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Debatte Gender Pay GapMehr Sinn! Mehr Profit! Mehr Frauen!

Kommentar von Antje Schrupp

Frauen entscheiden sich oft für soziale Berufe. Aber Ingenieurinnen und Mechanikerinnen verdienen deutlich besser.

Wo ist der Sinn? Frauen fühlen sich in sozialen Berufen oft erfüllter. Bild: imago / McPhoto

K ürzlich kam ich zufällig mit ein paar Frauen ins Gespräch, die einen Beruf haben, von dem ich bis dahin noch nie gehört hatte: Lacklaborantinnen. Was sie erzählten, klang wie aus dem Bilderbuch für Frauenförderpläne. Die Arbeit macht ihnen Spaß, sie sind stolz auf ihr Wissen, und sie verdienen gutes Geld. So weit also alles paletti. Doch dann sagte eine ganz unvermittelt, sie würde sich trotzdem manchmal wünschen, etwas Sinnvolles zu tun. Ich war ein bisschen perplex. Denn gute Lacke zu entwickeln ist doch ganz unbestreitbar sinnvoll. Also fragte ich, wie sie das meint.

Ja, antwortete sie, irgendwie wäre es schon ganz okay, Lacke zu entwickeln. Aber sie hätte eben das Bedürfnis, auch noch etwas „wirklich Sinnvolles“ zu tun. Altenpflege oder als Erzieherin zum Beispiel. Etwas, wo man anderen Menschen helfen kann, ganz konkret. Da war sie also wieder, diese weibliche Liebe zu den „helfenden Berufen“, die zu einem Gutteil an den Einkommensunterschieden zwischen Frauen und Männern schuld ist.

Vielleicht liegt aber genau hier das Problem: Wir haben weitgehend vergessen, dass auch die Entwicklung und Herstellung von Dingen im Prinzip etwas wirklich Sinnvolles ist. Was im Bereich der Sozialberufe unmittelbar einsichtig ist – dass, wer dort arbeitet, etwas im Dienst der Allgemeinheit tut –, wird im Bereich der industriellen Produktion von ihrem kapitalistischen Überbau unsichtbar gemacht: Lacke, die werden doch nicht für das gute Leben auf dieser Welt produziert, sondern für den Profit!

Und viele Menschen, offenbar mehr Frauen als Männer, wollen eben nicht „nur für den Profit“ arbeiten. Auch wenn man ihnen dafür viel Geld bezahlt, bleiben sie unzufrieden, solange ihnen der Sinn ihrer Arbeit nicht einsichtig ist.

Auch Industrieberufe sind sinnvoll

Und das ist auch gut so. Wir können gar nicht genug Leute haben, die bei ihrer Berufswahl auf den Sinn des Ganzen achten. Aber zu glauben, dass nur Altenpflegerinnen und Kinderärztinnen etwas Sinnvolles tun, ist ein Irrtum. Auch Ingenieurinnen, Mechanikerinnen und Lacklaborantinnen tun das – vorausgesetzt natürlich, sie arbeiten nicht in einem Atomkraftwerk oder in einem giftigen Chemiekonzern, der seinen Müll lieber im Meer ablädt, als auf ein bisschen Gewinn zu verzichten. Das ist die Schraube, an der wir drehen müssen, wenn es darum geht, mehr Frauen für Industrieberufe zu gewinnen.

Antje Schrupp

ist Journalistin und Politikwissenschaftlerin. 1999 promovierte sie über Frauen in der Internationalen Arbeiterassoziation („Erste Internationale“). 2007 gründete sie mit anderen das Forum Beziehungsweise weiterdenken (www.bzw-weiter-denken.de).

Trotzdem sind auch jetzt rund um den Equal Pay Day wieder zahlreiche Artikel erschienen mit dem Tenor: Die Frauen sind doch selbst schuld, wenn sie weniger verdienen, sie wählen ja freiwillig die schlecht bezahlten Berufe. Offenbar hat es sich noch immer nicht herumgesprochen, dass es der feministischen Ökonomiekritik nicht einfach nur um das Verhältnis von Frauen und Männern geht. Es wäre doch überhaupt nichts gewonnen, wenn die Ungerechtigkeiten im Verhältnis von gut und schlecht bezahlter Arbeit so bleiben, wie sie sind, nur dass die Geschlechterquote überall genau fifty-fifty betrüge!

