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Debatte SuizidhilfeDer doppelte Irrtum

Kommentar von P. Markus Deckert

Ärzte sollten nicht über den Tod von Menschen entscheiden, dafür fehlt jede Grundlage. Eine Antwort auf den Vorschlag des Kollegen de Ridder.

Kann ein Arzt überhaupt neutraler Erfüllungsgehilfe eines Suizidwunsches sein? Bild: dpa

L ieber Herr Kollege de Ridder, wir sind überzeugt, dass Sie redlich versuchen, ein ethisches Dilemma zu lösen, das jeden Arzt betreffen kann. Dennoch müssen meine Kollegen und ich Ihrer Position, Ärzte sollten im Notfall Suizidhilfe leisten, klar widersprechen.

Wir sind selbst Palliativmediziner mit jahrzehntelanger Berufserfahrung, und jeder von uns hat Situationen erlebt, wie Sie sie beschreiben. Wir haben bisher nicht erlebt, dass der assistierte Suizid der einzige oder der richtige Weg gewesen wäre, unerträgliches Leiden zu lindern. Dennoch mag es Situationen geben, in denen ein Arzt nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten zu dem Ergebnis kommt, er könne einem Leidenden nur noch beistehen, indem er ihm zum Tod verhilft. Wir fühlen uns nicht berufen, über eine solche individuelle Gewissensentscheidung zu urteilen.

Aber aus eigener Erfahrung und den Beobachtungen etwa in den Niederlanden oder Oregon schließen wir, dass dies nur extreme Ausnahmefälle sein können, die nur in einer ganz besonderen, intim zu nennenden geistigen Beziehung zu dem leidenden Menschen moralisch vertretbar wären.

Sie treten dafür ein, solche extremen Entscheidungen zu einer öffentlich anerkannten, gesetzlich und berufsrechtlich geregelten Option zu machen. Wir halten dies für höchst gefährlich.

Wer genau will die Suizidhilfe?

Fragen wir als Erstes, wer eigentlich den Wunsch nach assistiertem Suizid äußert. In der großen Mehrzahl sind dies Patienten, die von der letzten Lebensphase noch weit entfernt sind und ihre Autonomie und deren befürchteten Verlust aus der Perspektive ihres bisherigen Lebens beurteilen. Ist die Situation aber tatsächlich da, wird selbst unter belastendsten äußeren Bedingungen dieser Wunsch nur noch äußerst selten geäußert und sogar ausdrücklich widerrufen.

Im Rahmen einer auch nur einigermaßen guten Palliativversorgung haben wir noch keinen Patienten erlebt, der seine letzte Lebensphase abkürzen wollte. Zudem haben die meisten zu Hause versorgten Palliativpatienten de facto Zugriff auf ausreichend tödliche Medikamente, ohne dass wir dort von Suiziden erfahren. Wie kommen Sie bei Ihrer reichhaltigen Erfahrung zu der Auffassung, dass die palliativmedizinischen Möglichkeiten nicht ausreichen sollten, Leiden effektiv zu lindern? Dies entspricht, bezieht man die intermittierende Sedierung mit ein, schlicht nicht den Tatsachen.

P. Markus Deckert

ist Chefarzt der Onkologie und Palliativmedizin am Klinikum Brandenburg und Privatdozent an der Berliner Charité. Diesen Kommentar hat er als Vorsitzender der Akademie für Palliative Care im Namen des Vorstands verfasst.

Wie intensiv setzen wir uns mit der Bedeutung eines Suizidwunsches auseinander? Ist er wirklich mit dem Todeswunsch gleichzusetzen? Enthält diese Äußerung nicht vielmehr stets die Fragen, wie viel und welches Leben denn – noch – möglich sei, sowie: Wie viel bin ich in meinem leidenden Zustand noch wert? Die Hilfe zum Suizid beantwortet diese letzte Frage eindeutig mit: nichts.

Dammbruch ist eine Gefahr

Die allerwenigsten Suizidversuche geschehen aus nüchterner bilanzierender Überlegung, über 90 Prozent dagegen aus einer psychischen Krise oder Erkrankung heraus, und die allerwenigsten Menschen, die einen Suizidversuch überstanden haben, unternehmen einen zweiten – wieso sollte dies bei terminal kranken Menschen anders sein?

