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Debatte Landtagswahl im SaarlandDer Sog in die Mitte

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die symbolische Versöhnung der politischen Linken ist an der Saar gescheitert. Der CDU-Sieg zeigt: Mit „Anti-Linkspartei“ kann man gewinnen.

Alte Reflexe: Rot-rote oder rot-rot-grüne Bündnisse taugen der Union noch als Schreckgespenst Foto: dpa

F angen wir mit dem Erfreulichen an. Der beängstigende Siegeszug der AfD ist erst mal gestoppt. Bei den letzten Landtagswahlen mobilisierten die Rechtspopulisten die Frustrierten für sich. Das ist kein Automatismus mehr. Arbeiter und Politikferne, die sonst eher nicht zur Wahl gehen, votierten an der Saar zu drei Vierteln für CDU und SPD. Damit hat das Wunschbild der Rechten, dass sie den verstummten Wütenden eine Stimme gibt, einen gehörigen Riss bekommen. Der Protest formiert sich nicht mehr wie von selbst rechts.

Gauland und Co. inszenieren sich als Teil einer historischen Bewegung, als Part einer Internationale von Na­tio­nalisten, die Europa verändern wird. An der Saar kann man sehen, dass die AfD weniger historisches Projekt als ziemlich fragil ist. Sie hat die Schwäche jeder Single-issue-Bewegungen. Verschwinden Flüchtlinge aus den Schlagzeilen, geht es erst mal bergab.

Die repräsentative Demokratie gilt in letzter Zeit als erstarrter, abgeschotteter Betrieb, der in Form der AfD seine eigenen Gespenster erzeugt. Die ­Saarlandwahl zeigt, dass die Par­teiendemokratie besser ist als ihr lädierter Ruf. Die Verunsicherung durch Brexit, Trump, Flüchtlinge nutzt den Rechten nicht. Es gibt vielmehr einen Sog in die Mitte, zu den Volks­parteien hin, die, wie in der alten Bundesrepublik, mehr als zwei Drittel wählten. Das ist nicht selbstverständlich. In Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Berlin kamen SPD und CDU 2016 zusammen stets nur knapp über 40 Prozent.

Der Sieg an der Saar geht auf das Konto von Annegret Kramp-Karrenbauer, die perfekt in das Anforderungsprofil der Landesregierungschefin passt. Landtagswahlen ähneln ja zusehends Bürgermeisterwahlen: Es gewinnen freundliche, zugewandte Charaktere, die die regionale Identität spiegeln. Die Bundesländer haben in den letzten Jahrzehnten an Einfluss verloren. Viel wird in Brüssel, in Berlin entschieden. Es geht daher in den Ländern mehr um Personen, weniger um Programme. Das erklärt die Erfolge von erdverbundenen, vertrauenswürdigen Figuren wie Kretschmann, Kraft, Dreyer, Ramelow. Und Kramp-Karrenbauer.

Gerechtigkeit ist das richtige Thema

Der zweite Grund für die Wiederbelebung des Volksparteienmodells ist, trotz allem, Martin Schulz. Das Ergebnis ist ein schmerzhafter Dämpfer für die Sozialdemokraten, die sich zu sicher auf dem direkten Weg ins Kanzleramt wähnten. Vielleicht wollen die Deutschen, dass es eine Alternative zu Merkel gibt – aber wählen wollen sie die nicht unbedingt. Fatal wäre, wenn die SPD nun hektisch die Richtung ändern würde. Sie muss weiterhin klar auf Distanz zur Union gehen.

Gerechtigkeit ist das richtige Thema, auch wenn in Umfragen fast 80 Prozent beteuern, dass es ihnen prima geht. Solche Selbstbeschreibungen sind oft wankender, als es scheint. Und Fakt ist, dass die unteren 40 Prozent der Beschäftigten weniger verdienen als vor 20 Jahren. Das stammt nicht aus einer Presseerklärung der Linkspartei, sondern von Angela Merkel. Genauer: aus dem vom Kanzleramt abgesegneten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung.

