Debatte Papst und Erzkonservative: Südwind aus Rom
Franziskus versucht, gegen den Willen erzkonservativer Hardliner eine Öffnung der Weltkirche zu erreichen. Aber er weiß, dass ihm die Zeit davonrennt.
E s ist nur eine Kleinigkeit, aber sie erzählt einiges: Ein Vatikaninsider hat neulich öffentlich gemacht, dass an der Tür der bescheidenen Wohnung von Papst Franziskus im Gästehaus St. Marta im Vatikan ein Schild hängt, auf dem steht: „Vietato lamentarsi“ – also in etwa: „Nicht klagen!“
Tatsächlich ist das Schild bezeichnend. Denn es funktioniert in beide Richtungen: Wer eintritt, solle nicht klagen. Aber auch: Dem Haus- beziehungsweise Wohnungsherrn ist es untersagt, zu klagen. Das Schild beschreibt ganz gut die Lage, in der Franziskus derzeit steckt. Immer wieder wirkt der Papst sehr müde und manchmal auch etwas genervt – der atemberaubende Schwung der ersten Jahre scheint fürs Erste dahin.
Der Pontifex Maximus will nicht nur Klagen hören, sondern Positives. Das ist verständlich, denn ohne positives Feedback fällt ein Reformwerk wie das des Papstes mit seiner Kirche sehr schwer. Und die Aufgabe ist immens: Die katholische Kirche aus ihrer jahrhundertealten Orientierung auf Rom, auf Macht, Wohlstand und Sicherheit herauszureißen und sie auszurichten auf die Peripherie, auf Ohnmacht, Armut und kreative Unsicherheit, ist enorm mühsam. Da kann man schon mal ins Klagen kommen ob der Widerstände, die es zu überwinden gilt.
Das Problem: Nach vier Jahren auf dem Petrusthron müsste Papst Franziskus eigentlich noch mal richtig rangehen an die große Reform – aber hat er die Kraft dazu?
Wichtige Widersacher kaltgestellt
Die Ausgangslage ist eigentlich günstig. Denn wichtige Widersacher des Papstes wie der mächtige Finanzchef des Vatikans, George Pell, sind kaltgestellt: Der Australier hat vorübergehend sein Amt niedergelegt, weil er sich für alte Vorwürfe wegen der Verschleppung eines Missbrauchsskandals in seiner Heimat verantworten muss. Dazu kommen neue Vorwürfe zweier Männer, die Pell beschuldigen, in ihrer Jugend sexuelle Gewalt gegen sie ausgeübt zu haben.
Die Amtszeit des deutschen Kardinals Gerhard Ludwig Müller, bisher Präfekt der Glaubenskongregation, wurde vom Papst nach fünf Jahren einfach nicht verlängert, was sehr ungewöhnlich ist – Müller hat jüngst entsprechend pikiert reagiert.
Und der alte Papst-Benedikt- und Papst-Johannes-Paul-II.-Fan, der Rechtsaußen des deutschen Katholizismus, Kardinal Joachim Meisner, kann auch von der Seitenlinie mit seinem Spezi, dem vatikanischen Kirchenhistoriker Kardinal Walter Brandmüller, nicht mehr stören: Der liebe Gott hat Meisner zu sich gerufen.
Ungeheuerliche öffentliche Briefe
Die ungeheuerlichen öffentlichen Briefe, die Meisner und Brandmüller an den Papst geschrieben haben, um ihn irgendwie zur Ordnung im Sinne einer konservativen Lesart seiner Enzyklika „Amoris Laetitia“ zu rufen – eine Frechheit, die die Briefeschreiber bei früheren Päpsten aufs Schärfste verurteilt hätten –, blieben vom Papst kluger Weise unbeantwortet. Nach dem Motto: Noch nicht mal ignorieren. Aber eine gewisse schädliche Wirkung hatten die Briefe gleichwohl.
