piwik no script img

Debatte Kriegsgedenken in SerbienKein gemeinsames Weinen

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Serbien gedenkt seiner Opfer des Krieges – von denen auf kosovarischer Seite will man nichts wissen. Echter Frieden sieht anders aus.

Serben bei einer Gedenkveranstaltung am 24. März Foto: imago/Xinhua

W enn in Serbien 20 Jahre nach den Luftangriffen der Nato der Opfer gedacht wird, dann fordert das Land auch Mitgefühl ein. Während der Bombenangriffe der Nato vom 24. März bis zum 10. Juni wurden Hunderte serbische Bürger getötet und ein Teil der Infrastruktur zerstört. Seither hat die serbische Bevölkerung verständlicherweise von der Nato die Nase voll.

Als Präsident Aleksandar Vučić bei der Gedenkfeier am 24. März die Tränen kamen, zeigte das stellvertretend für die serbische Gesellschaft auch, wie tief der Schock noch heute sitzt. Allerdings erwähnte Vučić mit keinem Wort die Opfer auf der anderen Seite.

In der serbischen Presse wird nicht einmal darüber berichtet, dass es Massengräber mit Albanern aus der Zeit des Krieges gibt. Die breite serbische Öffentlichkeit kennt nur eine einseitige Darstellung der Geschichte, auch wenn einige Oppositionelle dagegenhalten. Sie weiß nichts über die Etablierung eines repressiven Systems im Kosovo nach der Revision der serbischen Verfassung 1989.

Sie weiß kaum etwas über den Beginn der 90er Jahre, als alle Albaner aus Stellungen des Staats und aus der Wirtschaft flogen. Sie weiß nichts von der alltäglichen Unterdrückung, der Albaner all die Jahre ausgesetzt waren. Und sie diskutiert nicht darüber, dass der damalige Präsident Slobodan Milošević mit dem Friedensschluss in Bosnien eine friedliche Regelung für Kosovo verhinderte.

Kosovo als „Wiege der Nation“

Für sie sind die danach auftauchenden Kämpfer der UÇK, der Kosovo-Befreiungsorganisation, lediglich Terroristen, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen galt. Denn im serbischen Geschichtsmythos des 19. Jahrhunderts ist Kosovo die „Wiege der Nation“, die es mit allen Mitteln zu verteidigen gilt – auch wenn die Serben seit Langem nur eine Minderheit im Kosovo darstellten.

Folgerichtig wurden die brutalen Aktionen serbischer Polizisten und Soldaten von der Mehrheit der serbische Bevölkerung unterstützt. Die Zerstörung ganzer Landstriche, das Niederbrennen von einem Drittel der albanischen Dörfer 1998, ein Jahr vor der Nato-Aktion, kommt im kollektiven Bewusstsein der Serben nicht vor.

Die Ereignisse um Srebrenica waren Grundlage für die Entscheidung der Nato. Das wird von den Serben ignoriert

Der serbische General Ratko Mladić hatte 1995 den Massenmord an über 8.000 Bosniaken im bosnischen Srebrenica „Rache an den Türken“ genannt. Er bezog sich auf die (verlorene) Schlacht gegen das Osmanische Reich auf dem Amselfeld (Kosovo Polje) 1389. 600 Jahre später also sollten die Bosnier dafür mit ihrem Leben bezahlen. Bis heute weigert sich die überwältigende Mehrheit der serbischen Öffentlichkeit, Srebrenica als Genozid anzuerkennen.

Die Ereignisse um Srebrenica aber bildeten die Folie für die Entscheidung der Nato. Doch das wird als geschichtliche Tatsache nicht wahrgenommen. Hätte Milošević dem letzten Versuch, das Problem friedlich zu lösen, dem Abkommen von Rambouillet zugestimmt, wäre Kosovo heute unumstritten noch serbisches Staatsgebiet. Er hat die Chance verpasst. Deshalb drängten die Amerikaner und Briten auf den Krieg.

