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Debatte Landtagswahl in SachsenBloß keine Nestbeschmutzer

Kommentar von Michael Kraske

Das südöstliche Bundesland gibt sich gern selbstverliebt. Dieser Patriotismus wird von Parteien jeglicher Couleur auch noch gestützt.

Das Reiterstandbild König Johanns am Theaterplatz in Dresden Bild: dpa

I n Sachsen geht ein Wahlkampf zu Ende, der keiner war. Die CDU-geführte Regierung hat den Wahltermin bewusst aufs Ferienende gelegt, um echter politischer Auseinandersetzung zu entgehen. So kämpften die Wahlkämpfer in den Sommerferien vor allem gegen ein kollektives Aufmerksamkeitsdefizit. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) verweigerte sich dem offenen Schlagabtausch eines TV-Duells, was einmal mehr sein paternalistisches Demokratieverständnis bloß legte.

Wenige Tage vor der Wahl verengt sich die Kernbotschaft dieses inhaltlich entkernten Wahlkampfes parteiübergreifend auf ein einziges großes Thema: Sachsen. Dass selbst die Opposition dem grassierenden Landes-Patriotismus huldigt, ist schon vor der Wahl ein Triumph für Tillich und die CDU. Erst kommt die Liebe zum Land. Dann lange nichts.

Die FDP zum Beispiel hat versucht, dem Untergang durch die anbiedernden Parolen „Verliebt in Sachsen“ und „Sächsisch stark“ zu entgehen. Selbst die Linke traut sich Kritik nur auf dem Boden des gemeinsamen Nenners kollektiver Identität zu: Der landesweit grassierenden Fremdenfeindlichkeit setzt sie den Slogan „Sächsisch und weltoffen“ entgegen. Und belegt damit unfreiwillig die Gegensätzlichkeit der beiden Schlagworte. Die Linke kann gleichwohl für sich verbuchen, dem Wähler noch am ehesten konkrete Inhalte angeboten zu haben. Im Gegensatz etwa zu den Grünen, die im Sound moderner PR-Sprache säuseln: „Denn es ist möglich“. Was auch immer.

SPD-Kandidat Martin Dulig hat immerhin versucht, auf Missstände im Bildungsbereich und bei der Ausstattung der Polizei hinzuweisen. Kurz vor der Wahl lässt aber auch er großformatig plakatieren: „Für Sachsen“.

Sachsen überall

Sachsen ist in Sachsen allgegenwärtig. Morgens werden Radio-Hörer mit dem „Sachsen-Wetter“ belästigt. Als Mineralwasser gibt es „Sachsen-Quelle“. Ein großes Volksfest lädt zum „Tag der Sachsen“. Diese heimattümelnde Dauerberieselung leistet einer künstlichen Identität Vorschub, die Herkunft zum wichtigsten Merkmal erhebt. Am Leipziger „Minarett-Streit“ um den geplanten Bau einer Moschee kann man ablesen, dass dieses sächsische Selbstverständnis leicht mit einem krassen Toleranzdefizit einhergeht.

Michael Kraske

arbeitet als Journalist und Buchautor in Leipzig. Von ihm erschien u. a. „Und morgen das ganze Land – Neue Nazis, befreite Zonen und die tägliche Angst“. Zuletzt wurde er mit dem Sächsischen Journalistenpreis ausgezeichnet.

Die CDU hat es seit Kurt Biedenkopf erfolgreich verstanden, das Land zu vereinnahmen. Die CDU ist Sachsen und Sachsen ist CDU. Das erinnert an Bayern, aber auf dem sächsischen Sonderweg geht es geräuschloser zu. Während die CSU ihre Vormachtstellung immer noch gern kraftstrotzend zur Schau stellt, lullt Tillichs CDU ihr Land mit Fürsorglichkeit ein. Die Kernbotschaft lautet: Ihr werdet gut regiert und braucht euch nicht darum zu kümmern. Sämtliche CDU-Kandidaten werben auf Plakaten: „Mit Mut. Mit Weitsicht. Miteinander.“

Bloß keine Kritik

Dieses diskursfeindliche Klima setzt sich bis in die Kommunen fort und macht zivilgesellschaftlichen Initiativen das Leben schwer. Wer Teilhabe einfordert und sich gegen Neonazis engagiert, wird schnell als Nestbeschmutzer denunziert.

Eine Mehrheit in Sachsen hat offenbar die Sicht der Landesregierung verinnerlicht: Es läuft gut in Sachsen. Die sozialen und gesellschaftlichen Missstände werden nicht der Regierung angelastet. Zwar demonstrieren Erzieher für einen besseren Kita-Schlüssel, und Lehrer streiken regelmäßig für bessere Arbeitsbedingungen. In der öffentlichen Wahrnehmung bleibt Sachsen der Pisa-Musterschüler. Wer das kritisiert, gerät in den Verdacht, das Land schlecht zu reden.

