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Debatte Europäische UnionMerkel muss den Draghi machen

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Italiens neue Regierung wird populistisch sein. Aber sie hat recht, wenn sie gegen das strikte Spardiktat aus Brüssel und Berlin aufbegehrt.

Wohin steuert das krisengebeutelte Italien? Foto: Unsplash/Karsten Würth

S chon wird über einen „Italexit“ spekuliert: Scheidet Italien demnächst aus dem Euro aus? Denn die neue Koalition aus Lega und 5-Sterne-Bewegung hat ein klares Ziel. Sie will nicht länger den drakonischen Sparkurs praktizieren, der Italiens Wirtschaft schwer lädiert.

Noch hoffen viele, dass die künftige Regierung nur posiert. In einem taz-Interview diagnostizierte der italienische Politologe Piero Ignazi „etwas infantile Züge“ bei den neuen Herren in Rom. Sie würden sich „gebärden wie Jugendliche, die zum ersten Mal einen Club betreten – und die natürlich zunächst auf sich aufmerksam machen wollen.“

Vielleicht hat Ignazi recht, dass die neue Koalition schnell eingeschüchtert ist, wenn die Europäische Zentralbank ihre Waffen zeigt: Sie könnte den Geldhahn zudrehen, wenn die Italiener unerlaubte Staatsdefizite aufhäufen. Griechenland lässt grüßen, wo die Bankautomaten 2015 auch fast leer waren, als die linke Syriza-Regierung nicht spuren wollte.

Außerdem gibt es ja noch die „Technostruktur“ in Italien, wie Ignazi es nennt. „Dazu gehört die Banca d’Italia, dazu gehören der Unternehmerverband Confindustria und andere Interessenverbände, dazu gehört auch der Staatspräsident. Sie alle werden als Sicherheitsnetz wirken.“

Die Verzweiflung ist nicht eingebildet

Natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass sich Staatspräsident und Industrie erfolgreich gegen den Wählerwillen stemmen – und der Sparkurs weiter fortgesetzt wird. Doch was würde das nützen? Diese zwingende Frage wird von den europäischen Eliten leider nicht gestellt.

Die italienischen Wähler bilden sich ja nicht ein, dass ihre Lage verzweifelt ist. Die Zahlen sind verheerend: Seit 1999, also seit der Einführung des Euro, ist die italienische Wirtschaftsleistung um mickrige 8,2 Prozent pro Erwerbsfähigem gestiegen. Durch den Euro hat Italien also zwei Jahrzehnte verloren – da erstaunt es nicht, dass viele Wähler gegen das Spardiktat aus Brüssel und Deutschland rebellieren.

Die italienischen Wähler bilden sich ja nicht ein, dass ihre Lage verzweifelt ist. Die Zahlen sind verheerend

Die Italiener sind zum Opfer des Euro geworden. Vor allem ein Tag ruinierte alle Hoffnungen auf eine bessere Zukunft: der 21. Juli 2011. Damals setzte Kanzlerin Merkel auf einem Euro-Gipfel durch, dass sich Banken und Versicherungen „substanziell“ an einem Schuldenschnitt für Griechenland zu beteiligen hätten.

Italien ist bekanntlich nicht Griechenland, aber das interessierte die Investoren nicht mehr. Als ein Schuldenschnitt für Griechenland diskutiert wurde, fürchteten sie, dass auch andere Euroländer konkursreif seien – und prompt fiel ihnen Italien auf. Die italienischen Staatsschulden betrugen damals 115 Prozent der Wirtschaftsleistung, und nur diese eine Zahl zählte. Niemand nahm mehr wahr, dass Italien diese Schulden bereits seit mehr als 20 Jahren mitgeschleppt und stets verlässlich bedient hatte.

Panik, die Panik schürt

Stattdessen machte sich Panik breit: Hektisch verkauften Banken und Versicherungen ihre italienischen Staatsanleihen, so dass die Zinsen auf über 7 Prozent stiegen. Italien musste daher ein drakonisches Sparpaket auflegen, was die Wirtschaft prompt schrumpfen ließ, was wiederum die Staatsverschuldung erhöhte, die doch eigentlich gesenkt werden sollte. Italien geriet in einen Teufelskreis, der die Panik der Investoren erst recht schürte.

Die Europäische Zentralbank zögerte lange, weil die deutsche Bundesbank bremste, und griff erst im Juli 2012 entschieden ein. Damals kündigte EZB-Chef Mario Draghi an, dass man „alles“ (what­ever it takes) tun würde, um den Euro zu retten. Die Investoren wussten sofort, was damit gemeint war: Ab jetzt würde die Notenbank unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen, um die Zinsen für Italien nach unten zu drücken. Die Panik verebbte sofort, so dass die EZB damals keine einzige Staatsanleihe erwerben musste. Reine Psychologie reichte aus, um die Anleger zu beruhigen.

Aber der Schaden war geschehen. Durch die hohen Zinsen und den staatlichen Sparkurs schrumpfte die italienische Wirtschaft 2012 um 2,8 Prozent und 2013 noch einmal um 1,7 Prozent. Die Arbeitslosigkeit schnellte auf 12,6 Prozent.

