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Debatte Merkels FlüchtlingspolitikKeine Schutzheilige der Muslime

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Rechte Publizisten zeichnen Merkel gern als gescheitert. Dabei hat der Kanzlerin ihre Flüchtlingspolitik weniger geschadet als Hartz IV der SPD.

Kritik und Lob, Kritik und Lob – Merkel bekommt von beidem viel Foto: ap

S ei einem Jahr läuten die Totenglocken ohne Pause. Glaubt man vielen konservativen Publizisten, ist Merkel seit der Ankunft der Flüchtlinge erledigt. Woche um Woche erscheinen Grabreden. Da hat Merkel, als sie die Syrer ins Land ließ, das „politische Klima vergiftet“, in Europa eine „existenzielle Krise“ ausgelöst und endet jetzt verdientermaßen „am Tiefpunkt“ (Cicero).

Sie hat die CDU zu „desaströsen Wahlergebnissen“ geführt und Deutschland in „ungekannte soziale, kulturelle und religiöse Konflikte (ge)stürzt“, nur logisch ist da, dass ihr „Reich zerfällt“ (FAZ). Sie führt eine „Schreckensherrschaft“ und muss als „Gefahr für die Zukunft unseres Landes“ (Nicolaus Fest) gelten.

Opfer islamistischer Anschläge hat die Kanzlerin persönlich auf dem Gewissen („Merkels Tote“), auf einschlägigen Facebook-Seiten werden deshalb Mordaufrufe gepostet. Die ganz Rechten raunen gleich vom Bürgerkrieg um den Regimewechsel: Der Höcke-Kumpel und „Compact“-Herausgeber Jürgen Elsässer forderte die „verantwortungsbewussten Kräfte im Staatsapparat – unter die die Kanzlerin nicht fällt, sie ist die ‚Königin der Schlepper‘ und die Einladerin für die Terroristen!!“ – zum Handeln gegen Flüchtlinge und Muslime auf.

Geht es nach den Rechten, ist Merkel eine politische Untote, der das Volk die Flüchtlinge nie verziehen hat. Im Kanzleramt sitzt sie nur noch ihre Tage ab, bis das Land im September von ihr erlöst wird. Die „Flüchtlingskanzlerin“ hat, das versuchen sie seit Jahr und Tag herbeizuschreiben, krachend zu scheitern.

Den Gefallen wird sie ihnen, wie es aussieht, nicht tun. Die Herren, die sich so nah am Volksempfinden wähnen, sollten auf die Geschichte der deutschen Wahlergebnisse schauen. Die zeigt: Merkel hat sich, was den Popularitätserhalt angeht, gut geschlagen. Und das eben nicht nur im Ausland.

Mit einer komplett neuen Partei herumschlagen

Von Merkels sieben Amtsvorgängern haben es fünf geschafft, wiedergewählt zu werden, aber nur zwei (Adenauer und Kohl) mehr als ein Mal; wenn man Misstrauensvoten nicht mitrechnet. Merkel ist in der dritten Amtszeit, eine vierte ist durchaus möglich. Dann würde sie 16 Jahre regieren und damit so lang wie der Rekordhalter Kohl. Der einzige Kanzler, der über mehr als eine Wiederwahl an Zustimmung gewinnen konnte, war Adenauer. Brandt und Schmidt legten zwar zwischen ihrer ersten und letzten Wahl leicht zu – Brandt um 3, Schmidt um 0,3 Prozentpunkte –, schafften aber nur jeweils eine Wiederwahl.

Kohl hingegen hat zwischen seinem Amtsantritt 1983 und seiner letzten Wahl 1998 fast 14 Prozentpunkte an Zustimmung verloren. Schröder gingen nach sieben Jahren fast sieben Prozentpunkte verloren. Seit dessen Agenda 2010 im Januar 2005 in Kraft trat, sind die Sozialdemokraten in Bereiche abgestürzt, die für die Partei zuvor undenkbar waren.

Merkel aber ist 2005 mit 35,2 Prozent gewählt worden. Bei den sieben seit dem 9. Februar veröffentlichten Umfragen landet sie im Schnitt bei 32,6 Prozent. Das ist ein Verlust von gerade mal 2,6 Prozentpunkten, nach 12 Jahren Kanzlerinnenschaft. Und ob der Schulz-Effekt anhält, ist fraglich.

Kein Kanzler vor Merkel musste sich mit einer komplett neuen Partei herumschlagen, die einen in CDU-Milieus programmatisch so verfangenden Frontalangriff fährt wie die AfD. Keiner der CDU-Kanzler wurde über so lange Zeit derart aggressiv von der eigenen Schwesterpartei bekämpft, wie Seehofer es in den letzten 18 Monaten bei Merkel getan hat. Die Zerfallserscheinungen von EU und Euro, dazu islamistische Terroranschläge – alles in dieser Form für eine Bundesregierung neue, fundamentale Probleme – , machten die Sache für Merkel nicht leichter.