Am Ende der post­ideologischen Merkel-Ära kehren verstaubte Schablonen wieder

Nun die schlechten Nachrichten. Merkels Erfolgsrezept war bisher: Die Union covert ein paar SPD-Ideen und legt damit die Opposition lahm. Asymmetrische Demobilisierung hieß das. Im Saarland ist das Gegenteil passiert: symmetrische Mobilisierung. Die Wahlbeteiligung war hoch, auch dank einer gespenstischen Regression. Die Union kann 2017 mit Kommunistensprüchen punkten. Das riecht nach alter Bundesrepublik – muffig und wirklichkeitsfremd. Denn wo die Linkspartei bisher in Ländern regierte, tat sie das selten kreativ, meist unauffällig, manchmal schmerzhaft ideenlos. Mit dem Zerrbild, das die Union malt, hat das nichts zu tun. Offenbar kehren am Ende der postideologischen Merkel-Ära verstaubte ideologische Schablonen wieder.

Rot-Rot an der Saar wäre nicht nur die Chance gewesen, zu zeigen, dass Mitte-links solide regieren kann, wie in Erfurt, Potsdam und Berlin. Es wäre eine Etappe in der überfälligen symbolischen Aussöhnung der politischen Linken gewesen. Martin Schulz hat mit der Agenda-Korrektur die innere Erstarrung der SPD gelockert. Rot-Rot in Saarbrücken hätte die mentale Abrüstung zwischen Linkspartei und SPD befördert, die gegenseitige Verachtung abgekühlt. Vorbei.

Diese Wahl ist keine Blaupause für den Herbst. Aber die Klemme, in der die SPD im Saarland steckte, kann sich wiederholen. Die SPD braucht zwingend eine eigene Machtoption. Denn die Aussicht, wieder bloß Merkel zur Kanzlerschaft zu verhelfen, ist deprimierend. Schulz als Kanzler, das ist, jedenfalls im Moment, nur mit der Linkspartei möglich. Doch genau diese Aussicht hat die SPD-Sympathisanten an der Saar zerrissen: Eine Hälfte war für eine Koalition mit der Linkspartei, die andere dagegen. So rückt ein unschönes Szenario näher: Rot-Rot-Grün spaltet die Anhänger von SPD und Grünen – und wirkt auf die Union wie eine Vitaminspritze. Die hat zwar keine Idee, warum sie regieren will, dafür ein funktionstüchtiges Feindbild.

Absage an den Nato-Austritt

Die Linkspartei wäre klug, wenn sie auch mal klarmachen würde, dass bei ihr nicht nur Sahra Wagenknecht das Sagen hat. Die Reformer begnügen sich bislang damit, nach den Alleingängen der linken Frontfrau die Scherben zusammenzufegen. Wenn die Linkspartei-Realos es mit dem Regieren ernst meinen, sollten sie dies der Öffentlichkeit auch mitteilen. Und darlegen, dass Nato-Austritt und außenpolitische Abenteuer nicht zur Wahl stehen. Das kann helfen, die Angstkampagne der Union ins Leere laufen zu lassen.

Die Saarland-Wahl verdeutlicht eine paradoxe Lage. Die Parteiendemokratie ist vital, sie ist kein elitärer Apparat, wie die Rechtspopulisten glauben machen wollen. Doch der Sog in die Mitte und das Revival der Volksparteien hat etwas Zwiespältiges. Wenn die Mitte der magnetische Ort ist, Union und SPD stark sind, die Milieuparteien FDP, Grüne und Links­partei schwach, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass am Ende doch nur die Große Koalition möglich ist. Kein Jamaika, kein Rot-Rot-Grün.

Das ist für die Demokratie fatal. Die atmet nur, wenn es echte Alternativen gibt. Und es um mehr geht als die Frage, wer an Merkels Seite regieren darf.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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13 Kommentare

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  • @ Filou Sophia

    Stefan Pauli hat Recht! Die Forderung nach einem Austritt aus der Nato z.B. ist doch das genaue Gegenteil von außenpolitischen Abenteuern.

    Von den Grünen lernen, heisst siegen lernen. Die Grünen haben die sehr schwierige Gratwanderung angetreten, in Regierungsverantwortung auszuloten, wie weit kompromissfähig man sein kann. Diese Gratwanderung ist bekanntlich grandios gescheitert. Um als potentieller Regierungspartner wahrgenommen zu werden, wurden so sympathische Essentials wie Trennung von Amt und Mandat oder Beschränkung auf zwei Legislaturperioden über Bord geworfen. Mein Fazit aus diesen Erfahrungen: Mit der Schere im Kopf, regierungskompatibel sein zu müssen, lässt sich keine langfristig wirkende Programmatik entwickeln. Und ja, man sollte vielleicht denn doch über systemüberwindende Strategien diskutieren. Immer nur reformistisch scheitern macht auf Dauer doch auch keinen Spaß.