Es ist nicht übertrieben: Millionen von Italienern mussten büßen, weil Deutschland mehrere Fehlentscheidungen im Fall Griechenland durchsetzte. Doch statt die eigenen Irrtümer einzusehen, spielen sich die Deutschen jetzt als Besserwisser auf. Weiter wird auf hartes Sparen bestanden – und falls die Italiener nicht brav folgen, wird ihnen der Untergang angedroht. Auf europäische Solidarität dürften die Italiener nicht rechnen, erläuterte EU-Parlamentarier Elmar Brok (CDU) am Dienstag. „Deshalb wird die Wirtschaft dort einbrechen. Die italienischen Banken werden einbrechen. Viele Italiener werden dann versuchen, ihre Ersparnisse ins Ausland zu bringen, um sie vor dem Chaos zu retten.“ Griechenland lässt grüßen.

Die Euroskepsis wird nicht verschwinden

Die Lega und die 5-Sterne-Bewegung sind so chaotisch, dass sie wahrscheinlich einknicken – zumal viele ihrer Vorstellungen sowieso ins Reich der Fantasie gehören wie etwa eine flächendeckende Steuersenkung auf maximal 20 Prozent.

Die Euro-Granden in Deutschland und in Brüssel jubilieren schon, weil sie die neue italienische Koalition für einen leichten Gegner halten. Diese Perspektive ist falsch. Das Signal ist: Die Italiener sind so verzweifelt, dass sie sogar Fantasten wählen. Sollten die Lega und die 5-Sterne-Bewegung scheitern, wird nicht die Euroskepsis in Italien verschwinden – sondern es werden neue Parteien kommen, die dieses Gefühl professioneller artikulieren.

Das Ende vom Euro hat begonnen. Es sei denn, der 26. Juli 2012 wiederholt sich. Damals sprach Draghi sein berühmtes „Whatever it takes“ und definierte die Rolle der EZB neu. Eine solche Wende wird wieder gebraucht, und diesmal muss das europäische Spardiktat gelockert werden. Das Signal kann nur aus Berlin kommen, von Angela Merkel. Sie muss den Draghi machen.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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10 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Dank an Ulrike Herrmann für ihren Beitrag

    Mit Karl Marx 200 Jahre unterwegs, erleben wir in dialektisch beharrenden Gesellschaftssystemen, die auf Anreize von außen angewiesen bleiben, sich zu verändern.

    Marx, allein von März 1848 bis Juni 1849 erst in Paris dann in Köln häufig die Pferde vom Kommusitischen Bund zu radikalen Demokraten, zum Kölner Arbeiterverein und zurück zum Kommunistischen Bund nun in London wechselnd, plädiert sogar auf erklärten Krieg gegen die zaristisch-russische Knechtschaft im Bündnis mit dem Königreich Preußen in Polen, souveräne Republik Polen zu werden..

    Angela Merkel plädiert nicht auf erklärte Kriege, eher sogenannte Bundeswehr Ausbildungs- , Stabilitätsmissionen inzwischen an 11 Einsatzorten, vor allem aber auf larvierende Krisen. Merkel scheint da mit dem Maus Blick auf die Schlange K Donald Trump mit seinem "America First" dessen Sankrionspolitik "Splendid Isolation" gegen den Rest der Welt auf Außenreize zu warten. Wenn ja, bis die deutsche Exportwirtschaft nachhaltig abgewürgt ist, um sich endlich auf die Lage berufend, die allein andere zu verantworten haben, wie die USA, China, Indien, Russland mehr zumindest mit verbaler Aufgeschlossenheit der Binnenkonjunktur Stärkung, Kaufkraftgewinn im Euroraum zuzuwenden. Ich erinnere Merkels Atomausstieg 2011 nach dreifachem GAU in Fukushima/Japan 12, März 2011 nachdem sie rotgrünen Atomausstieg 2002 mit der FDP 2010 supendierte. Merkel braucht mit ihrer Polirtik auf Sicht keinen Plan, sondern die Lage, die sie systemisch zur Entscheidung zwingt. Darin scheint sie, in der DDR sozialisert, Adeptin Karl Marx zu sein, der sich nie als Revolutionär, Marxist begriff, sondern auf Sicht gesellschaftliche Verhältnisse analysiert, als Journalist der Neuen Rheinischen Zeitung in 301 Ausgaben bis zur Abschieds Ausgabe in Rot von April 1848 - Juni 1949 kommentiert. Worauf Weggenossen wie Armenarzt Gottschalk Köln, ihn Prediger ohne revolutionäre Vision schimpfen. ("Karl Marx, der Unvollendete" )

  • Danke, Frau Herrmann. Sehr lesenswert Ihr Kommentar.

    Schon lange trägt die deutsche Regierung dazu bei, die EU an die Wand zu fahren. Auch der Brexit ist Folge der deutschen Hegemonieansprüche. Warum allerdings alles, was nicht den deutschen Vorstellungen entspricht, populistisch sein soll, erschließt sich mir nicht.