Ein Blick auf den Rest Europas

Wenn man davon ausgeht, dass viele Leute nach einem Jahrzehnt so oder so ein Bedürfnis nach neuem Führungspersonal verspüren, dann steht Merkel nicht schlecht da. Die Flüchtlinge, die ihr angeblich den Genick gebrochen haben, haben ihr am Ende kaum geschadet – jedenfalls weniger als Hartz IV der SPD.

Das kommt freilich nicht von ungefähr. Die Schutzheilige der Syrer und Muslime, als die sie Rechtspopulisten hinstellen, war Merkel nie. Sie hat keinen einzigen Flüchtling „eingeladen“. Das Aussetzen der Dublin-Regelung für einige Monate war eine vorübergehende humanitäre Ausnahme. Legale Fluchtwege hat die Bundesregierung bis heute nicht geschaffen. Zwar gibt es heute eine spärliche Zahl an Kontingentplätzen, aber die wurden nur unter großem Druck eingerichtet. Und seit 2015 tut Merkel alles, damit die Grenzen zu bleiben. Ihre Asylpolitik ist härter als jene der Allparteienkoalition des Jahres 1992, die das Grundgesetz änderte.

Ob sich der Aufstieg der AfD überhaupt an der Ankunft der Flüchtlinge ab Sommer 2015 festmachen lässt, ist keineswegs sicher. Pegida entstand bereits im Herbst 2014, als von einer Flüchtlingskrise noch keine Rede sein konnte. In jenem Jahr kamen nur 200.000 Flüchtlinge nach Deutschland, also genauso viele, wie die CSU per Obergrenze als verträglich festlegen lassen will. Ein Blick auf den Rest Europas deutet ebenfalls in diese Richtung: Rechte Parteien sind in den letzten Jahren in Ländern ohne irreguläre Migration – etwa Finnland – ebenso erstarkt wie in solchen mit – etwa Ungarn. RechtspopulistInnen brauchen nicht unbedingt Flüchtlinge. Trotzdem schadet es ihnen, wenn immer weniger kommen.

So wie Konservative aus der Ankunft der Flüchtlinge das Ende von Merkel ableiten, glaubt die AfD, dass die Entwicklung automatisch auf sie zuläuft und fantasiert von Koalitionen, die sie anführen will. Doch heute kommen in Deutschland weniger Flüchtlinge an, als selbst die CSU für problematisch hält: Rechnet man die Januar-Zahlen hoch, werden es 2017 nicht einmal 200.000. Schon in der letzten Woche ist die AfD, sicher auch deshalb, in Umfragen auf 8 Prozent gefallen. Arbeitet sie so diszipliniert an ihrer Selbstzerlegung weiter wie in den letzten Wochen, kann sie sich freuen, wenn sie im Herbst die Fünfprozenthürde schafft.

Die Katastrophenstimmung, die nach dem Sommer der Flüchtlinge rechts der Mitte ausgerufen wurde – sie hat sich abgenutzt.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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14 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Das ganze Ausmaß an nicht tragbaren hohen Kosten zeigt sich nicht jetzt in einem nicht mehr überschaubaren Ausmaß, vielmehr erst in einigen Jahren.

    Millionen von Menschen, die auch nach Deutschland wollen, sitzen in Afrika bereits auf gepackten Koffern.

    Nachkommen werden für eine unkontrollierte Einwanderungspolitik noch bezahlen müssen.

    Die CDU ist u.a. wegen Merkel und nicht nur wegen der Einwanderungspolitik unwählbar geworden.

    Merkel muss weg.

    Dazu gibt es bei den BT-Wahl im Herbst die Möglichkeit und die erste Trendtestwahl bei der NRW Landtagswahl im Mai.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    'Child's Play', Chucky - Die Mörderpuppe.

  • Man kann zu Merkel stehen wie man will...

     

    Aber wenn man ehrlich ist, hat Merkel in der Flüchtlingsdebatte immer der Mehrheitsmeinung im Volk entsprochen.

    Ihre Entscheidung, die Grenzen zu öffnen, wurde zu der Zeit von einer deutlichen Mehrheit der Bürger mitgetragen. Nachdem die Stimmung gekippt ist, hat sie alles dafür getan, dass die Migration wieder deutlich reduziert wird.

    Wie soll sich da eigentlich bitte das "Volk" beschweren bzw. wieso sollte sie dadurch ihre komplette Beliebtheit einbüßen. Es ergäbe einfach keinen Sinn. Da müssen schon alternative Fakten her, sonst wird das nichts.

