Debatte Familientrennungen in den USA: Der Zivilisationsbruch der Anderen
Weinende Kinder in Internierungslagern: Die Empörung über Trumps Migrationspolitik ist groß. Dabei ist Europa dem näher, als wir glauben möchten.
K inderhände, die an Maschendrahtzaun rütteln. Kinderstimmen, die weinend darum betteln, ihre Eltern wiedersehen zu dürfen. Die Aufnahmen aus den US-amerikanischen Internierungslagern haben in dieser Woche viele Menschen erschüttert. Fast 2.500 Kinder wurden von ihren Familien getrennt, weil diese versucht hatten, von Mexiko in die Vereinigten Staaten einzureisen.
Die Migrationspolitik des US-Präsidenten Donald Trump ist nicht nur dort ein Problem, wo sie zu weinenden Kindern führt. Trotzdem ist es verständlich, dass gerade diese Maßnahme besonders große Empörung hervorruft. Der Mensch verteilt seine Empathie nie nur nach rationalen Gesichtspunkten, und zum Überleben auf dieser Welt gehört es auch, Leid zu einem gewissen Teil auszublenden. Bricht sich die Empörung dann doch einmal Bahn, dann ist daran nichts Falsches, im Gegenteil.
Trotzdem: Wer den Zivilisationsbruch nur anderswo verortet, ist im Unrecht. Dafür muss man nicht einmal auf die europäischen Außengrenzen verweisen, an denen nach wie vor um ein Vielfaches mehr Menschen sterben als an der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Mehr als 3.000 Mittelmeertote waren es im letzten Jahr. Und viele von denen, deren Leichen auf dem Grund des Meeres liegen, sind Kinder.
Um zu verstehen, dass wir viel näher am Trump’schen Zivilisationsbruch sind, als wir glauben wollen, reicht aber auch ein Blick auf die deutsche Asylpolitik. Denn was ist die Grundlage der Familientrennungen in den USA? Bislang wurden Flüchtlinge ohne Aufenthaltserlaubnis zwar aufgehalten und registriert, durften jedoch für die Dauer des Asylverfahrens im Land bleiben. Das ist nun anders: Wer aufgegriffen wird, wird inhaftiert, die Kinder von den Eltern getrennt.
Der Straftatbestand der unerlaubten Einreise
Nicht nur Horst Seehofer, auch Angela Merkel möchte, dass Flüchtlinge in Deutschland künftig vermehrt in sogenannten Ankerzentren untergebracht werden. Dort leben Menschen hinter Stacheldraht, bis mitten in der Nacht die Polizei vor der Tür steht und sie mitnimmt. Die Kinder, die dort kaserniert sind, dürfen nicht in normale Schulen gehen, haben keine Möglichkeit der Privatsphäre, medizinische und psychologische Versorgung ist auf ein Minimum beschränkt.
Nein, das ist nicht das Gleiche, wie Kinder von den Eltern zu trennen und in Käfige zu sperren. Aber so furchtbar weit weg ist es auch nicht. Und dass Familien bei der Abschiebung auseinandergerissen werden, das gibt es längst auch in Deutschland.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Und noch eine Parallele: An der US-mexikanischen Grenze wurden in den letzten Wochen immer mehr Menschen, die einen Asylantrag stellen wollten, einfach weggeschickt. Versuchen sie, an anderer Stelle die Grenze zu überqueren, droht ihnen die Festnahme. Auch in Deutschland gibt es den Straftatbestand der unerlaubten Einreise, und die maximale Freiheitsstrafe dafür ist mit einem Jahr doppelt so lang wie in den USA. Wer an der Grenze angibt, einen Asylantrag stellen zu wollen, darf jedoch genau zu diesem Zweck einreisen.
Das ist der letzte Rest, der vom Asylrecht geblieben ist: Schutzsuchende, die es bis an die Grenze geschafft haben, dürfen zumindest einen Antrag stellen, der dann geprüft wird. Genau diesen Rest greift die CSU jetzt an, wenn sie fordert, Flüchtlinge künftig pauschal an der Grenze abzuweisen.
Auch viele Linke glauben, ausgerechnet jetzt sei die richtige Zeit, um sich angesichts der so korrekten wie trivialen Feststellung „Wir können doch nicht alle aufnehmen“ in die komplette Selbstlähmung zu grübeln. Verglichen mit dem Widerstand, der Trump zurzeit in den USA entgegenbläst, ist der Protest gegen die deutsche Asylpolitik jenseits der unmittelbar Betroffenen auch deswegen ein laues Lüftchen. Es ist höchste Zeit, dass sich das ändert. Aus der Ferne und im Nachhinein ist der Zivilisationsbruch sehr viel einfacher zu erkennen, als wenn man selbst mittendrin steckt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball