Debatte Reform Sexualstrafrecht: Das bisschen Grabschen
Frauen müssen besser geschützt werden, hieß es nach Köln. Justizminister Maas versäumt es, das antiquierte Sexualrecht zu reformieren.
Z ivilisationsbruch! Justizminister Heiko Maas war es, der die stärkste Vokabel fand für die Gewalttaten in der Silvesternacht von Köln. Und doch bleibt der Minister weitgehend untätig. Von Vergewaltigung in drei Fällen ist in Köln die Rede, genauer: vom Einführen von Fingern in die Vagina. In gut 400 Fällen geht es um Grabschen an den Busen, den Hintern und zwischen die Beine. Zur Aufregung um den Massenangriff und dem Unverständnis über die Rolle der Polizei kam bald ein weiteres Entsetzen: Die Öffentlichkeit musste erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass der Großteil dieser Fälle in Deutschland gar nicht strafbar ist. Sogar die CDU wollte dies sofort ändern.
Der zuständige Minister Heiko Maas aber nimmt den von ihm diagnostizierten Zivilisationsbruch erstaunlicherweise nicht zum Anlass, seinen Gesetzentwurf zur Verschärfung des Sexualstrafrechts noch einmal zu überarbeiten. In dem Entwurf, der ungeändert ins Kabinett kommen soll, wird tätliche sexuelle Belästigung, wie JuristInnen das Grabschen nennen, nicht erwähnt, geschweige denn schärfer bestraft. Und beim Thema Vergewaltigung wird es ganz und gar krude.
Das Grundproblem des Sexualstrafrechts ist, dass es den Begriff der sexuellen Selbstbestimmung zwar kennt, aber nicht in ganzer Konsequenz ernst nimmt. Diese Selbstbestimmung ist nämlich nach gängigem Recht keineswegs unantastbar, sie ist im wahrsten Sinn des Wortes antastbar, begrabschbar. Fasst jemand an den Busen, dann bestimmt einE RichterIn, ob dieses Begrabschen „erheblich“ genug ist, um als sexuelle Nötigung strafbar zu sein. Ein bisschen Busengrabschen ist erlaubt; was zu viel ist, entscheidet nicht die Frau, sondern ein Gericht. Das ist keine Selbstbestimmung, das ist eine Farce.
Bei der Vergewaltigung indessen ist es so, dass ein Mann sich eine Frau nehmen kann und straflos davonkommen kann. Keineswegs reicht es nämlich aus, wenn eine Frau bloß sagt, dass sie den Geschlechtsverkehr nicht möchte. Sie muss, falls der Täter nicht unmittelbar Gewalt anwendet, ihre sexuelle Selbstbestimmung auch selbst verteidigen, schreien, boxen und treten oder wegrennen. Tut sie es nicht, dann muss sie unmittelbar vor der Tat bedroht worden sein oder sich in einer schutzlosen Lage befinden. Beides wird genau definiert – und viele Fälle passen nicht darunter.
„Nicht entschlossen genug gewehrt“
Fand die Drohung zeitlich früher statt, findet der Richter die Lage nicht genügend schutzlos (Hat sie geprüft, ob die Tür wirklich abgeschlossen war?), dann ist die Tat im juristischen Sinn keine Vergewaltigung mehr. Hat sie so viel Angst vor dem Mann, dass der keine Drohung mehr benötigt – Pech. Droht er ihr mit einer direkten Gewalttat, hat sie Glück und wird vom Gesetz erfasst, hat er dagegen in der Vergangenheit gedroht, dann hat sie ebenfalls Pech gehabt.
„Schutzlücken“ nennt die Politik diese Fälle, in denen die Wahrung der sexuellen Selbstbestimmung einer Frau in vielen Fällen davon abhängt, ob sie sich genau so zu schützen versucht, wie der Gesetzgeber sich das vorgestellt hat. Das Gericht befindet dann, ob eine Drohung drohend genug war oder sie in einer genügend ausweglosen Lage gewesen sei.
So entsteht die krude Lage, dass die Strafbarkeit einer Vergewaltigung in manchen Fällen vom Verhalten des Opfers abhängt. Ein Diebstahl ist ein Diebstahl, ob man die Tasche nun offen oder geschlossen getragen hat. Nur die Vergewaltigung trägt diesen Rest von Herrenrecht mit sich herum. Wenn er keine unmittelbare Gewalt angewandt hat, kann der Täter sagen: „Sie hat sich nicht entschlossen genug gewehrt, also war sie einverstanden“ – dieser Ausrede öffnet das heutige Strafrecht Tür und Tor. „Nein heißt Nein“, ein Slogan der Frauenbewegung aus den Siebzigern, ist in diesen Fällen immer noch nicht umgesetzt.
„Nein heißt Nein“
Der Europarat verabschiedete die seit August 2014 geltende Istanbul-Konvention, die „nicht einvernehmliche sexuelle Handlungen“ unter Strafe stellt. Da wäre ein „Nein heißt Nein“.
Heiko Maas aber musste bereits zum Jagen getragen werden, damit er überhaupt zur Kenntnis nimmt, dass das deutsche Sexualstrafrecht so nicht mehr haltbar ist. Was hat er jetzt, nach Köln, getan? Er hat nicht endlich den Schritt gemacht, die sexuelle Selbstbestimmung der Frau zu schützen, indem er ihr Nein ernst nimmt.
Stattdessen hat er einzelne Verschärfungen in einen Paragrafen eingebaut, der heißt: „Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen“. Ja, man denkt unwillkürlich an Behinderte, Kranke oder Kinder, und genau hier werden die Frauen nun auch einsortiert. Die Logik lautet nun: Sie müssten sich zwar eigentlich wehren, sind aber aus verschiedenen, teils pathologischen Gründen dazu nicht fähig.
Mit anderen Worten, Maas bewegt sich eher noch weiter weg von einem schlichten „Nein heißt Nein“: Nun muss geguckt werden, ob ein „empfindliches Übel“ drohte. Ob das Opfer wirklich überrascht wurde oder es schon kommen sah. Oder ob es in einer psychisch so üblen Verfassung war, dass es sich nicht hätte wehren können. Seine sexuelle Selbstbestimmung wird also nur dann geschützt, wenn es es selbst aus eng definierten Gründen nicht hinbekommt.
Warum wird das Grabschen nicht bestraft?
Warum kein „Nein heißt Nein“? Und warum wird das Grabschen nicht bestraft? Insbesondere Letzteres versteht nach Köln kein vernünftiger Mensch mehr. Maas wiegelt ab: Man habe eine Kommission eingesetzt, die das gesamte Sexualstrafrecht unter die Lupe nehmen soll. Wer das Schicksal von Reformkommissionen kennt, weiß, dass diese sich hervorragend als Mittel eignen, etwas auf eine ganz lange Bank zu schieben, und dann, huch, gibt es einen neuen Justizminister und der muss erst mal wieder eine eigene Kommission einrichten und wer weiß, was dann der Koalitionspartner sagt.
Heiko Maas könnte jetzt etwas ändern und die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen schützen. Er könnte etwas gegen weitere „Zivilisationsbrüche“ tun. Er könnte die Istanbul-Konvention angemessen umsetzen. Er hat jetzt sogar grünes Licht von der Union, die seinen Gesetzentwurf bisher ausgebremst hatte. Er hat beispiellosen Rückenwind aus der Bevölkerung. Mit anderen Worten: Das Fenster der Gelegenheit war nie so weit offen und wird es in absehbarer Zeit auch nicht mehr sein. Warum der Justizminister es nicht nutzt, ist mit rationalen Argumenten nicht mehr erklärbar.
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