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Debatte Hass im NetzDie Sensationsschleuder

Kommentar von Tilman Baumgärtel

Solange der Algorithmus von Online-Netzwerken belohnt, was die Nutzer-Aufmerksamkeit fesselt, regieren Hass und Provokation. Da helfen keine Gesetze.

Verschwörungstheoretiker sollen gern Aluhüte tragen Foto: dpa

D er amerikanische Sonderermittler Mueller hat dreizehn Russen wegen Sabotage angeklagt. Sie sollen im Regierungsauftrag während des amerikanischen Wahlkampfs mit gefälschten Identitäten bei Facebook, Instagram und Twitter Zwietracht gesät haben.

Moment mal – ist es jetzt verboten, sich unter falschem Namen bei Twitter anzumelden und loszukübeln? Wurden die sozialen Medien nicht dafür erfunden? Doch im Ernst: In den USA mag man die Aktivitäten der russischen Provokateure als „Sabotage“ betrachten, weil sie sich in den US-Wahlkampf eingemischt haben. Im Rest der Welt gibt es dafür einen anderen Namen: Internetmarketing. Die Techniken, die die Russen eingesetzt haben, waren keine teuflischen Hightech-Manipulationen. So operiert jeder, der in den sozialen Medien auf sich aufmerksam machen will – mit dem einzigen Unterschied, dass man das üblicherweise unter Klarnamen tut.

Unternehmen wie Facebook bieten ihren Kunden fein austarierte Instrumente, um so viele Interessenten wie möglich mit der eigenen Message zu erreichen – sei es Reklame für Kreuzfahrten, sei es Propaganda. Genau das haben die Russen genutzt: Sie haben ihre Posts zunächst an sehr kleine demografische Gruppen ausspielen lassen. Die erfolgreichsten dieser Posts wurden dann mit größeren Nutzergruppen geteilt, die diese im Idealfall „viral“ weiterverbreiteten. Das kostete pro Post nur wenige Dollar.

Facebook will nun bezahlte politische Botschaften als solche markieren. Das ist schön, wird aber von vielen Nutzern nicht verstanden werden. Die wissen oft nicht mal, dass als „gesponsert“ gekennzeichnete Beiträge auf Websites bezahlte Werbung sind. Auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz hilft hier nicht weiter, weil es sich nur auf strafrechtlich relevante Inhalte konzentriert, nicht auf deren Verbreitung. Das grundsätzliche Dilemma besteht darin, dass bei sozialen Medien Algorithmen darüber entscheiden, was medial zirkuliert. Und die sind so programmiert, dass sie die Aufmerksamkeit ihrer Nutzer so lange wie möglich halten.

Tilman Baumgärtel

ist Professor für Medienwissenschaft an der Hochschule Mainz. Zuletzt hat er im Reclam-Verlag das Buch „Texte zur Theorie des Internets“ heraus­gegeben.

Nur die Sensationsgier zählt

Dabei bevorzugen sie Material, das sensationalistisch oder provokant ist. Wie verschiedene Studien gezeigt haben, werden gerade bei YouTube solche Inhalte durch den Empfehlungsalgorithmus systematisch hervorgehoben, um das Publikum bei der Stange zu halten. Zuletzt landete in den YouTube-Trends darum ein Video von Verschwörungstheoretikern, in dem es hieß, die Teenager, die sich nach dem Amoklauf in Parkland im Fernsehen äußerten, seien Schauspieler.

In Deutschland sind es die Anhänger der AfD, die diese Eskalationslogik bedienen: Durch betont reißerische Titel ihrer YouTube-Videos provozieren sie die Aufmerksamkeit, die dazu führt, dass der YouTube-Empfehlungsalgorithmus sie hervorzuheben beginnt. Die Bundestagsreden und TV-Auftritte von AfD-Mitgliedern tragen effekthascherische Titel, die als Klickköder dienen: „Dirk Spaniel (AfD) bringt die grünen Gemüter zum Toben“, „Anton Hofreiter rastet aus bei Rede von Gottfried Curio (AfD)“, „Merkel im Bundestag brutal fertig gemacht“.

