Debatte Schriftsteller Simon Strauß: Hurra, der Streit ist da

Der FAZ-Redakteur Strauß bedient die Agenda der Rechten? Was der Radikalismusvorwurf gegen ihn verkennt.

Eine Deutschlandfahne behängt ein Fenster in einem Fachwerkhaus

Beschwört Simon Strauß in seinem Debüt wirklich wehende Deutschlandfahnen? Foto: Imago/Manngold

Bedient und verstärkt Simon Strauß, FAZ-Feuilletonredakteur und Autor des Erfolgsromans „Sieben Nächte“, neorechte Ideen, wie Alem Grabovac vor einigen Tagen mutmaßte? Sollte da etwas dran sein, könnte Strauss jedenfalls jubilieren; schließlich ist sein gefeiertes Debüt eine einzige Klage über eine als konturenlos und flau wahrgenommene Gegenwart. Was also wäre befriedigender, als nun eine radikale Position zumindest zugeschrieben zu bekommen? Das gilt sogar dann, sollte mit jenem Debattenbeitrag wieder einmal der Beweis erbracht worden sein, dass gerade ein Milieu, das derart viel auf „Diskurs“ setzt, die Grenzen desselben rigoros selbst ziehen möchte. Doch auch in diesem Falle: Hurra, der lang ersehnte Streit ist da!

In Wirklichkeit aber verhält es sich mit den von Simon Strauß herbeigewünschten „geistigen Schützengräben“, die sich angeblich nicht mit Konsens-Soße füllen lassen, wie mit vielen anderen Selbstdarstellungen der bundesrepublikanischen Autorengenerationen vor ihm: Es sind – mehr oder minder wütende oder ironisch verbrämte – Bitten um Wahrnehmung, die dann auch prompt gewährt werden. Das ist weder russisches Roulette noch Poker, sondern ein seit Jahrzehnten aufgeführtes Spiel, das vor allem anderen auf Dis­tinktionsgewinn setzt.

Wurden nicht bereits vor zwei Jahrzehnten die provozierend freundliche „Generation Golf“ und die (schon unsympathischeren) Schnösel der damaligen „Popliteratur“ für ihr vermeintliches Aufkündigen des gesellschaftlichen Grundkonsens – was auch immer dies sei – streng gerügt? Die damaligen Alarm-Texte: wiederzufinden im Archiv. Die damaligen Protagonisten: längst Teil der gesellschaftlichen „Mitte“, beschäftigt mit himmelstürzenden Veröffentlichungen über Familien­urlaub, Ehescheidungen oder überwundene Kokainsucht.

Dass nun Florian Illies, eindeutig der Reflektierteste dieser Alterskohorte, in der Zeit Strauß’ „Sieben Nächte“ zum nunmehr neuesten Generationswerk adelt und der 29-jährige Autor seine Ideen von Streit, Kampf und Leidenschaft auf allerlei Podien präsentiert, hat deshalb weniger mit einem „intellektuellen Rechtsruck“ zu tun als mit dem untrüglichen Gespür eines auch weiterhin ethnisch und sozial homogenen Mittelschichtmilieus: Ob jung oder älter, raunend konservativ, forschneoliberal oder auch genderbewusst links – man weiß, wer dazugehört. We are family!

Der selbsterklärte Außenseiter

Urkomisch daran ist vor allem eines: Wer diese Offensichtlichkeit verbittert beklagt, anstatt sie als gesellschaftliche Usance kühl zu konstatieren, will in den meisten Fällen oftmals nur eines: ebenfalls endlich hinein in jenes Gewoge, wo (laut Strauß) „Festanstellung und Spa-Wochenenden im Mai“ entweder „Angst“ gerieren oder bereits als Zukunftsoption eingepreist sind.

Der selbsterklärte Außenseiter und Zwischen-den-Stühlen-Sitzer (mit der uneingestandenen Hoffnung auf einen Ohrensessel) ist dabei sowohl eine linke als auch eine rechte Figur, trotz aller Unterschiede verbunden in der Manie des permanenten Unter-Verdacht-Setzens, einer gewissen Nöligkeit und einsamen Grübelei, deren Referenztexte ebenso gut von Ernst Jünger wie von Bret Easton Ellis stammen können. (Kein Wunder, denn ebenfalls Ausweis eines Bewusstseins, das selbst im angeblich Widerborstigen stets um Pose bemüht ist, dass wirkliche Typen wie etwa Jörg Fauser oder der polnische Erzähler Marek Hłasko es nicht einmal in Äonen auf eine solche Referenzliste schaffen würden.)

Alem Grabovac’ Einspruch freilich ist ernsthafterer Natur, denn in der Tat ist es bedenklich, wenn erklärte Illiberale wie der Blut-und-Boden-Propagandist Götz Kubitschek plötzlich in hauptstädtischen Debattensalons auftauchen.

Andererseits: Weiß man nicht spätestens seit Tom Wolfes „Radical Chic“, dass das juste milieu, seit jeher an einer gefühlten Anämie leidend, immer wieder von Schüben selbsthasserisch-verdrucksten Kokettierens heimgesucht wird? Was früher die Black Panther oder Andreas Baader und die RAF waren, sind nun – vermutlich ebenso temporär – die Hassprediger im Umkreis von Zeitschriften wie Tumult. (Wobei auch hier interessant wäre, deren Texte mit ideologisch spiegelbildlichen Verfertigungen aus Konkret oder „Junge Welt zu vergleichen.)

Bestimmte Milieus erkennen einander

Jetzt aber endlich zum Geständnis: Ich habe Simon Strauß’ nächtliche Großstadtsuche nach einem intensiveren Leben mit ebenso großer Heiterkeit gelesen wie die nachfolgenden, über alle Generationsgrenzen hinweg preisenden Rezensio­nen. Ist es nicht rührend, wenn bestimmte Menschen und Milieus einander erkennen – mitunter sogar im biblischen Sinn? Denn wie sagte vor ein paar Jahren jener Frankfurter Taxifahrer: „Bei jedem Kongress gibt’s Fuhren in’ Puff. Nur bei der Buchmesse nie – die vögeln sich selber.“

Dass nämlich nicht nur bestallte Literaturredakteure, sondern auch der bloggende Nachwuchs sich in den unter anderem der „Wollust“ (sic!) gewidmeten Beschreibungen in Strauß’ Roman prompt wiedererkennen, will etwas heißen. Bleibt nur zu hoffen, dass sie alle niemals erfahren, was die Gewitzt-Wagemutigen unter den nach Deutschland Geflüchteten oder auch die in Berlin einfach urlaubenden Latinos/Latinas oder Israelis über ihre teutonischen Altersgenossen zu berichten wissen – bei versonnenen Danach-Gesprächen auf den Liegen im „Kit Kat Club“ oder im Loungebereich der Schwulensauna „Boiler“.

Denn bei eventuellem Mithören all dieser Erlebnisse über seelische Verkantungen, erotische Indifferenz (ganz zu schweigen von den Details über mangelnde körperliche Hygiene bei den Sprösslingen einer derart auf linksrechte Bio-Reinheit bedachten Nation) könnte dann im soften Milieu vielleicht doch noch so richtig Wut ausbrechen. Und … Tumult.

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