In welcher Weise sehen Sie das „Dammbruchargument“ widerlegt? Die Zahl der berichteten Fälle nimmt in Oregon stetig zu, und die Dunkelziffer der Fälle, in denen angesichts der grundsätzlichen Anerkennung der ärztlich assistierte Suizid formlos und unerkannt stattfindet, ist nach seriösen Schätzungen hoch und ebenfalls steigend.

Letztlich findet der entscheidende Dammbruch aber da statt, wo die ethische Grenze weiter gesteckt wird. Wie steht es um Kinder, um Demente, um andere nicht Einwilligungsfähige? Auch für sie fordern Befürworter in Belgien bereits dieses „Recht“. Wo hören wir auf? Wer garantiert, dass die Schwerstleidenden immer noch eine aufwendige Palliativversorgung erhalten, wenn es doch einen anerkannten und viel billigeren anderen Weg gibt?

Für wie viele entsteht der Suizidwunsch daraus, dass sie in einem zunehmend ökonomisierten Gesundheitssystem einen Druck spüren, zumal wenn sie, wie so viele, keinen sorgenden Rückhalt in Familie oder Freundeskreis haben.

Dennoch: Es gibt Menschen, die im Leiden an einer terminalen Erkrankung den ernsten und frei entschiedenen Wunsch haben zu sterben. Der Respekt vor ihrer Freiheit verbietet, dies durch Repression zu verhindern. Aber weshalb sollte es einer anderen Person nicht nur zugestanden, sondern sogar geboten sein, diesen Willen umzusetzen, und weshalb sollte dies ausgerechnet ein Arzt sein?

Denn wer soll die Ernsthaftigkeit des Suizidwunsches prüfen und wie? Auch das aufwendige Verfahren in Oregon ändert nichts daran, dass letztlich die persönlichen Wertsetzungen des Arztes und seine subjektive Vorstellung von „lebenswertem“ Leben und unerträglichem Leiden darüber entscheiden, ob er einen Suizidwunsch akzeptiert oder ablehnt.

Freiheit und Autonomie

Die Forderung nach dem ärztlich assistierten Suizid hat ihren Ursprung in einer sehr notwendigen Diskussion über Freiheit und Autonomie. Sie erliegt jedoch dem doppelten Irrtum, ein Arzt habe der Autonomie Vorrang vor der Unantastbarkeit des Lebensrechts einzuräumen, und er könne dabei neutraler Erfüllungsgehilfe sein.

Indem ein Arzt die Rolle des Suizidhelfers annimmt, macht er sich den Suizidwunsch dieses Patienten zu eigen und bestärkt ihn mit seiner Autorität – womöglich mehr, als jede andere Person dies könnte. Aber wie wollen wir in einer so verletzlichen Lebensphase den autonomen Willen des Patienten von den vermeintlichen oder tatsächlichen Erwartungen seiner Umwelt frei halten und unterscheiden?

Auch wenn wir überzeugt sind, dass dies Ihren Intentionen fernliegt, lieber Herr Kollege de Ridder: In diesem Irrtum bedeutet, was hier als Verteidigung von Freiheit und Autonomie daherkommt, dann eben doch unweigerlich, dass Ärzte über die Tötung von Menschen entscheiden, auch wenn sie es Selbsttötung nennen. Dies wäre eine grenzenlose Anmaßung und Zumutung zugleich und kann keine ärztliche Aufgabe sein.

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11 Kommentare

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  • Durch diese Pressemitteilung der TAZ wird es mal wieder deutlich, welchen enormen Beitrag die TAZ für unser Land leistet; genau wie es im Art. 1 GG, Abs. 2 gefordert, erwünscht und erwartet wird:

     

    “Das Deutsche Volk bekennt sich zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“

  • Vor längerer Zeit habe ich in Frankreich eine Krankenschwester kennengelernt , die als freiberufliche Sterbebegleiterin arbeitete . Diese erzählte mir mal , dass sie es in ihrer Region auch mit einem Arzt zu tun habe , der selbst schwerstkranken Krebspatienten im Endstadium nur sehr zurückhaltend Schmerzmittel zukommen ließ . Seine Begründung : Der / Die müßten erst noch "den Himmel verdienen" .

    O.k. - Einzelfall . Extrembeispiel von ärztlicher Autosuggestion der Gottähnlichkeit .