NSU? Kann warten

Selbst Skandale, die überregional Aufsehen erregen, bleiben politisch folgenlos. Die illegale Funkzellenabfrage durch die Ermittlungsbehörden während der Dresdner Anti-Nazi-Demonstrationen beschäftigte die überregionalen Medien sehr viel stärker als die einheimischen. Auch die ineffiziente Arbeit des sächsischen NSU-Untersuchungsausschusses ist in Sachsen kein Thema. Während Thüringen gerade einen akribisch erarbeiteten Abschlussbericht mit aufsehenerregenden Schlussfolgerungen vorgelegt hat, haben die sächsischen Kollegen unter CDU-Vorsitz die meisten der vorgesehenen Zeugen noch gar nicht vernommen.

Und es steht nicht fest, ob die Arbeit in der neuen Legislaturperiode überhaupt fortgesetzt wird. Lange nannten Regierungsvertreter die in Sachsen untergetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt das „Jenaer-Terror-Trio“ und luden so alle Verantwortung auf Thüringen ab. Der sächsische CDU-Innenminister Markus Ulbig hat sich früh darauf festgelegt, dass die eigenen Behörden keinerlei Schuld an dem Sicherheitsdesaster tragen. Diese absurde Deutung herrscht bei Verantwortlichen bis heute. Die Opposition tut sich schwer, das Versagen anzuprangern. Mit dem Thema Neonazis lassen sich keine Stimmen gewinnen.

Geschmacklose Einladungen

Die Wahl am Sonntag wird an diesen Zuständen nichts ändern. Die CDU wird weiter regieren, selbst wenn die FDP wie erwartet aus dem Landtag fliegen sollte. Sollte Tillich die absolute Mehrheit verfehlen, stünden sowohl SPD als auch Grüne und sogar die AfD als Partner bereit. Tillich hat eine Koalition mit der AfD nicht ausgeschlossen, auch wenn die Partei zuletzt durch die geschmacklose Einladung des österreichischen FPÖ-Politikers Andreas Mölzer aufgefallen war. Mölzer wiederum hatte vor einem europäischen „Negerkonglomerat“ gewarnt.

Die AfD scherte aus dem Chor der Sachsen-Liebhaber aus und plakatierte schwarz-rot-golden unterlegt: „Mut zu Deutschland“. Sie könnte mit diesem nationalistischen Alleinstellungsmerkmal ebenso zu den Gewinnern gehören wie die NPD, die bei schwacher Wahlbeteilung auf den erneuten Einzug in den Landtag hoffen darf.

Gegen einen beliebten Ministerpräsidenten zu punkten, ist immer schwer, zumal, wenn er sich nahezu unsichtbar macht. Schon jetzt ist erkennbar, dass die Opposition links von der CDU nicht nennenswert von der Strategie profitieren wird, den Stolz auf Sachsen zur eigenen Argumentationsbasis zu machen. Als Verlierer steht schon vor dem Wahlgang der demokratische Meinungsstreit fest.

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16 Kommentare

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  • D
    D.J.

    @Gewehrmaschine,

     

    irgendwie ist mein Antwort auf Ihren letzten Kommentar verschwunden. Egal, habe gerade keine Lust und Zeit, sie noch mal zu schreiben.

     

    Anderer Aspekt, diesmal auf Sachsen bezogen: ich denke kaum, dass ein Stanislaw Tillich, Sachse sorbischer Muttersprache (von den Nazis verboten), in Gefahr ist, so ohne weiteres vom Lokalpartiotismus zum Nationalismus zu schwenken.

    • @D.J.:

      Aha! Die Antwort mit Zusammenhang ist also verschwunden. Was bleibt ist zusammenhangloses Zeug.

       

      Zum zweiten Punkt: Sind Sie wirklich so naiv zu glauben, die Mehrheit der Menschen würde solchen Gedanken folgen? Noch dazu ist das Phänomen des wachsenden "Lokalpatriotismus" ja wohl bestimmt kein personenbezogenes Phänomen, welches mit Tillich kam und wieder mit ihm gehen wird! Das sehen Sie schon ein oder? In 7 Jahren ist Tillich weg und Ihr toller "Lokalpatriotismus" wird von anderen politischen Köpfen schön weiterverwendet. Zu was er verwendet wird, wird sich zeigen. Jedenfalls sicher nicht dafür, um Hass und Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen. Wenn Sie das wirklich glauben sind Sie entweder beschränkt oder ziemlich naiv!

      • D
        D.J.
        @Milch:

        Wenn Sie den Unterschied nicht kennen zwischen "immer noch besser als Nationalismus" und "toller Lokalpatrotismus", lohnt sich eine weitere Diskussion nicht. Ich mag keine Demagogie.

        • @D.J.:

          Was das jetzt mit Demagogie zu tun hat versteh ich jetzt nicht, aber gut. Das nächste mal argumentieren Sie doch bitte sachlich, anstatt wie eine beleidigte Leberwurst von dannen zu ziehen!

  • Sachsen steht sehr gut da- PISA Spitze, sehr geringe Verschuldung, gute Industrie, vergelichsweise geringe Kriminalität (trotz Grenzproblem). Warum sollen die Sachsen da nicht STOLZ auf ihr Land sein?

