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Debatte Fake News und ihre WirkungDas postfaktische Virus

Kommentar von Johannes Simon

Sich einzubilden, der Triumph der Rechten sei das Ergebnis cleverer Internetpropaganda, ist bequem. Das macht es der Politik zu einfach.

Fake-News, Fake-Präsident, Fake, Fake – aber diese Demo in Berlin gab es wirklich Foto: imago/IPON

P ropaganda, Fake-News und rechte Medien, die auf Objektivität und Fairness spucken: All das ist besorgniserregend. Doch die Panik vor postfaktischen Zuständen droht zunehmend von den tatsächlichen Ursachen des Rechtsrucks abzulenken. Russische Propaganda und angeblich allmächtige Fake-News können auch als Sündenbock dienen, um eigene gesellschaftliche Fehlentwicklungen auf etwas „anderes“ zu projizieren – als sei der Rechtsruck ein Fremdkörper, der sich aus der Finsternis des Internets in unsere heile, liberale Gesellschaft eingeschlichen hat.

Dazu eine kleine Rechnung: Addiert man die Konsumenten der neun wichtigsten neurechten Medien (Junge Freiheit, Compact, Sezession, KenFM, PI-News, RT-Deutschland, Tichyseinblick, Achgut.com sowie Deutsche Wirtschaftsnachrichten), erhält man einen groben Überblick über ihre Reichweite: etwa 1,5 Millionen. Das legt den Schluss nahe, dass von den 8,37 Millionen WählerInnen, die zurzeit die AfD wählen wollen, die große Mehrheit vor allem „Mainstream­medien“ konsumiert. Der Erfolg der Rechtspopulisten kann also kaum allein den rechten „Alternativmedien“ angelastet werden.

Doch breitet sich das postfaktische Virus nicht vor allem über Facebook aus? Gerade Trumps Wahlsieg sei ja ein Triumph der Filterblasen und der dort verbreiteten Fake-News gewesen, heißt es. Fraglich ist jedoch, ob die Rolle von Facebook wirklich so entscheidend war. Dem Meinungsforschungsinstitut Pew Research zufolge erhalten nur 44 Prozent der amerikanischen NutzerInnen regelmäßig politische Nachrichten über Facebook. Das sind weniger als 30 Prozent der US-Bevölkerung.

Auch ist keineswegs bewiesen, dass durch Facebook tatsächlich vermehrt ideologische Filterblasen entstehen, die dann kollektiv vom Boden der Realität abheben. Verlässliche Daten gibt es kaum, doch eine von Facebook in Auftrag gegebene Studie kam zu dem Ergebnis, dass der Filter-Algorithmus kaum Einfluss darauf habe, welche Inhalte den Nutzern angezeigt werden. Viel entscheidender sei die Filterblase, die man sich selbst aufbaut, indem man entscheidet, was und wem man auf Facebook „folgt“ und welche Nachrichten man anklickt.

Johannes Simon

Johannes Simon wurde 1989 geboren, studierte Nordamerikastudien in Berlin und New Orleans. Er lebt in Berlin.

Reagan sprach mit Verachtung von „liberalen Medien“

Die ideologischen Blasen existierten also bereits – Facebook machte sie nur sichtbar. Begriffe wie „Echokammer“ werden in den USA schon seit Langem benutzt, um die sich stetig verschärfende gesellschaftliche Polarisierung zu bezeichnen. Denn dass Konservative in den USA in ihrer eigenen Welt leben und den „Mainstreammedien“ wenig vertrauen, ist nichts Neues. Schon Ronald Reagan sprach nur mit Verachtung von den „liberalen Medien“. Das Onlineverhalten der Menschen spiegelt diese gesellschaftlichen Verhältnisse lediglich wider.

Zweifellos ist verschwörungstheoretisches Denken ein entscheidendes Element von rechtspopulistischer Politik. Auch hat russische Informationspolitik das Ziel, dieses Verschwörungsdenken zu verstärken. Fake-News und im Internet entstehende Parallel­öffentlichkeiten fördern die Radikalisierung und Verhärtung rechter politischer Identitäten.