900.000 deportierte Albaner

Bei der Entscheidung der rot-grünen Regierung, wegen Kosovo in Serbien militärisch einzugreifen, haben die serbischen Verbrechen in Bosnien, der Genozid in Srebenica, ganz sicher psychologisch eine Rolle gespielt. Der Schock von Srebrenica war der Hintergrund für Joschka Fischers Hinweis auf die deutsche Position nach dem Zweiten Weltkrieg: „nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg“. Nie wieder Auschwitz bedeutet im Zusammenhang mit den Balkankriegen, nie wieder monströse Verbrechen vor unseren Augen zuzulassen. In Kosovo drohten sich die Ereignisse von Bosnien zu wiederholen.

Die aus der Aufarbeitung der deutschen Geschichte stammende Begründung wurde von anderen Mächten dankbar übernommen. Und sie hatten Grund dazu. Seit den 1920er-Jahren haben unterschiedliche serbische Regierungen versucht, die ethnische Zusammensetzung in Kosovo zu ihren Gunsten zu verändern. Die damals entstandene Denkschrift des serbischen Politikers Vasa Čubrilović – ein Plan, die Albaner aus Kosovo zu entfernen – wurde im Serbien der 90er Jahre erneut breit diskutiert – und ab 1998/99 durchgesetzt. Mit dem Nato-Einsatz ab 1999 wurde diese Strategie lediglich radikalisiert. Die Serben deportierten 900.000 Albaner nach Mazedonien und Albanien, 13.000 Menschen wurden dabei getötet.

Nachdem Milošević im Juni 1999 kapituliert hatte, konnten diese Flüchtlinge zurückkommen. Nun flohen viele Serben, vor allem die nicht aus Kosovo stammenden Angestellten des Staates, die Racheakte der Albaner fürchten mussten. Auch die Serben Kosovos haben Opfer zu beklagen. Heute leben noch rund 120.000 von einst rund 220.000 Kosovo-Serben im Land.

Breiter über die Vergangenheit diskutieren

Trotz allem: Nach 20 Jahren hat sich die Lage in und um Kosovo einigermaßen beruhigt. Das 2008 für unabhängig erklärte Land ist multiethnisch geprägt. Auch Kosovo-Serben sind Teil der Regierung. Seit einigen Monaten wird über die diplomatische Anerkennung Kosovos durch Serbien verhandelt.

Vučić, ehemaliger Informationsminister Miloševićs, verhandelt nun mit dem früheren Führer der UÇK, Hashim Thaçi, über einen Gebietsaustausch. Die Serbengebiete des Nordens sollen an Serbien, die Albanergebiete um die Stadt Preshevo an Kosovo gehen. Dann soll Serbien Kosovo diplomatisch anerkennen. Aber kann Vučić seine eigene, durch ihn selbst manipulierte Öffentlichkeit von der Aufgabe Kosovos überzeugen?

Auf beiden Seiten müsste viel breiter über die Vergangenheit diskutiert werden. Die Albaner, die 13.000 Opfer zu beklagen haben, sind zwar grundsätzlich bereit dazu, könnten es aber nur, wenn die serbische Gesellschaft diese Opfer anerkennt. Ein wirklicher Frieden, so sagte einmal die serbische Genozidforscherin Janja Beč, ist erst möglich, wenn man, erschüttert über die Vergangenheit, gemeinsam weinen kann. Vučić und Thaçi können das bislang nicht.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • www.youtube.com/watch?v=eFjjf_H_L0A Es kam erst zu besagten Vertreibungen, als die NATO mit der Bombardierung begann. Dies lies den Konflikt eskalieren. Die UÇK als Kosovo-Befreiungsorganisation zu bezeichnen ist schon eine starke untertreibung. Bis Anfang 1998 führten die USA selbst die UÇK noch als Terrororganisation. Die UÇK hat sich mehrfach selbst zu Anschlägen bekannt. Die UÇK tötete auch mehrerer Albaner, die sie als Kollaborateure ansah, etwa weil sie als Polizisten gemeinsam mit Serben arbeiteten. Ein echter Hohn ist dann noch die Erwähnung des Vertrags von Rambouillet, der absichtlich so gestaltet war, dass ihn kein Land der Welt angenommen hätte. ( de.wikipedia.org/w...ag_von_Rambouillet ). Wie immer schreibt Rathfelder stark tendenziös und erwähnt die Vertreibung von 100.000 Serben (immerhin fast die hälfte) nur in einem Nebensatz. Zu serbischen Todesopfern schweigt er gänzlich.