  • Ich kenne die Wahlergebnisse von 1933 und deren unterschiedliche lokale Verteilung innerhalb Bayerns noch sehr gut aus der Schule. Auch an hitzige Diskussionen mit meiner oberbayrische Geschichtslehrerin kann ich mich erinnern. Für mich war das alles immer nur eine Ausrede der katholischen Altbayern um sich der historischen Verantwortung zu entziehen. "Wir haben ja die NSDAP nicht gewählt, sondern die evangelischen Franken, die waren Schuld!"

     

    Ich versteh auch garnicht was das alles mit meinem ersten Kommentar zu tun hat?

    Ich sagte es wäre nicht in Ordnung, Menschen die Probleme anprangern und Diskussionen vordern als Querulanten und Nestbeschmutzer ab zu tun und Sie kommen mir mit Lokalpatriotismus und der ewig gestrigen Diskussion um die Schuld am Aufstieg der NSDAP zwischen Altbayern und Franken!

     

    (Lokal)Patriotimus hin oder her! Darum gehts in dem Artikel doch nur am Rande. Vorrangig geht es darum, das dieser Patriotismus auf Plakaten vorgeschoben wird, um den eigentlich wichtigen Diskussionen zu entgehen. Warum haben Sie damit ein Problem?

  • Super Artikel! Ich wohn zwar in Bayern und die Landespolitik von Sachsen interessiert mich nicht die Bohne aber hier verhält es sich genau so. Wer Probleme anprangert, Aufklärung fordert oder nur Diskussionen beginnt, wird schnell als Querulant und Nestbeschmutzer verunglimpft. Ich würde mir mehr Artikel dieser Art wünschen. Eventuell auch mit einer Spurensuche, weshalb das gesellschaftliche Empfinden immer mehr Wert auf "Einigkeit" legt!

    • D
      D.J.
      @Milch:

      Allemal lieber Lokalpatriotismus als Nationalismus. Das führte z.B. dazu, dass die Bayerische Staatsregierung 1933 die einzige war, sich sich weigerte, einfach nach Hause zu gehen und darum verhaftet werden musste.

      • @D.J.:

        Und Sie wollen mir jetzt die bayrische Staatsregierung von 1933 als Widerstandskämpfer für Demokratie, Meinungspluralität und Aufklärung verkaufen oder wie?

         

        Das dieser gut gemeinte Lokalpatriotismus irgendwann zu ernsthaftem Nationalismus führt ist Ihnen wohl auch klar oder?

        • D
          D.J.
          @Milch:

          Sie können da reininterpretieren was Sie wollen. Wenn Sie sich aber die Wahlkreisergebniss in Bayern ansehen, werden Sie feststellen, dass die NSDAP in Altbayern (in den protestantischen Gebieten Frankens sah es wieder anders aus) außerhalb Münchens fast keine Chance hatte gegenüber der BVP. Dass diese mit ihrem sehr starken Konseravtismus nicht gerade ein Hort der Aufklärung war - geschenkt.

           

          Das mit der angeblich zwangsläufigen Entwicklung Lokalpatriotismus > Nationalismus sollten Sie soch etwas näher ausführen, es ist mir so klar nämlich nicht.

      • D
        D.J.
        @D.J.:

        sich sich > die sich

  • Ein großes Volksfest lädt zum „Tag der Sachsen“.

     

    Wieso das denn??

    Im Bundesland Sachsen leben doch gar keine Sachsen!

    http://www.sachsengeschichte.de/

    • D
      D.J.
      @athens2020:

      Geschenkt. Der Sachsenname ist im Mittelalter sozusagen die Elbe raufgewandert. Exakt müsste man von Obersachsen sprechen. Aber wenn man kleinlich ist, leben zum Beispiel in Bulgarien auch keine Bulgaren (urspr. ein nichtslawisches Volk, dass das heutige Bulgarien eroberte und für die dortigen Slawen namensgebend wurde).

      • @D.J.:

        Hier haben wir aber das Problem, dass es die echten Sachsen noch gibt.

         

        Und von denen traut sich niemand mehr, sich als Sachse zu outen.

        Da wird man dann gleich mit diesen Menschen mit dieser komischen Sprache in einen Topf geworfen.

         

        Identitätsklau ist eine echt fiese Sache....

         

        Die Bulgaren sind ein Turkvolk, dass die slawische Sprache angenommen hat. Die koennen sich somit Bulgaren nennen.

        • D
          D.J.
          @athens2020:

          Letzter Absatz:

          Nicht ganz richtig:: Die turksprachigen Bulgaren waren eine recht dünne Herrschaftsschicht, die sich schnell an die slawische Hauptbevölkerung assimiliert hat.

           

          Naja, das mit der komischen Sprache... In mancherlei Ohren mag auch plattdeutsch (aus dem "echten" Altsächisch hervorgegangen) wunderlich klingen. Würde mich dennoch darüber nie lustig machen. Dialekte/Lokalsprachen halte ich für ein Kulturgut. Sie waren vor der Hochsprache da.