Viel unsicherer ist aber, was hier Ursache und was Wirkung ist. Entsteht der Rechtspopulismus durch im Internet verbreitete Verschwörungstheorien – oder ist es andersherum? Auch die Wirkung von Fake-News scheint überschätzt. Wer sich von russischer Propaganda wie zum Beispiel im „Fall Lisa“ beeindrucken lässt, wird sich seine entsprechende Meinung schon lange vorher gebildet haben. Jeder, der schon mal auf eine Falschmeldung hereingefallen ist, weiß: Das passiert, weil man an die Meldung glauben will. Fake-News können Menschen lediglich in ihren Vorurteilen bestärken, diese jedoch kaum selbst erzeugen.

Vor allem im Kontext russischer Propaganda werden Fake-News oft geradezu magische Fähigkeiten zugesprochen. So entwarf die Zeit kürzlich folgendes Szenario: „Mitte August 2017 (…) berichten mehrere Online-Portale, der Sohn von Merkels Ehemann Joachim Sauer sei an einem Immobilien-Konsortium beteiligt, das Millionen an der Unterbringung von Flüchtlingen verdient hat.“ Obwohl keine Zeitung die (unwahre) Nachricht aufnimmt, so spinnt die Zeit den Gedanken weiter, kostet sie Merkel die Wahl. Die Täter: „russische Trolle“. Das Opfer: die deutsche Demokratie.

Verschwörungstheorien salon­fähig machen

Solche alarmistischen Szenarien gehen davon aus, russische Bemühungen könnten irgendetwas in Bewegung setzen, was nicht sowieso schon lange ins Rutschen gekommen ist. Doch nicht einmal die Wahl in den USA gibt Anlass zu diesen Sorgen. Festzustellen ist zuerst, dass der angebliche russische Einfluss auf die US-Wahl nichts mit Fake-News zu tun hatte. In dem jüngsten Bericht der US-Geheimdienste wurden zwei Momente der russischen Einflussnahme angeführt: die bei Wikileaks veröffentlichten E-Mails und die Propaganda­tätigkeit von Russia Today.

Das Ziel der russischen Bemühungen sei es gewesen, Clinton zu schwächen, Trump zum Sieg zu verhelfen und gleichzeitig das Vertrauen in die amerikanische Demokratie zu untergraben. Das mag stimmen, doch sind sie bei diesem Vorhaben nicht annähernd so effektiv gewesen wie die amerikanische Rechte – der dominanten politischen Kraft im Land, die exakt dieselben Ziele verfolgte.

Auch Russia Today (das Medienberichten zufolge in den USA 30.000 Zuschauer am Tag hat) ist ein Witz gegen Fox News, den größten Nachrichtenkanal der USA, der auch Trump und seiner „Birther“-Theorie seit Langem eine wohlgesinnte Plattform bot. Fox News hat mehr als jede russische Propaganda dazu beigetragen, verschwörungstheoretisches Denken salon­fähig zu machen.

Es ist beruhigend, sich einzubilden, der Triumph der Rechten sei das Ergebnis von cleverer Internetpropaganda und sowieso aus einem gewissen Land im Osten importiert. Doch das stimmt nicht. Trump, die AfD und die nationalistischen Tendenzen, die die EU zu zerreißen drohen, sind kein Fremdkörper, sondern ein genuines Produkt der westlichen Gesellschaften, die Kulmination langfristiger politischer Fehlentwicklungen.

Dass das Recherchekollektiv Correctiv jetzt mit Facebook zusammenarbeitet, um gegen Fake-News vorzugehen, ist begrüßenswert und lange überfällig. Doch sollte man sich nicht der Illusion hingeben, dem Rechtsruck sei durch technokratisches Öffentlichkeitsmanagement beizukommen. Politische Probleme verlangen nach politischen Lösungen.

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6 Kommentare

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  • Was früher die Shake Shake Zittertanz Bewegten auf den Märkten, vor Rathäusern, Parlamenten angesichts erstarrt gesellschaftlicher Wirklichkeiten waren, sind heute die Fake Fake News starrenden Zitterer, angesichts überbordender Massen an unübrsehbar recherchiert belastbaren Fakten und wirklichen Geschichten, die unbearbeitet unablässig unerhört nach dem Staatsanwalt für Völker- und Menschenrecht schreien

  • @ taz

    Ist es denn nicht möglich, das AFD-Wähler, die Mainstream-Medien zwar konsumieren, denen aber trotzdem nicht glauben, weil sie durch die Volksverhetzung der AFD verblendet sind?

    Zusätzlich sind diese Leute doch offensichtlich überfordert gegenüber der vielfältigen Nachrichtenflut und z.T. eben, wegen ihrer vorher schon manipulativen DDR-Vergangenheit.