  • Teil 2/2

     

    "Wer garantiert, dass die Schwerstleidenden immer noch eine aufwendige Palliativversorgung erhalten, wenn [...]" Die Realität ist: Das garantiert auch heute niemand. Da es heute keine allgemeine humane Form des Suizids gibt, sind die Pallativ-Apologeten keinerlei Druck ausgesetzt. Es kann ihnen ja kaum einer abhauen. Erst wenn sie in "Wettbewerb" mit der Möglichkeit des Suizids treten, müssen sie wirklich was leisten, weil die Statistik sonst peinlich wird.

     

    Auch diejenigen, die "keinen sorgenden Rückhalt in Familie oder Freundeskreis haben", sollen apathisch auf den Tod warten. Warum?

     

    "[...] nicht nur zugestanden, sondern sogar geboten [...] und weshalb sollte dies ausgerechnet ein Arzt sein?" Eine fantastische Frage, die zweite. Die erste ist ja nur die Offenbarung, dass er nicht kapiert (oder ihm egal ist), was gefordert wird. Aber die zweite: Die Ärzte fordern das. Ein Gift wird durch einen Arzt nicht besser. Also heben wir einfach die Beschränkung auf, dass nur Ärzte diese Mittel legal zugänglich machen können.

     

    "[...] Autonomie Vorrang vor der Unantastbarkeit des Lebensrechts [...] neutraler Erfüllungsgehilfe" Je größer die Behauptung, desto weniger muss man sie begründen? Es geht hier nicht um Lebensrecht, sondern um Lebenspflicht. Und wer fordert, dass der Arzt neutral ist? Danach fragt bei den teuren Behandlungen, von denen der Arzt finanziell profitiert, ja auch niemand. Dass letztlich niemand als Berater wirklich neutral sein kann, beraubt den Wunsch nicht seiner Legitimität.

     

    "dass Ärzte über die Tötung von Menschen entscheiden" Es soll seitens der Ärzte lediglich über die Tötungsverweigerung entschieden werden.

     

    "Dies wäre eine grenzenlose Anmaßung" In der Tat, eine Anmaßung ist es, allen Nichtärzten das Handeln (gesetzlich) zu verbieten, den Ärzten dann aber berufsrechtlich.

    • @Hauke Laging:

      Wow , das darf man einen gekonnten und sehr angebrachten Verriss nennen !

      Ihre beiden letzten Absätze scheinen mir jedoch zu unklar . Der Professor entblödet sich nämlich am Ende nicht , die intellektuelle Unredlichkeit seiner bisherigen Argumentation nochmals ganz deutlich zu machen . Denn der Barwert seiner letzten Sätze lautet : Es g i b t keinen Suizid auf der Grundlage von Freiheit und Autonomie ; folglich läuft die von Ärzten verlangte (!) Handlung auf ( selbstredend autonome , vorsätzliche ) Tötung durch den Arzt hinaus .

  • Teil 1/2

     

    De Ridder sagt nicht, Ärzte sollten Suizidhilfe leisten. Er sagt, sie sollen das dürfen.

     

    Deckert schwadroniert, bei ihm habe noch jedes Leid gelindert werden können. Wer hat anderes behauptet? Niemand. Einerseits geht es darum, ob das Leiden quasi komplett abgestellt wird, andererseits nicht nur um Schmerzen. Wie armselig ist es obendrein, einen sedierten Patienten schmerzfrei zu nennen? Warum sollte jemand schmerzfrei auf den Tod warten müssen, wenn da sonst (subjektiv oder sogar objektiv) rein gar nichts mehr ist? Müssen Leute vor dem Druck ihrer Angehörigen geschützt werden, der ihr Leben um eine elende Woche verkürzen könnte?

     

    "Wir fühlen uns nicht berufen, über eine solche individuelle Gewissensentscheidung zu urteilen." Aber ganz genau dazu fühlen sich die Ärzte insgesamt berufen. Denn sie verhindern über das Berufsrecht eben diese Gewissensentscheidung.

     

    "Wie intensiv setzen wir uns mit der Bedeutung eines Suizidwunsches auseinander?" Er jedenfalls überhaupt nicht. Er degradiert mündige Menschen zum Spielball seines eigenen moralischen Wohlgefühls und Pallativmediziner-Egos.

     

    "Die allerwenigsten Suizidversuche geschehen [...]" De Ridder schreibt von "Menschen mit aussichtsloser Krankheit oder Versehrtheit" und Deckert schämt sich nicht, mit der *Gesamtheit* der Suizidversuche dagegenzuhalten?

     

    "wieso sollte dies bei terminal kranken Menschen anders sein" Jemand, der zu blöde ist, diese Frage zu beantworten, ist Chefarzt?

