Debatte Energiewende: Der nächste Solarboom
Warum die große Zeit der Photovoltaik erst jetzt beginnt. Und was die Röslers und Oettingers sich dagegen noch einfallen lassen werden.
E s ist ja fast schon putzig, dieses Beharren auf den Realitäten der Vergangenheit. Da reden die Röslers und Oettingers noch immer über die Photovoltaik als ach so teure Energiequelle – und merken gar nicht, dass dies längst Schnee von gestern ist. Vor fünf Jahren war Strom aus Sonnenlicht durchaus noch relativ teuer. Heute aber produzieren neue Photovoltaikanlagen billiger Strom als jeder Offshore-Windpark und jedes Geothermiekraftwerk.
Entsprechend niedrig sind inzwischen die Einspeisevergütungen: Wer in diesen Wochen eine Solarstromanlage auf seinem Hausdach ans Netz bringt, erhält noch 15,35 Cent pro eingespeister Kilowattstunde als Vergütung. Das ist schon deutlich weniger, als der Steckdosenstrom kostet, sodass die Hausdach-Photovoltaik an der Schwelle zur Wirtschaftlichkeit steht.
Zwei Prognosen seien daher an dieser Stelle gewagt. Erstens: Deutschland steht vor einem neuen Solarboom. Anders als der erste Boom in den letzten Jahren wird dieser aber aus eigener Kraft erfolgen; er wird keine Einspeisevergütungen mehr benötigen, sondern schlicht vom Bestreben getrieben sein, mit der Photovoltaik den Strombezug aus dem Netz zu reduzieren.
ist Autor der taz.
Die nach der Bundestagswahl anstehende gründliche Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) wird deswegen die Photovoltaik nicht mehr grundsätzlich in Frage stellen können. Was will man hier auch noch groß kürzen? Schon nach dem aktuell geltenden Gesetz werden kleine, neu installierte Dachanlagen im nächsten Sommer nur noch rund 12 Cent je Kilowattstunde erhalten. Denn mit jedem Monatswechsel sinken inzwischen die Vergütungssätze.
Solarstrom lieber selbst verbrauchen
Entsprechend verlieren die Einspeisekonditionen für die Photovoltaik stetig an Bedeutung. Künftig werden Anlagenbetreiber deshalb folgendermaßen rechnen: 12 Cent kostet der Strom vom Dach, der Strom aus dem Netz hingegen gut das Doppelte. Also verbraucht man den Solarstrom – wo immer sinnvoll – lieber selbst. Und bei einer Preisspanne von rund 15 Cent zwischen Solarstrom und Netzstrom wird auch Speichertechnik langsam interessant.
Daher ist auch auf der Messe Intersolar, die am Mittwoch in München begann, Speicherung das dominierende Thema. Und all den Röslers, die offenbar noch immer glauben, sie könnten durch eine nochmalige rabiate Kürzung der Vergütungen die Photovoltaik doch noch plattmachen, sei gesagt: Dazu ist es zu spät.
Die Technik hat sich durch Eigenverbrauchslösungen von der Förderung emanzipiert. Auch industriepolitisch ist das für Deutschland eine willkommene Entwicklung, denn die Eigenverbrauchsanlagen bieten der heimischen Solarwirtschaft gute Perspektiven – selbst wenn es keine Strafzölle für chinesische Ware gäbe.
Aus einem einfachen Grund: Wenn weniger die Großanlagen den Markt dominieren, sondern kleine Anlagen auf privaten Dächern, an Fassaden und Balkonen, werden individuellere Modultypen gefragt sein. Und das kommt deutschen Herstellern entgegen: Während die Chinesen die Massenware für Freilandparks einfach billiger fertigen können als die Deutschen, wird man Sonderformen besser aus heimischen Fabriken anbieten können.
Neue Modultypen im Kommen
Denn wenn die Photovoltaik durch Eigennutzung des Stroms zum festen Bestandteil der Architektur wird, braucht man eine enorme Produktvielfalt. Dann wird der Markt Solarzellen in verschieden Farbtönen verlangen, er wird vielfältige Formate und Bauformen nachfragen: Warum nicht mal dreieckige oder trapezförmige Module für eine individuelle Baugestaltung?
Oder halbtransparente Module, die als Verschattungselemente eingesetzt werden? Man wird außerdem Kleinanlagen sehen, die von Mietern an ihrem Balkongeländer angebracht werden. Beim Auszug sind sie einfach zu demontieren; auch Mieter wollen schließlich den günstigen Strom von der Sonne nutzen.
So sind die Perspektiven nicht schlecht für die deutsche Solarwirtschaft und für die solare Energiewende. Trotzdem gibt es ein Risiko, und das führt nun zur zweiten Prognose: Die Lobby der Kohlekraft (zusammen mit den letzten versprengten Atomlobbyisten) wird natürlich weiterhin gegen die Sonnenkraft agitieren.
Denn die Photovoltaik ist für die etablierten Kraftwerksbetreiber so heikel wie keine andere erneuerbare Energie; eine derart dezentrale Erzeugung kriegen die Konzerne schließlich selbst nicht bewerkstelligt.
Kommt die Solarsteuer?
Wenn nun die Vertreter der alten Stromwirtschaft in den nächsten Monaten und Jahren feststellen werden, dass die Photovoltaik auch bei kompletter Abschaffung der Förderung nicht totzukriegen ist, werden sie neue Geschütze auffahren. Dann werden sie garantiert versuchen, die Photovoltaik aktiv zu behindern.
Sie werden eine Solarbremse, eine Art Solarsteuer fordern. Natürlich werden sie diese nicht unverblümt so benennen, sondern sich Euphemismen einfallen lassen. Und deswegen steht die Prognose eines Solarbooms 2.0 unter dem Vorbehalt, dass der Solarenergie keine zusätzlichen Schikanen in der Nach-EEG-Ära auferlegt werden.
Das Risiko besteht, denn die Apologeten der alten Energiewelt werden nichts unversucht lassen, den Siegeszug der Photovoltaik weiter zu torpedieren. Schließlich ist der Gedanke an Solarstromanlagen, die ohne Förderung rentabel sind, für sie nicht allein aus wirtschaftlichen, sondern auch aus ideologischen Gründen unerträglich.
Haben die betreffenden Akteure doch immer wieder betont, dass sich Solarstrom hierzulande niemals lohnen kann. Da ist es hart, wenn die Realität das Gegenteil beweist. Es wird also spannend sein zu beobachten, wie die Röslers der Nation, die immer das Wort vom Markt im Munde führen, plötzlich Eingriffe in den Markt fordern werden, sobald die Photovoltaik sich in steigendem Maße alleine behauptet.
Diese Eingriffe abzuwehren, wird in den nächsten Jahren ein zentraler Punkt sein für jeden, der die Energiewende unterstützt. Denn eine von oben betriebene Verteuerung des Photovoltaikstroms ist in der Tat die einzige Gefahr, die dem Solarboom droht. Die Debatte um Einspeisevergütungen hat sich unterdessen überlebt.
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