  • Interessanter und nachvollziehbarer Ansatz. Ich bin allerdigs über die Zahlen zur Pew-Studie gestolpert. Nach meinen Erkenntnissen erhalten 66% der US-Facebook-Nutzer News über das Portal. Das wären dann 44% der Bevölkerung?!

  • Das "Pfeifen im dunklen Wald" ist das menschliche Äquivalent zum Schnurren der Katzen. Sich selbst zu beruhigen, kann durchaus hilfreich sein – oder fatal.

     

    Hilfreich ist es, wenn man rein gar nichts ändern kann an einem bedrohlich scheinenden Umstand, dem man nicht entkommen kann. Nicht hilfreich ist es, wenn es einen daran hindert, zu tun, was man tun müsste, um eine Gefahr abzuwenden, die abzuwenden ist.

     

    Dass sich viele Leute einreden, der Triumph der Rechten in Europa und den USA sei "aus einem gewissen Land im Osten importiert", verstehe ich. Richtig finde ich es aber nicht. Der Rechtsruck ist schließlich kein Naturphänomen. Es ist von Menschen gemacht, kann also auch von Menschen beendet werden – wenn sie denn etwas sinnvolles dagegen tun.

     

    Was sinnvoll ist, muss diskutiert werden. Wer sich zu stark sediert, fällt als Diskussionsteilnehmer aus. Sieht also aus, als sollten wir tatsächlich mal wieder darüber reden, ob zuerst das Ei war oder doch das Huhn.

     

    Entsteht Rechtspopulismus erst durch im Internet verbreitete Verschwörungstheorien – oder ist er ein "genuines Produkt der westlichen Gesellschaften, die Kulmination langfristiger politischer Fehlentwicklungen". Ich denke, es ist noch ganz anders.

     

    Es ist wie mit den Hühnerküken. Ein Ei ist längst kein Huhn. Erst muss das Ei befruchtet werden, dann muss es wachsen und dann muss die Henne auch noch brüten. Wenn es die Keimzelle nicht gibt, nützt alles brüten nichts. Die Keimzelle allein ist allerdings auch noch nicht lebensfähig.

     

    Die Frage, was Ursache und was Wirkung ist, hält uns nur sinnlos auf. Wir müssen da ansetzen, wo wir tatsächlich Zugriff haben. Bei Putin also nicht – es sei denn, wir führen einen neuen großen Krieg. Wir wären besser beraten, finde ich, unsere Gesellschaft so zu organisieren, dass sie möglichst wenig Keimzellen produziert, die irgendwer bebrüten (lassen) kann.

     

    Klingt beunruhigend anstrengend? Scheint aber leider der einzig erfolgversprechende Weg zu sein.

  • Neben den Medien, die als Verbreiter „postfaktischer Viren“ Wähler und Wahlergebnisse beeinflussen (oder auch nicht), sind es auch immer noch die Inhalte, die die Parteien den Wählern präsentieren. Dabei fällt auf, dass die „Rechten“ dabei ganz ungeniert in die Wortschatz-Kiste der „Linken“ greifen und die darin gefundenen Parolen offenbar deutlich erfolgreicher in Wählerstimmen umsetzen können. Jedenfalls sind Politiker der Linkspartei erkennbar genervt, wenn sie auf diesen Fakt hingewiesen werden. Die uralte Weisheit der Parteistrategen, wonach die Wähler das Original bevorzugen und nicht die Kopie, gilt anscheinend nicht mehr.

     

    Vielleicht könnte die TAZ auch mal diese Fakten genauer unter die Lupe nehmen!

  • "Das legt den Schluss nahe, dass von den 8,37 Millionen WählerInnen, die zurzeit die AfD wählen wollen, die große Mehrheit vor allem „Mainstreammedien“ konsumiert "

     

    Einen Schluss daraus kann man auch wie folgt ziehen: Rechte Agitatoren konsumieren rechte Medien und verbreiten den Unsinn verbal in ihrem näheren Umfeld, sprich in der Familie, auf Arbeit, im Verein, unter den Nachbarn etc. Man darf nicht vergessen, dass die überwiegende Informationsquelle der Mensch neben einem sein kann, wenn die Medienflut allgemein als Überforderung wahrgenommen wird. Dieser mediale Filter darf in der Rechnung nicht vergessen werden.