  • Um den Euro zu retten, braucht es Sachverstand, politische Durchsetzungskraft und eine europäische Vision über Legislaturperioden hinaus. Dies von unserer Kanzlerin zu erwarten, dürfte ihre Fähigkeiten überschreiten.

    Hoffen wir auf Macron und ähnliche fähige Politiker - mir fällt allerdings im Moment kein anderer/keine andere ein.

    • @Hans-Georg Breuer:

      Macron ist ein fähiger Politiker? Gut, er hat erkannt, dass etwas passieren muss. Aber er hat die falschen Lösungen. Frankreich ökonomisch und sozialpolitisch zu "germanisieren", ist definitiv der falsche Weg.

  • tja und dem Architekten der Missere - Schäuble - hat man zum Dank den Karlspreis verliehen (womit klar wird wie wertlos der ist). Und noch Schlimmer: Scholz macht genau so weiter: dahinter kann nur stecken das man Europa opfert mit der Hoffnung es bringt Stimmen für die nächste Wahl bei der SPD. Meine Prognose: Ne, wird nix.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Der Sparzwang wird auch woanders Folgen haben. In Frankreich drückt Macron zwar seine Reformen brutal durch, aber die Beschäftigungslage ändert sich deswegen nicht. Nach einem leichten Rückgang, steigt die Arbeitslosigkeit wieder an. Das ist die direkte Folge der Arbeitsmarktreform: Durch Erleichterungen bei Entlssungen setzen die Betriebe ersteinmal massiv die Leute auf die Strasse. Dann kommt die Phase der Neueinstellungen mit schlechteren Arbeitsbedingungen, höherer Prekarität und niedrigeren Löhnen. Und dann kommt Le Pen...weil den Leuten eingetrichtert wird, dass die Immigranten an ihrer Situation Schuld sind und nicht die Banker. Macrons Regierung bereitet jetzt schon das Terrain vor mit einer massiven Hetze gegen illegale Immigranten. Welche Entwicklung wird dann ein rechtspopulistisches Europa nehmen? Denn wenn Italien und Frankreich fallen, wird auch Deutschland nachziehen, weil die Wähler nicht für die Franzosen und Italiener zahlen wollen und die Flüchtlinge, die hin und her geschoben werden aufnehmen wollen.

    Vergessen wir nicht, dass der europäische Faschismus mit dem Marsch auf Rom begonnen hat.

  • "Italiens neue Regierung wird populistisch sein. Aber sie hat recht, wenn sie gegen das strikte Spardiktat aus Brüssel und Berlin aufbegehrt."

     

    Und so kann man ein weiteres mal beobachten, wie gering die Berührungsängste zwischen den Populisten sind.

     

    Wer so argumentiert ist nicht nur selber ein Populist, sondern sollte sich unterstehen, jemals wieder gegen pöse Panken zu wettern, die den Zirkus auf Kosten der nächsten Generationen vorfinanzieren.

     

    "Natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass sich Staatspräsident und Industrie erfolgreich gegen den Wählerwillen stemmen – und der Sparkurs weiter fortgesetzt wird. Doch was würde das nützen?"

     

    Ist das wirklich ernst gemeint oder ist man nicht dazu in der Lage, das Modell des ideologischen Gegners intellektuell zu durchdringen?

    • @Liberal:

      Zusammengefasst. Wer gegen den Euokurs der Kanzlerin ist, ist ein Populist?

  • Erstaunlich wie sich die Diskussion auf die stereotypischen südländischen Klischees schnell verlagert. Ob GR, oder jetzt Italien (//http://www.spiegel.de/politik/ausland/italien-die-schnorrer-von-rom-kolumne-a-1209266.html) - ganz schnell wird die teutonische Klugscheißerkeule ausgepackt, mit "it's economy, stupid" beschriftet und auf das betroffene Land damit eingedroschen. Wehe, wenn (wie halt in GR oder I) auch noch die Falschen die Wahlen gewonnen haben.

     

    Unglaublich, wenn ein Land, das sehr schnell dabei ist, z.B. richtung Osten zu dozieren, dass man "in einer Gemeinschaft auch Pflichten hat", bei sich selber vergisst, dass sich diese Pflichten auch auf das Ökonomische beziehen. Das größte Unglück der Eurozone ist, dass man das bisher durchegehn lässt, obwohl die Ungleichgewichte (verstärkt durch die Agenda-reformen) eindeutig währungsbedingt sind: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/03/Balance_of_trade_in_goods_and_services_%28Eurozone_countries%29.gif

  • "Sollten die Lega und die 5-Sterne-Bewegung scheitern, wird nicht die Euroskepsis in Italien verschwinden – sondern es werden neue Parteien kommen, die dieses Gefühl professioneller artikulieren."

     

    Völlig richtig. Man muss die Ursachen angehen, nicht die Symptome.

     

    Allerdings wird Frau M. ihren Kurs, die EU an die Wand zu fahren, nicht ändern, Erstens weil sie nicht will, denn sie glaubt alles richtig zu machen und zweitens weil sie mit der CSU im Schlepptau nicht kann.