Dass Erzbischof Georg Gänswein, ein weiterer Benedikt-Fan, der von Franziskus notgedrungen als Privatsekretär übernommen worden war, auf Meisners Beerdigung im Kölner Dom ein Grußwort Benedikts verlas, in dem er von einem Widerstand gegen eine „Diktatur des Zeitgeistes“ sprach, war ebenfalls ein Affront. Papst Franziskus weiß sehr wohl, wo die Gegner seiner Reform stehen – und sie werden, trotz aller Rückschläge in den vergangenen Wochen, nicht aufgeben.
Immerhin, Papst Franziskus hat schon einmal vorgesorgt, sollte er nicht mehr so lange leben, was bei einem 80-Jährigen mit eingeschränkter Lungenfunktion ja nicht ausgeschlossen ist. Franziskus hat schon vor Jahren einmal gesagt, dass ihm wohl nur ein paar Jahre an den wichtigsten Schalthebeln der Weltkirche bleiben würden. In Rom wird recht öffentlich schon von der „zweiten Halbzeit“ des Papstes gesprochen, die bereits begonnen habe. Dem argentinischen Oberhaupt der Weltkirche rennt ganz offensichtlich die Zeit davon.
Eine erstaunliche Zahl
Dass die katholische Kirche auch nach seinem Tod noch eine Weile in seinem Sinne ticken könnte, hat Franziskus durch die jüngsten Kardinalsernennungen abzusichern versucht. Von den etwa 120 Kardinälen unter 80 Jahren, die den zukünftigen Papst wählen werden, hat Franziskus knapp 50 selbst ernannt – eine Zahl, die angesichts seines noch kurzen Pontifikats erstaunlich ist.
Und der Papst hat darauf geachtet, dass diese Kardinäle zumindest nominell die Kirche meist so repräsentieren, wie er sich die Kirche der Zukunft vorstellt – im Sinne einer weniger Europa-zentrierten, polyphoneren Kirche des Südens: Aus diesen Regionen kommen sehr viele der neuen Kardinäle.
Papst Franziskus hat seit seiner Wahl 2013 klar gemacht, dass er Bewegung, ja Unruhe in die Kirche hineinbringen möchte. Dass der Endpunkt dieser Bewegung dabei noch nicht klar ist, gehörte dabei zum Plan. Franziskus vertraut da schlicht auf den Heiligen Geist, was für europäisch-säkulare Ohren klingt wie seltsam aus der Zeit gefallen.
Mehr Spielraum für Volkskirchen
Jorge Mario Bergoglio hat zudem immer betont, dass er nicht mehr alles in Rom zentriert sehen möchte, was in den Volkskirchen der Welt besser und passender gestaltet werden kann, nämlich nach den Bedürfnissen vor Ort. So hat er es den jeweiligen Bischofskonferenzen de facto freigestellt, ob sie beispielsweise wieder verheirateten Geschiedenen den Zugang zum Abendmahl unter bestimmten Umständen wieder erlauben.
Eine Reform, gegen die Hardliner wie Meisner, Brandmüller und andere vehement protestiert haben. Die deutsche katholische Kirche aber hat diese Chance nach langem internem Ringen ergriffen – und zwar ganz im Sinne von Franziskus.
50, ist taz-Redakteur für Religion und Gesellschaft. In seiner Jugend war er Messdiener, nachhaltig prägte ihn später die lateinamerikanische Befreiungstheologie.
Es ist unklar, wie weit Franziskus am Ende mit seiner Reform der Kirche kommen wird – und wie viel nach seinem Tod wieder von den reaktionären Kräften einkassiert werden kann. Eins aber ist klar: Früher oder später wird die katholische Kirche qua Demografie ziemlich genau die Kirche sein, wie Papst Franziskus sie sich vorgestellt hat: eine Kirche der Armen der Welt, die vor allem im Süden des Globus leben. Und spätestens dann wird man ihn heiligsprechen.
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