     

    "In welcher Weise sehen Sie das „Dammbruchargument“ widerlegt?" Das ist doch ganz einfach: Nicht einmal Deckert behauptet, es habe den Dammbruch gegeben. Und wenn er nun in weiterer Unredlichkeit das Unheil beliebig weit in die Zukunft legt – wer kennt die Quote in 150 Jahren? –, dann hat es zumindest nichts mehr mit den üblichen Einwänden zu tun. Was behauptet wird, ist nicht eingetreten.

  • L
    Leo

    "Denn wer soll die Ernsthaftigkeit des Suizidwunsches prüfen und wie?"

     

    Niemand. Weil es keinen etwas angeht!

  • "Aber weshalb sollte es einer anderen Person nicht nur zugestanden, sondern sogar geboten sein, diesen Willen umzusetzen, und weshalb sollte dies ausgerechnet ein Arzt sein? "

     

    An zwei Stellen des Satzes , Herr Professor , springt einem die intellektuelle Unredlichkeit dieser Überlegung förmlich in die Augen : Keinem Arzt würde es "geboten" sein , einem Patienten die geigneten medizinischen Mittel zum Suizid zur Verfügung zustellen ; über dieses 'ob' als Arzt selbst entscheiden zu können hat bisher niemand bestritten . Zum Zweiten die fast bösartig falsche Formulierung "diesen Willen umzusetzen" : Die können / sollen wohl nicht nur geistig Unbedarfte so verstehen , der Arzt habe den gewünschten Suizid voll in eigener Regie , was bedeuten würde (strafbare)Tötung auf Verlangen , im Unterschied zur straflosen B e i h i l f e zum Suizid , um die es hier aber geht .

    Und das Argument "und weshalb sollte das ausgerechnet ein Arzt sein ?" ist ausgemachter Humbug . J e d e / r kann straflose Beihilfe zum Suizid leisten ; das Problem stellt sich dabei "nur" , an die geeigneten pharmazeutischen Mittel , Instrumente und ggfs. Apparatur zu kommen .

    • R
      Richtigsteller
      @APOKALYPTIKER:

      "..das Problem stellt sich dabei "nur", an die geeigneten pharmazeutischen Mittel [..] zu kommen"

       

      Gehen Sie in zwei Apotheken und kaufen Sie z.B. je eine Packung frei verkäufliches Paracetamol. Bequemlichkeit ist angesichts der unbegrenzten ("Die Dosis macht das Gift") Menge giftiger Substanzen (und das sind nur die Intoxikationen!)nun wirklich kein Argument.

       

      "Death is easy, life is hard"

      • @Richtigsteller:

        Das ist wirklich ein cleverer Ansatz:

         

        "In England und Wales werden etwa 30.000 Patienten pro Jahr mit einer Paracetamolvergiftung als Folge eines Versuchs der Selbstschädigung ins Krankenhaus eingeliefert, von denen etwa 150 der Vergiftung erliegen."

        • TR
          Tabula Rasa
          @Hauke Laging:

          Wie gesagt, es gibt hundert Millionen mehr Arten sich zu intoxikieren. (Sogar mit Wasser, stellen Sie sich vor!)

          Wenn man sich dann natürlich in ein Krankenhaus einliefern lässt, wird einem auch geholfen werden.

          Unfreiwillig liefern Sie damit ein weiteres Indiz für die vom Autor beschriebene extreme Seltenheit wirklicher Bilanzselbstmorde.

           

          Und angesichts dessen soll die Gesellschaft sich also darauf verlegen, einen noch verlässlicheren und rechtlich abgesicherteren Weg zum Suizid etablieren?

          Solange in Deutschland Alte, Kranke und Sterbende unter miserabelsten Bedingungen ihrem Ende entgegen dämmern, ist die Pseudodiskussion (wer beim Suizid assistieren will, kann das schon heute tun)um assistierten Suizid billigste Demagogie zur Ablenkung vom wirklichen Misstand.

          Aber besser man bietet den "Schutzbefohlenen" einen "schönen Tod" als ein sauberes Bett und eine ausgefeilte Schmerztherapie - ist ja für beide Seiten viel bequemer, gell? (Und was die Kassen erst sparen!)

  • K
    Klarsteller

    Mich kotzt es an, wenn sich jemand anmasst, mich zum Tod zu verurteilen. Oder zum Leben. Das geht mich etwas an und sonst keinen. Ausser er befolgt meinen Wunsch und hilft mir.