  • Sie Darstellung stimmt, aber wie sehr trauert auf der anderen Seite die albanische Bevölkerung um die serbischen Opfer?



    Zum 20. Jahrestag des Bombardements hissten zwei Albaner eine riesige albanische Flagge mitten in Belgrad auf einer Brücke, wo das erste zivile Opfer der Luftangriffe von 1999 starb. Ist das die albanische Vergangenheitsbewältigung?



    Man muss beidseitig einsehen, dass gegenseitig die emotionalen Gräben noch sehr tief sind.



    Vučić sollte außerdem nicht als Vertreter der serbischen Bevölkerungsmehrheit betrachtet werden, wenn seit Dezember jede Woche riesige Demonstrationen gegen ihn stattfinden.

    Und zum Schluss sollte man auch nochmal festhalten, dass die einseitige Unabhängigkeitserklärung der Kosovo-Albaner zu einer Zeit stattfand, als die serbische Bevölkerung ihren Diktator Milošević gestürzt hatte, demokratische Strukturen aufbaute und längst den Minderheitenschutz gerade der Kosovo-albanischen Minderheit gesetzlich wieder verankert hatte. Gerade in dieser Zeit, als eine Annäherung möglich schien, weil Miloševićs Politik in der Bevölkerung als Grund allen Übels verhasst war, entschied sich die albanische Führung zu einer Grenzziehung.

    Die UÇK wurde übrigens nicht nur von der serbischen Regierung als Terrororganisation eingestuft. Auch das Auswärtige Amt erklärte diese Organisation zur Terrororganisation, allerdings nur im Zusammenhang mit Mazedonien, Griechenland und Montenegro. Die gleichen Kämpfer wurden im Kampf gegen Serbien als Befreier bezeichnet. Doppelmoral nennt man das.

    Auf keinen Fall will ich die Gräueltaten der Serben im Jugoslawien-Krieg und im Kosovo-Krieg verharmlosen. Diese Schandtaten sind nicht zu verzeihen.



    Allerdings gibt es bei kriegerischen Auseinandersetzungen immer mindestens zwei Seiten. Die gilt es auch hier zu betrachten.

  • Sehr guter Artikel, auch wenn nun diejenigen der Kommune aufschreien werden, die trotz der o.g. Fakten, im Eingreifen der Nato, nur den viel zitierten "Bruch des Völkerrechts" sehen. Nicht nur zwischen Serben und Kosovaren muss mehr gesprochen werden, auch innerhalb der deutschen Linken, u.z. zu der Frage: rechtfertigen massive Kriegsverbrechen und ethnischen Säuberungen, wie z.B. in Ruanda, das Eingreifen von aussen? Ich meine, ja.

    • @Rinaldo:

      Das Problem ist im Kosovo relativ einfach zu lösen, doch selbst die Länder der EU sträuben sich dagegen. Im Kosovo leben nur 6% Serben aun der Grenze zu Serbien. Dieses Gebiet könnte man abtreten bzw. austauschen. In Serbien und auch im Kosovo sind viele dafür, doch es darf keine Grenzänderungen in Europa. Bei der annektierten Krim sieht man das anders, obwohl es sich hier um Überfall und Annexion handelt. Hier wird offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen.

      • 8G
        83379 (Profil gelöscht)
        @Frank Bauer:

        In 10-20 Jahren sind die eh alle in der EU und dann ist die Grenze komplett irrelevant.