Der Gender Pay Gap ist lediglich ein Symptom für ein viel tiefer gehendes Problem, nämlich die systematische Unterbezahlung bestimmter gesellschaftlich notwendiger Arbeiten. Diese Schieflage hat ihre Wurzeln in historischen Geschlechterkonzepten, speziell in der Vorstellung, es sei die Bestimmung und die Natur der Frau, selbstlos für ihren Ehemann und ihre Kinder, aber auch für Bedürftige generell zu sorgen. Der Sinn einer „Frauen“-Arbeit steht, so gesehen, in einem umgekehrten Verhältnis zu ihrer Entschädigung: Je sinnvoller sie ist, umso weniger muss man dafür bezahlen, denn ihr „Sinn“ ist ja Erfüllung genug.

Dieser Mechanismus ist zu kritisieren, und zwar auch dann, wenn es sich bei den Betroffenen nicht mehr ausschließlich um Frauen handelt. Genau andersherum würde ein Schuh draus: Eine sinnvolle Arbeit ist schließlich gesellschaftlich mehr wert als eine sinnlose und sollte deshalb entsprechend gut bezahlt werden. Womit wir wieder bei der Frage wären, woran es sich bemisst, ob eine Arbeit sinnvoll ist.

„Care-Arbeit“ respektieren

Dabei ist auch ein kritischer Blick auf den Begriff „Care-Arbeit“ zu werfen. Er bezeichnet in der Regel die klassischen Sorgearbeiten, also Pflegen, Erziehen, Betreuen, Versorgen und so weiter, die heute nicht mehr nur privat in Haushalten, sondern auch schlecht bezahlt in Institutionen oder prekär in informellen Arbeitsverhältnissen geleistet werden. Es war wichtig, diese Tätigkeiten zunächst erst einmal als „Arbeit“ ins Bewusstsein zu holen, denn vor dem Feminismus galten sie eben als etwas, für dessen Erledigung die weibliche Natur mysteriöserweise von selbst sorgt. Erst durch ihre Sichtbarmachung seitens der Frauenbewegung können sie heute als Teil der Volkswirtschaft, als Teil der Ökonomie gesehen werden (was freilich nicht heißt, dass das auch immer geschieht).

Problematisch ist es aber, wenn nun erneut ein Gegensatzpaar entsteht, nämlich das zwischen „guter Care-Arbeit“ und „böser Industriearbeit“. Ob eine Tätigkeit Care-Charakter hat, bemisst sich nicht daran, welchen Inhalt sie hat, sondern daran, in welchem Geist sie erledigt wird. Ist der Maßstab das gute Leben aller, das, was die Allgemeinheit braucht und was gut für die Welt ist? Oder ist der Maßstab ein anderer, zum Beispiel, wie viel Profit sich herausschlagen lässt?

„Wirtschaft ist Care“ hat Ina Praetorius ihr Buch zu dem Thema betitelt, das gerade bei der Heinrich-Böll-Stiftung herausgekommen (und kostenlos erhältlich) ist. Die ganze Wirtschaft ist Care, nicht nur der Teil von ihr, der mit Helfen, Putzen, Pflegen, Erziehen und so weiter zu tun hat. „Care-Arbeit“ ist deshalb ein Begriff für eine Übergangszeit. Wir brauchen ihn, solange es notwendig ist, den Aspekt der Sinnhaftigkeit von Arbeit eigens zu betonen, weil er ansonsten nicht selbstverständlich mitgedacht wird. Aber Care-Arbeiten bezeichnen nicht ein bestimmtes Spektrum von Tätigkeiten, sondern eine Qualität, die dem Arbeiten generell zukommen müsste. „Care“ ist sozusagen nicht als Substantiv, sondern als Adjektiv zu verstehen: Jede Arbeit sollte Care-Arbeit sein.

Und ich wette, dann würde es auch besser mit den „Frauen in Männerberufen“ klappen.

