Debatte Liberale und Rechtspopulismus: Freiheit, die wir meinen
Die politische Linke sollte der FDP alles Gute wünschen. Warum? Ein wirtschaftsliberaler Impulsgeber ist das beste Mittel gegen rechtspopulistische Strömungen.
D ie Berliner Republik ist das letzte europäische Land mit hohem Immigrantenanteil, in dem rechtspopulistische Parteien keine bedeutende Rolle spielen. Dies ist bemerkenswert, da gerade die Zuspitzung von Zuwanderungsfragen Rechtspopulisten zu großen Wahlerfolgen verholfen haben.
Die Schwäche von Parteien wie der diversen Pro-Bewegungen und die Tatsache, dass zurzeit zwar immer mal wieder von den Chancen einer rechtspopulistischen Organisation gesprochen, vor einer tatsächlichen Neugründung aber zurückgeschreckt wird, hat – entgegen der weit verbreiteten Meinung – nur wenig mit der NS-Vergangenheit Deutschlands zu tun.
Entscheidend für die Erfolgschancen rechtspopulistischer Bewegungen sind vielmehr die Art und Weise, in der Probleme von etablierten Parteien dargestellt und diskutiert werden. Der FDP kommt dabei eine unverzichtbare Rolle zu. Setzen die Liberalen ihre Talfahrt bei den anstehenden Landtagswahlen fort und scheitern sie womöglich sogar an der Fünfprozenthürde bei den nächsten Bundestagswahlen, würde dies rechtspopulistische Strömungen enorm begünstigen.
Deren Schwäche hierzulande lässt sich mit zwei Konstanten des Parteienwettbewerbs erklären: Zum einen haben CDU und CSU in den vergangenen Jahren mit ihren Positionen in Zuwanderungs- und Integrationsfragen die Wählernachfrage nach rechtskonservativen Forderungen weitgehend abgeschöpft.
studierte Soziologie und Politik in Würzburg, Seattle, Bergen und Berlin. Er ist Dozent an der Humboldt Universität Berlin und promoviert über rechtspopulistische Parteien im westeuropäischen Vergleich.
Die Rechten kleingehalten
Zweitens, und das ist ebenso wichtig, haben die leidenschaftlich geführten Auseinandersetzungen der Parteien über soziale Fragen das Bedürfnis nach rechtspopulistischen Gruppierungen in der Bundesrepublik bisher außerordentlich klein gehalten. „Die beste Möglichkeit, rechtspopulistische Parteien empfindlich zu treffen“, hat die norwegische Politikwissenschaftlerin Elisabeth Ivarsflaten formuliert, „sind aufgeheizte ökonomische Debatten.“
Dies hat vier Gründe: Erstens verhindert ein ausgewachsener Parteienstreit über Wirtschaftsfragen, dass konfliktträchtige Immigrations- und Integrationsdebatten dominant werden. Dies führt zweitens dazu, dass die politischen Diskurse weniger durch Kontroversen über Identität und Zuwanderung emotionalisiert werden.
Beides gräbt rechtspopulistischen Parteien das Wasser ab, ihnen wird fast ausschließlich „Problemlösungskompetenz“ in kulturellen Fragen zugesprochen – mit denen sie aber, drittens, in Zeiten großer sozialer Streitfragen nicht oder zumindest weniger punkten können, das heißt: Sie erreichen weniger Wähler.
Und viertens verhindert eine klare Konfrontation zwischen etablierten Parteien in sozialen und ökonomischen Fragen, dass sich Rechtspopulisten als Alternative gegen die „Politiker da oben, die ja alle gleich sind“, präsentieren. Doch eine solche Konfrontation ist in Deutschland künftig erschwert. Sinkende Erwerbslosenzahlen lassen die Auseinandersetzung um Sozialstaatsreformen wie die Agenda 2010 weiter in den Hintergrund treten.
Größer werdendes Lager der Mitte
Vor allem aber spielt die Sozialdemokratisierung der CDU unter Angela Merkel eine entscheidende Rolle: In zentralen sozialen Streitfragen gleichen sich die Positionen zwischen Union und SPD inzwischen fast aufs Haar. CDU und CSU fallen also als Impulsgeber aus. Auch Grüne und Piraten gehören mit ihren wirtschafts- und sozialpolitischen Forderungen zum größer werdenden Lager der Mitte. Allenfalls die Linkspartei besitzt aktuell ein klar linkes und daher polarisierendes Profil.
Fehlt aber ein Pendant hierzu auf wirtschaftsliberaler Seite, das die Diskussion ebenfalls befeuert, wird die Dominanz der ökonomischen Dimension im politischen Ideenwettbewerb kaum zu erhalten sein. Diese Rolle kann die FDP – und nur die FDP– weiterhin wahrnehmen. Die Annahme, dass eine solche Partei nicht mehr gesucht würde, ist grundfalsch.
Umfragedaten bestätigen eine stabile Nachfrage nach einer wirtschaftsliberalen Partei in der Wählerschaft. Stürzt die FDP jedoch weiter ab und bleibt die Union bei ihrem Kurs in die Mitte, wird sich etwa ein Zehntel der Wähler in der Bundesrepublik nach einer Partei umsehen, die drei Schwerpunkte hat: zuspitzende Rhetorik sozialer Probleme, rechtskonservative Haltung in Immigrationsfragen und Skepsis gegenüber Umverteilungsmechanismen.
Das liest sich wie eine Blaupause für eine rechtspopulistische Partei, nach einem Profil, das dem von rechtspopulistischen Bewegungen in anderen europäischen Ländern gleicht. Wer sich fragt, ob Deutschland eine solche Partei auf Bundesebene ohne großen Schaden verkraften kann, oder ob man jene gar einer wirtschaftsliberalen FDP vorziehen sollte, dem sei ein Blick nach Frankreich oder die Niederlande empfohlen.
Permanent infrage gestellt
Die bloße Präsenz der Front National hat im Wahlkampf fast alle anderen Parteien rechtspopulistische Argumente aufgreifen lassen, wohlfahrtsstaatliche Errungenschaften, das Projekt Europa und vor allem die liberale Integrations- und Immigrationsgesetzgebung wurden permanent infrage gestellt. Trotzdem holte Marine Le Pen im ersten Wahlgang fast 18 Prozent.
In den Niederlanden beteiligte sich die rechtspopulistische Partei von Geert Wilders gar an der Regierung. Der Preis waren harte Immigrationsgesetze und strikte Sparauflagen in Kultur- und Integrationsetats – bis die Koalition vor wenigen Tagen scheiterte.
Frankreich und die Niederlande belegen eindrucksvoll, wie zu Beginn marginale rechtspopulistische Bewegungen binnen weniger Jahre die gesamte politische Kultur einstmals liberaler und proeuropäischer Staaten korrumpieren können, wenn die Kommunikationsstrategien etablierter Parteien deren Durchbruch an der Wahlurne zulassen.
Es mag für die politische Linke in Deutschland wie ein Paradox klingen: Aber wem am Herzen liegt, hierzulande eine starke rechtspopulistische Kraft und einen Rechtsruck der gesamten politischen Kultur zu verhindern, der sollte der kriselnden FDP „alles Gute“ wünschen. Nicht nur mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen im Mai.
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