Das Ergebnis ist selten erfreulich.“
Stall statt Anlage
Das ist kein Wunder, denn wo industriell Fleisch „produziert“ wird, wird viel geschissen, gelitten und gestorben. Also boomen Unternehmensberater, die auf das Management von Lebensmittelkrisen spezialisiert sind. Effektive Begriffskosmetik beginnt bei der Berufsbezeichnung: „Achten Sie auf die Wirkung Ihrer Worte: Sie produzieren Eier in Anlagen? Das klingt nach Industrie. Sagen Sie lieber erzeugen statt produzieren und Stall statt Anlage.“
Der Praktische Tierarzt - Zeitschrift für fortschrittliche Veterinärmedizin mahnte einst, das Wort Massentierhaltung sei negativ besetzt, aber das oft als Alternative vorgeschlagene Wort Intensivtierhaltung klinge auch nicht gut. Nur „die Bezeichnung ’konventionelle Tierhaltung‘ ist bei den Verbrauchern positiv besetzt.“ Anders sieht das der Berater Jörg Auer in einem Branchenmagazin: „Jeder Biobetrieb kann sofort in zwei, drei Sätzen die Philosophie hinter seiner Produktionsweise erläutern.
Den meisten konventionellen Landwirten gelingt das nicht. Schon der Begriff konventionell klingt nicht nach Zukunft und Innovation. Ein Autobauer käme niemals auf die Idee, sein neues Modell als konventionell zu bezeichnen.“
Überhaupt kämen nicht viele Menschen auf die Idee, ein Schwein oder eine Pute mit einem Auto zu vergleichen. Gewiss, sie alle werden „produziert“. Ist ja „Ware“. Oder doch nicht? Kürzlich kritisierte der parlamentarische Staatssekretär Horst Becker in Nordrhein-Westfalen, die Tiere in den heutigen Hochleistungsbetrieben seien überfordert: „Wir sollten unsere Nutztiere wieder als lebende Wesen betrachten.“ Das kam bei den Landwirten nicht gut an. Eine Landfrau „erinnerte den Parlamentarier daran, dass Bauern und ihre Familien krank werden, weil sie den Druck nicht mehr aushalten, den die Politik auf sie ausübt. Und da rede Becker von psychischen Problemen bei Nutztieren.“
First things first. Nutztiere als Lebewesen betrachten, das ist Luxus und geht vielleicht später mal. Leider gibt es viel „fleischlose Meinungsmache“, klagt die Zeitschrift Die Fleischerei. Zum Umgang mit verunsicherten Kunden, Vegetariern und Flexitariern empfiehlt die Beraterin Barbara Krieger-Mettbach der Fleischerinnung eine kombinierte Strategie aus „Köpfchen, Toleranz und Kreativität“.
„Fleisch macht fit“
Köpfchen ist wohl dies hier: „Fleisch macht fit und schön. Auch dies lässt sich mit den Nährstoffen begründen.“ Toleranz: „Prophylaxe: Vegetarier wieder zum Fleischessen zu bewegen ist schwieriger, als Fleischessern gute Argumente zum Fleischverzehr zu liefern.“ Selbst die veganen Kochbuch-Besteller von Attila Hildmann, „Vegan for Fun“ und „Vegan for Fit“, sind noch kein Grund zur Verzweiflung: „Hier können Fleischer von dem veganen Koch lernen. Die Botschaft: Fleisch ist gesunder Genuss. Die Slogans: „Fleisch for fit“ und „Fleisch for fun.“ So viel zur Kreativität.
Doch dann kommt der Kreativität halt die Empirie in die Quere. Achim Spiller, Lehrstuhlinhaber für Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte der Universität Göttingen – ja, solche Lehrstühle gibt es –, sagt im DLZ-Agrarmagazin: „Die gesellschaftliche Akzeptanz der Tierhaltung ist nicht mehr selbstverständlich. Wer den gesellschaftlichen Dialog in den Medien und Internetforen nicht eingeht, hat schon verloren. Zugegeben, eine Kommunikation vieler Themen der Fleischwirtschaft ist schwierig.“
Nun, das mag damit zu tun haben, dass die Tiere halt schlimm leben und elend getötet werden. Das sind keine Kollateralschäden, das ist die Essenz von Fleischkonsum und industrieller Tierhaltung. „Über die Tierhaltung wird in den Medien entschieden“, sagt jener Professor. Ein schönes Motto für 2014. Strengen wir uns an!
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