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4 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • 2 Kommentare gibt es schon zu der absurden These, die Bezahlung von Pflege- und Erziehung habe mit dem Geschlechterverhältnis zu tun. Ein dritter Hinweis scheint mir nötig.

     

    Alle Pflegeberufe, Erzieher, sogar überwiegend Ärzte müssen aus dem bezahlt werden, was anderswo erwirtschaftet wird. Einfach gesagt: wenn niemand Brot backt, Öl fördert oder Solaranlagen baut, wird kein Geld da sein, um auch nur eine einzige Erzieherin zu bezahlen. Es gibt die Industrie und den Handel, die wirkliche Wertschöpfung betreiben und es gibt die weiteren Märkte, Justiz, Schule, Uni, Gesundheit, Soziales, die aus dieser Wertschöpfung mit finanziert werden müssen.

  • nur so ganz nebenbei: Nein, noch einen schönen Lack für den nächsten Golf zu entwickeln (oder wahrscheinlich zutreffender: zu testen) ist keinesfalls so sinnvoll wie Menschen zu pflegen!

     

    Und ja, das wissen wir Männer auch - ich denke Mal Laborant gehört nicht unbedingt zu den "Traumberufen" - auch nicht bei Männern ... vielleicht haben wir Männer es nur gelernt, dass ständiges Jammern nichts hilft - auf der anderen Seite scheint es ja im Moment bei den Frauen prima zu klappen ...

  • Vielleicht sollte die "feministische Ökonomiekritik" sich erst einmal die Mühe machen, die ökonomischen Grundlagen der Preisgestaltung zu beleuchten, bevor sie über die Frau als mythische Quelle selbstlosen Dienstes am Menschen reflektiert:

    Man kann nicht einer Marktwirtschaft einfach unterstellen, dass sie aufgrund von Klischees konsequent ökonomisch unsinnige Entscheidungen trifft. Sie besteht schließlich aus Millionen von Individuen, die alle im Grunde nach Wegen suchen, sich durch von der Masse ABWEICHENDE Entscheidungen einen Vorteil zu verschaffen.

     

    Vor diesem Hintergrund wäre es sinnvoll, mal nach Angebot und Nachfrage in den vermeintlich frauenbildbedingt unterbezahlten Wohlfühlberufen zu fragen: Könnte es z. B. sein, dass diese Berufe vielfach (nicht ausschließlich!)

     

    - von Menschen ergriffen werden, denen das wohlige Gefühl der "sinnvollen" Tätigkeit eine Befriedigung vermittelt, die sie einer höheren Bezahlung bei weniger befriedigender Arbeit vorziehen?

     

    - von Ehefrauen ausgeübt werden, die bei der Partnerwahl Wert auf einen verdienstorientiert arbeitenden Mann gelegt haben und ihre weniger profitable Tätigkeit von diesem "quersubventioniert" bekommen?

     

    Im Wirtschaftsdenglisch heißt das erste "Soft Reward" und das zweite "Dumping". Beides senkt (man könnte auch sagen "verdirbt"), wenn es in einigermaßener Häufigkeit vorkommt, anerkanntermaßen in einem halbwegs freien Markt das Preisniveau. Denn kein Arbeitgeber, auch (und gerade) nicht ein "gemeinnütziger", zahlt einem Arbeitnehmer freiwillig mehr, als der verlangt, und sei die Arbeit auch noch so "sinnvoll". Da liegt der Hase im Pfeffer - ganz ohne Mythen.

  • Sie schreiben: "Diese Schieflage hat ihre Wurzeln in historischen Geschlechterkonzepten,...". Wie belegen Sie diese Behauptung? Speziell z.B. im Gegensatz zu der Theorie ein Lohngleichgewicht stelle sich aus Angebot und Nachfrage ein?

     

    Außerdem habe ich als Geschäftsführer (eine wie ich finde absolut sinnvolle Tätigkeit) auch ab und zu Sehnsucht nach dem direkten menschlichen Feedback von helfenden Berufen. Dieses vermittelt eine sehr direkte Sinnhaftigkeit und macht Nutzen direkt erfahrbar. Vielleicht ist es das, was Ihre Gesprächspartnerinnen meinten.