Viele dieser Videos sind eigentlich urheberrechtlich geschützt, wie die Talkshows „Markus Lanz“ oder „Hart aber fair“ vom verhassten öffentlich-rechtlichen „Staatsfunk“, die in voller Länge veröffentlicht werden. Einige Anbieter versuchen sogar, mit ihren Angeboten Geld zu verdienen, bitten um Spenden per Paypal oder zeigen Werbung.

Praktisch sieht das dann so aus: Wer bei YouTube nach der Bundestagsdebatte über die Freilassung von Deniz Yücel sucht, bekommt von der Autovervollständigen-Funktion als zusätzliches Suchwort den Begriff „Deutschenhasser“ vorgeschlagen. Wenn man stattdessen das Stichwort „Bundestag“ eingibt, bekommt man mehrere Versionen der Rede angeboten, die der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio zu diesem Thema gehalten hat. Der Mitschnitt von der Bundestagssite wurde von einer Armee anonymer AfD-Fans immer wieder gepostet, versehen mit Titeln wie „Dr. Gottfried Curio hält im Bundestag eine glänzende Rede zum Fall Deniz Yücel“.

Paralleluniversum AfD

Wer auf eins dieser Videos klickt, gerät in ein Paralleluniversum, in dem es nur noch eine einzige Partei gibt: die AfD, deren Anhänger sich in einer selbstreferenziellen Filterblase in den Kommentarspalten ununterbrochen versichern, wie toll diese Truppe ist. Von dort aus lenken einen die Empfehlungen weiter ins Biotop der Reichsbürger und GEZ-Verweigerer.

Rund zwei Drittel der US-Amerikaner informieren sich zuerst in den sozialen Medien über aktuelles Geschehen

YouTube und Facebook könnten das Entstehen solcher Filterblasen verhindern, wenn sie endlich akzeptieren würden, dass sie Medienunternehmen sind, die Verantwortung haben für das, was auf ihrer Website zu sehen ist – nicht neutrale Plattformen, die nur eingreifen, wenn bei ihnen strafrechtlich Relevantes veröffentlicht wird. In den USA informieren sich inzwischen rund zwei Drittel der US-Amerikaner zuerst in den sozialen Medien über aktuelles Geschehen, die Deutschen nutzen schon zu 47 Prozent Facebook und zu 22 Prozent YouTube als Nachrichtenquelle.

Diese Unternehmen befriedigen solches Interesse mit einem Mix, der von streng geheimen, von keiner Öffentlichkeit kontrollierbaren Computerprogrammen zusammengestellt wird. Deren Hauptaufgabe besteht nicht darin, Menschen mit brauchbaren Informationen zu versorgen, sondern sie zu möglichst langem Verweilen zu bewegen. Und das tun sie um jeden Preis – auch wenn der darin besteht, die Nutzer ins düstere Universum der Verschwörungstheoretiker und Rechtspopulisten zu verfrachten.

Dass russische Trolle und deutsche AfD-Anhänger diese Algorithmen besonders erfolgreich zu manipulieren gelernt haben, ist logisch: Ihr Ziel, zu polarisieren und Zwietracht zu sähen, kann hier mit geringen Mitteln realisiert werden. Und es hat Erfolg, wie die toxische Diskussionskultur zeigt, die zunehmend auch in die nichtvirtuelle Welt Einzug hält.

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9 Kommentare

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  • Kleine inhaltliche Ergänzung wie sich die im Artikel beschriebene Algorithmus-Problematik praktisch zeigt. Die Analyse wurde von einem US-Wissenschaftler vorgenommen und visualisiert.

    https://medium.com/@d1gi/untrue-tube-monetizing-misery-and-disinformation-388c4786cc3d

     

    Auch wenn's schwerfällt: die demokratische Öffentlichkeit, also insbesondere Linke, Grüne, Liberale müssen sich mit den dahinter liegenden Strategienvon Rechts auseinandersetzen. Ansonsten bleiben die Demokraten hier und anderswo ahnungs- und strategielos über das, was da in den nächsten Jahren medial über "das Netz" auf uns zukommt. Das geht an die Substanz der westlichen Demokratien, so wie wir sie bislang kannten..