    • 2G
      24636 (Profil gelöscht)
      @Kuddel_Chaos:

      " Mein Fazit aus diesen Erfahrungen: Mit der Schere im Kopf, regierungskompatibel sein zu müssen, lässt sich keine langfristig wirkende Programmatik entwickeln. "

       

      Damit haben sie Recht. Mit der Nato-Kündigung ins Rennen zu gehen ist dennoch Selbstkastration. Das muss man anders als programmatisch und mit Fanfaren angehen. Wagenknecht hat sich da kürzlich einmal mehr als zur öffentlichen Idiotin gestempelt. Das ist so fürchterlich dumm, nicht die Position, sondern die Darstellung, das Verkaufsgespräch... Das macht sie so weiter und die Linkspartei schafft es vielleicht noch auf unter 5%. OP gelungen, Partei tot.

      • @24636 (Profil gelöscht):

        Genau so ist es.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    Kein guter Kommentar, Herr Reinecke. Die SPD, hätte sie denn gewollt, könnte auf Bundesebene schon längst 'Rot-Rot-Grüne-Politik' machen, will sie anscheinend aber nicht. Nein, nicht Die Linke, sondern Schulz und die SPD liefern hier ein jämmerliches Schmierentheater ab.

    Nur drei Beispiele:

    Schulz 22.02.17 - Exzesse bei Managergehältern zu begrenzen, hat nichts mit Neid, aber sehr viel mit Respekt und Gerechtigkeit zu tun.

    Antrag Linksfraktion 29.09.16 - Managergehälter beschränken.

    Schulz 21.02.17 - Wer jahrelang hart arbeitet verdient eine Rente deutlich oberhalb der Grundsicherung! Deswegen trete ich für die Solidarrente an.

    Antrag Linksfraktion 19.01.17 - Gesetzliche Rente stärken, Rentenniveau anheben und die Solidarische Mindestrente einführen.

    Schulz 20.02.17 - Ich will die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen und eine Solidarrente deutlich oberhalb der Grundsicherung einführen.

    Antrag Linksfraktion 25.10.13 (!) - Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung.

    Schulz 19.02.17 - ArbeitnehmerInnen sind keine Kostenfaktoren mit Ohren. Sie - wir alle - sind Menschen mit Würde. Wir brauchen mehr Mitbestimmung im Betrieb.

    Antrag Linksfraktion 25.06.15 - Die Wahl von Betriebsräten erleichtern und die betriebliche Interessenvertretung sicherstellen.

    KEINEM dieser Anträge hat die SPD zugestimmt. So sieht's aus.

    • @81331 (Profil gelöscht):

      Kein vernünftiger Mensch würde diese Anträge der Linken Fraktion unterstützen außer man möchte den Wirtschaftsstandort Deutschland weiterhin schädigen. Leider gibt es in der Politik immer weniger Menschen mit volkswirtschaftlicher Ausbildung oder mit betriebswirtschaftlicher Erfahrung.

      • 8G
        81331 (Profil gelöscht)
        @FStein:

        Achja?

        Und was ist dann mit den 'Forderungen' von Herrn Schulz?

        Sie haben aber schon verstanden, um was es hier geht?!

        Viel heisse Luft und nichts dahinter.

  • Oskar Lafontaine und Sarah Wagenknecht vertreten zum Teil Positionen die die AFD auch vertritt. Von daher sehe dass Ergebnis der AFD im Saarland als sehr gut eigentlich an, vor allem wenn man sich die Personen im Saarland genauer ansieht. Sorgen sollten sich die Grünen machen. Wen interessieren die Themen noch?

    • @FStein:

      Eine Position von der man überzeugt ist, wird ja nicht dadurch schlecht, dass sie zufällig auch von der AfD vertreten wird. Ein Beispiel: Sie finden, dass mehr für die finanzielle Absicherung von Familien mit Kindern getan werden sollte. Zufällig vertritt diese auch die AfD. Ist diese Position nun deshalb schlecht ?