    • @Co-Bold:

      " immer der Mehrheitsmeinung im Volk entsprochen"

       

      Zutreffend. Das ist für einen politischen Führer aber zu wenig. Es fehlt bei Merkel - und nicht nur bei ihr - an zukunftsweisenden Ideen. Merkel ist verkörperter Durchschnitt. Das ist sehr demokratisch - aber zur Lösung von komplexen Problemen nicht geeignet.

    • @Co-Bold:

      Wie nennt man des nochmal, wenn die Mehrheit des Volkes direkt die Politik bestimmt ... hm... Demokratie?

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @Co-Bold:

      ...Merkel, dreht sich wie die Fahne im Wind.

      Im Herbst sind Wahlen und was macht 'unsere' Bundesmergel? Sie will GEFALLEN.

    • @Co-Bold:

      Ihrer guten Analyse kann man nur zustimmen.

  • Was das Volk jetzt dringend braucht, ist die Reaktivierung bzw. die Erneuerung der Sozialen Politik. Mit Sozialen Themen könnte momentan jede Partei punkten.So könnte z.B. HARTZ IV verbessert werden. Nicht umsomnst hat HARTZ IV der SPD und den Grünen sehr viele Wähler damals gekostet.

  • Das ist mal wieder eine ziemlich engstirnige Analyse die die aussenpolitischen Verwerfungen die Merkels Politik verursacht hat, völlig ausser Acht lässt und ausblendet dass die negativen Folgen der Flüchtlingspolitik erst zum Vorschein kommen werden wenn die Steuergelder nicht mehr so üppig sprudeln...

    • @Jenny Berend:

      ??? Mit wem haben wir uns außenpolitisch verworfen? Ungarn? Polen? Türkei am Ende? Das ist doch ein Verdienst, wenn die diplomatischen Beziehungen zu Ländern, die auf der rechten Seite vom Diplomatie-Teller rutschen, nicht einfach so weitergeführt werden.

  • Liest sich ein bisschen wie Wahlkampf für Frau Merkel und das in der Taz.

     

    gewollt oder ungewollt ?

  • Wenn Merkel scheitert, so hat das genau einen Grund: eine fast lückenlose Bilanz der Unfähigkeit. Wer es nicht glaubt, der versuche doch einfach mal, die Entscheidungen der Merkel-Regierungen der letzten 12 Jahre durchzugehen und beurteile jeweils nach gut und schlecht. Bei mir kommen da fast keine guten und jede Menge schlechte Entscheidungen heraus.

    Oder alternativ schaue man sich den Zustand Europas im Jahre 0 vor Merkel und jetzt im Jahre 12 nach Merkel an. Ein Unterschied wie Tag und Nacht! Und dass die Chefin des wirtschaftsstärksten europäischen Landes an dem traurigen Zustand der EU und Europas keinen wesentlichen Anteil daran hat, ist extrem unwahrscheinlich!

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Merkel hatte aber auch, bedingt durch den einen Aspekt ihrer Politik, durchweg fantastische Presse und einen Ministerpräsidenten der eigentlichen Opposition der öffentliche Fürbittenbekenntnisse abgegeben hat.

    Die Wirtschaft frohlockte und sah einem erneuten Wirtschaftswunder entgegen (http://www.faz.net/aktuell/technik-motor/iaa/daimler-chef-zetsche-fluechtlinge-koennten-neues-wirtschaftswunder-ausloesen-13803671.html) oder, wenn's bisschen ehrlicher zuging, freute sich über preiswerte Gärtner (https://www.welt.de/wirtschaft/article149914423/Fluechtlinge-sind-eine-Riesenchance-fuer-Deutschland.html).

    Das war fast wie Kohl nach der Einheit im Osten.

     

    Problematischer wurde dann, wenn AfD mit dem Thema ordentlich Reibach machen konnte und in England, Österreich und USA sich unerwünschte politische Auswirkungen zeigten. Dann wird man schon mal medial fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel (1998 Reprise?).

     

    Merkels Glück ist, dass die Alternative, im Unterschied zu 1998, mit extrem heißer Nadel gestrickt wurde und höchst unseriös (Gottkanzler) dem Wahlvolk am Anfang angepriesen worden ist. Es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn sie's nicht nochmal wird.

  • Och nö - Jetzt auch noch Mengenlehre &

    Ohne Zeitachse.

    Ok - Rosenmontag!

    Köbes Underground!

    Da geraten Äpfel & Birnen &

    Sonstige Obstler zu -

    Zapfen - von Kölsch&Alt.

    Alaaf&Helau!