  • Da helfen wohl nur Bildung und ein gutes Vorbild (abgeben).

  • Youtube ist kein Medienunternehmen, sondern eine Plattform zum Bereitstellen von Videos. Damit fällt das Unternehmen eher in die Kategorie eines Content Delivery Networks, als in die eines Medienunternehmens. Der gleiche Mechanismus, den Herr Baumgärtel beschrieben hat, funktioniert auch in jede andere politische Richtung, nicht nur nach rechts. Wer z.B. anfängt sich Videos von Contrapoints oder Philosphytube (zwei der wenigen unterhaltsamen, linken Youtuber) reinzuziehen der wird zuverlässig zu anderen Transaktivisten und Sozialisten umgeleitet.

     

    Nun ist youtube eine primär männliche Domäne. Das führt zu einem gewissen Rechtsdrall, weil Männer statistisch gesehen eher nach rechts tendieren als Frauen. Aber die Plattform selbst verschließt sich niemandem. Das man sich hier jetzt über genau diese Neutralität auslässt spricht Bände! Mehr über das Selbstverständnis von Medien als über Youtube.

     

    Und jetzt will ich es mir nicht nehmen lassen nochmal klar zu sagen: "Hass" ist eine völlig beknackte Metrik um zu Diskriminieren. Ein Staat der Anfängt auf Basis von Gefühlen gegen bestimmte Inhalte vorgeht der verabschiedet sich von der Rechtsstaatlichkeit. Es gibt kein Recht darauf von kontroversen Inhalten verschont zu bleiben, auch wenn Gruppen denen man sich zurechnet darin massiv negativ dargestellt werden. Gruppen haben kein Recht darauf nicht beleidigt zu werden. Das weiß jeder Steinewerfer, nur deshalb kann man mit ACAB aufnähern herumlaufen ohne dafür von der Polizei einkassiert zu werden.

    • @Januß:

      Gute Zusammenfassung mit der sie meiner Meinung nach völlig richtig liegen.

       

      "Das man sich hier jetzt über genau diese Neutralität auslässt spricht Bände! Mehr über das Selbstverständnis von Medien als über Youtube."

       

      An dieser Stelle mußte ich irgendwie an den CNN Moderator Stelter denken, der zum Publikum gesagt hat:

      "Everything you need to know you learn from us."(er meint die etablierten Medien)...

    • @Januß:

      "Jede Minderheit hat ein Recht darauf, diskriminiert zu werden!" - Serdar Somuncu ;-)

  • Wenn man sich die tatsächlichen Reichweiten der sozialen Medien mal anschaut und das Nutzerverhalten genauer betrachtet

    ( Themenschwerpunkte der angeklickten Seiten), dürften sie immer noch wenig Einfluss auf die politische Meinungsbildung in Deutschland haben. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/512316/umfrage/anzahl-der-facebook-nutzer-in-deutschland-nach-alter-und-geschlecht/ https://blog.hubspot.de/marketing/social-media-in-deutschland

    Aus eigener Erfahrung bedarf es nicht mehr als ein Zeit Abo, der häufige Konsum ihres Blattes und noch eine Prise Heribert Prantl um AfD Wähler zu werden.

  • Früher folgten wir göttlichen Eingebungen, heraus kamen Krisen, Seuchen und Weltkonflikte. Heute folgen wir berechenbaren Manipulationsversuchen, heraus kommt Internet. Das ist eben der Fortschritt, das digitale Wunder. Die göttlichen Eingebungen (Politik) hinken den Manipulationsversuchen (Alghorithmen) meilenweit hinterher.

  • Wo bleiben die hiesigen Trolle?

  • Ich vermisse die Zeiten, in denen Trolle ein vorwiegend unprofessionelles und humorgeladenes Internet-Phänomen waren. *rülps*