      • @Nikolai Nikitin:

        Nein, habe ich auch nicht so gemeint.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Bringt die Problematik ganz gut auf den Punkt. Wenn SPD und Linkspartei nicht vorher eine Brücke bauen und Brückenpositionen bestimmen, andere dagegen aus dem Programm raushalten, kann das nichts werden. Von Profis würde ich mir da mehr Weitblick auf beiden Seiten erwarten. Dass der CDU nur ne Linke-Socken-Kampagne einfällt, sollte die Linke in Deutschland anspornen. Da kann was gehen.

     

    Und ja, der NATO-Austritt wäre die Piratenstrategie, dem Schiff auf offenem Meer die Planken raushauen und schauen, wie weit man damit kommt. Damit ist nichts zu gewinnen, die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik muss ins Zentrum, Außen- und Friedenspolitik an den Rand dieser Strategie. Und der Linken sollte klar sein, ohne Linkspartei wird es auch keine relevante Agendakorrektur geben.

     

    Statt sich so gut es geht voneinander abzuschotten, sollte man den Wählern das Projekt präsentieren, erklären und zur Wahl stellen. Macht man das glaubwürdig, kann man auch mit einer Plattform bzw. einer Koalitionsaussage in Deutschland Wahlen gewinnen. Der Wähler hat doch vor allem kein Vertrauen mehr in die Politik, jedenfalls gut ca. 1/3-1/2. Und das zu Recht, der Martin-Schulz-Effekt, wenn ich solchen kindischen Scheiß schon wieder lese, ach, und er nutzt sich plötzlich ab oder doch nicht... bla bla bla... So dämlich wie sich Politik und Medien wieder und wieder präsentieren, braucht man sich nicht wundern, wenn die Menschen oft quer zu ihren eigentlichen Interessen wählen.

  • Zeitenwende

     

    Klar gesagt: Mit "refugees welcome" Grüne raus und Fast-Nazi-AfD rein, ist ein ungeheurer Umbruch geschehen.

    Zumal auch die Grünen als "Umweltzerstörer" dastehen, weil alle anderen Parteien sich kritisch zur Windkraft und Energiewende positioniert haben.

    Hier ist etwas grunsätzliches geschehen: Die Deutungshoheit grüner Ideen, die ja weit in alle! anderen Parteien adaptiert wurde, ist zerschlagen worden.

     

    Deutet sich hier das Ende eines Zeitalters an? In SH mögen sie nochmal davonkommen, aber in NRW stehen die Zeichen ebenfalls auf Sturm. Von der Regierung ins parlamentarische Aus: Das wäre das Fiasko für die gesamte Partei.

  • Die Ursache für das Ergebnis ausschliesslich beim Gespenst RRG zu suchen, ist meiner Ansicht nach sehr eindimensional gedacht. Sicherlich sind viele Wähler auch durch die Ergebnisse der LT-Wahlen im letzten Jahr, Brexit und den Ausgang der US-Wahl motiviert gewesen, zur Wahl zu gehen, damit sich "sowas" (-> hohes AfD-Ergebnis) nicht wiederholt. Desweiteren bestätigt sich der Trend, Amtsinhaber zu stärken, was vorher in Rheinland-Pfalt, Bawü, Sachsen-Anhalt und Meckpomm geschah.

    Das sind Anzeichen dafür, dass die Bürger dieses Landes - entgegen dem Eindruck, den man in den Kommentarbereichen vieler Online-Medien gewinnen kann - keineswegs wegen der Flüchtlinge, des Euro oder der EU Schnappatmung haben.

  • 3G
    38057 (Profil gelöscht)

    "Wenn die Linkspartei-Realos es mit dem Regieren ernst meinen, sollten sie dies der Öffentlichkeit auch mitteilen. Und darlegen, dass Nato-Austritt und außenpolitische Abenteuer nicht zur Wahl stehen."

     

    Ich gehe davon aus, dass Parteien ein Programm anbieten und für ihre Werte und Ziele werben und sich nicht bei den Wählern anbiedern, um um jeden Preis an der Regierung beteiligt zu sein. Wie schlimm das endet, kann man bei den Grünen besichtigen.

    Wenn die Linken nicht mehr für Frieden und vernunftgeleitete Außenpolitik statt Konfrontation stehen, bekäme sie meine Stimme nicht mehr.