Debatte Prostitution: Die Frauen sind letztlich egal
Die Union will die Prostitution neu regeln. Aber es geht nur um Populismus. Keiner ihrer Vorschläge hilft in Not geratenen SexarbeiterInnen.
S eit Wochen übt die Union Druck auf das Familienministerium aus und fordert, das im Koalitionsvertrag angekündigte neue Prostitutionsgesetz zügig umzusetzen. Es wird zur Eile gedrängt, da „das Leid der Frauen in der Prostitution nicht länger hinnehmbar“ sei. Weshalb die seit 2005 durchgängig regierende Union bislang keinen Finger gerührt hat, um Prostitution zu regulieren und Prostituierte zu unterstützen, bleibt unbeantwortet.
Zudem vermischt die Union drei Bereiche mit unterschiedlichen Problemlagen: die legale Prostitution, die Ausbeutung in der Prostitution und die Zwangsprostitution, die eine strafbare Menschenrechtsverletzung ist. Ist hier tatsächlich die Unterstützung betroffener Frauen in Notlagen das Ziel? Vielmehr scheinen Profilierungsdruck und ein Abzielen auf das Bauchgefühl der Öffentlichkeit beim sensiblen Thema Prostitution im Vordergrund zu stehen.
So will die Union Prostitution erst ab 21 Jahren erlauben, um „die stetige Nachfrage nach immer jüngeren Frauen“ einzudämmen. Eine aktuelle Anfrage an die Regierung hat aber gezeigt, dass es keine empirischen Daten gibt, die eine steigende Nachfrage nach immer jüngeren Frauen belegen. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass die unter 21-jährigen Prostituierten illegal weiterarbeiten. Kontakt und mögliche Hilfsangebote würden gänzlich abgeschnitten. Zudem: Unser Recht lässt es nur in Ausnahmefällen zu, Erwachsene, voll Geschäftsfähige vor sich selbst zu schützen. Achtzehnjährige können als Soldaten ihr Leben in Gefahr bringen. Es gibt keinen Grund, an Prostituierte andere Maßstäbe anzulegen.
Katja Dörner ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2013 stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Ulle Schauws ist Mitglied im Bundestag für Bündnis90/Die Grünen, Medienwissenschaftlerin und frauenpolitische Sprecherin im Landesvorstand NRW.
Wieder eingeführt werden sollen nach Ansicht der Union verpflichtende regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen für Prostituierte. Diese gibt es seit 2001 nicht mehr, weil keine erhöhte Infektionsgefahr mit Blick auf sexuell übertragbare Krankheiten belegt wurde und Fachleute aus Gesundheitsverbänden sie nicht für angemessen erachten. Sie werden vielmehr als diskriminierend angesehen. Häufig meinten Freier, durch die scheinbare Gesundheitsgarantie auf Kondome verzichten zu können.
Wenig praxistaugliche Vorschläge
Mit einer Anmeldepflicht für alle Prostituierte will die Union außerdem die Unterscheidung zwischen legaler Prostitution und strafbarer Zwangsprostitution erleichtern. Der Vorschlag ist wenig praxistauglich, weil sich jede Frau und jeder Mann eine Anmeldekarte holen könnte. Polizeikontrollen könnten nur die Übereinstimmung des Namens auf Anmeldekarte und Ausweis feststellen. Offen bleibt, wie Anonymität und Datenschutz gewährleistet werden sollen. Besonders in kleineren Städten und Dörfern wüssten schnell alle Bescheid. Probleme bei der Wohnungssuche und bei einem Umstieg auf eine andere Tätigkeit wären vorprogrammiert.
Die Union versteckt ihre auf Kontrolle abzielenden Forderungen hinter dem Argument, durch Pflichtuntersuchungen und Anmeldungen niedrigschwelligen Kontakt zu unterstützenden Behörden und Organisationen zu „vermitteln“. Ein erzwungener Abstrich auf einem Gynäkologenstuhl dient aber wohl kaum dazu, Vertrauen in Behörden zu fördern. In keinem Arbeitsbereich in Deutschland sind regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen Pflicht. Für Menschen, die mit Lebensmitteln umgehen, ist seit 2001 eine Gesundheitsbelehrung Vorschrift, in der über Symptome von Krankheiten informiert wird. Diese Vorschrift ergibt Sinn. Denn keine regelmäßige Gesundheitsuntersuchung kann eine Infektion in der Zeit zwischen den Untersuchungen ausschließen.
Auch für Prostituierte gilt: Es ist sinnvoller, Menschen handlungsfähig zu machen, damit sie selbst erkennen und handeln können, wenn sie krank sind. Ein Ausbau der Beratungs- und Sozialangebote und mehrsprachige Aufklärungshilfen für Prostituierte sind hier die deutlich bessere Lösung. Denn vor allem der vertrauensvolle und langfristige Kontakt vor Ort kann Menschen erreichen und Schutz vor Ausbeutung bieten und – wenn dies gewünscht ist – Wege aus der Prostitution zeigen. Die Finanzierung darf dabei nicht allein Ländern und Kommunen überlassen werden.
Weitgehendes Aufenthaltsrecht
Eine Weiterentwicklung des Prostitutionsgesetzes halten wir für notwendig. Doch muss eine solche Reform den Frauen und Männern nutzen, deren Beruf die Prostitution ist. Maßnahmen, wie sie die Union jetzt fordert, die letztlich dazu dienen, Prostituierten das Leben schwer zu machen, sind kontraproduktiv. Dass gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution strafrechtlich und konsequent vorgegangen werden muss, ist unstrittig.
Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ist eine massive Menschenrechtsverletzung, die in Deutschland bereits seit vielen Jahren strafbar ist. Dennoch wird in der Debatte eine Ausweitung des Menschenhandels durch das Prostitutionsgesetz aus dem Jahr 2002 unterstellt. Belege hierfür gibt es nicht. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen vom Juni 2014 ausgeführt: „Die Herstellung von kausalen Verknüpfungen zwischen den Veränderungen der Rechtslage durch das Prostitutionsgesetz und der Entwicklung des Menschenhandels ist praktisch nicht möglich.“
Die Ankündigung der Union, durch eine Reform des Prostitutionsgesetzes Menschenhandel bekämpfen zu wollen, ist nicht seriös. Statt auf Fakten setzt sie auf Populismus. Das schadet der Suche nach Wegen, Prostituierte tatsächlich vor Gewalt und Ausbeutung zu schützen. Stattdessen muss die Bundesregierung die EU-Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer endlich umsetzen.
Die Opfer brauchen ein weitestgehendes Aufenthaltsrecht in Deutschland, unabhängig von ihrer Beteiligung im Prozess gegen ihre Peiniger. Ob dieses Aufenthaltsrecht kommt, daran wird die Union ihr Engagement messen lassen müssen.
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