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Debatte Datenschutz im NetzDer Sieben-Punkte-Plan

Kommentar von Svenja Bergt

Internetkonzerne scheinen übermächtig, doch digitaler Widerstand ist möglich. Eine Anleitung zur Selbstermächtigung.

Wie wäre es mit Signal statt Whatsapp? Foto: reuters

W enn es um das Internet geht, fordern Politiker gerne: Das Netz darf kein rechtsfreier Raum sein. Eine Forderung, die vor allem zeigt, dass ihr Urheber schon eine ganze Weile nicht im Internet war. Denn mittlerweile hat es sich eher zum Gegen­teil eines rechtsfreien Raumes verwandelt. Zu einem Raum, der so voll gestopft ist mit Recht, dass es fast unmöglich ist, den Überblick zu behalten. Mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf Romanlänge, mit extra geschriebenen Gesetzen, mit Rechtsprechung, die öfter mal das eine und mal das andere sagt, und mit Abmahnungen, einstweiligen Verfügungen, Unterlassungserklärungen.

Wer darin untergeht: die Nutzer. Kürzlich beklagte in dieser Zeitung Rea Eldem, dass sie daran scheitert, alte Daten – etwa kompromittierende Fotos – aus dem Netz zu tilgen. Das ist tatsächlich ein Problem. Und es wird noch viel größer, wenn man sich der Frage stellt: Was würde dagegen helfen? Eine Bundesregierung, die, statt auf EU-Ebene gegen mehr Datenschutz zu lobbyieren, dafür kämpft? Staaten, die Steuersparmodelle von transnationalen Konzernen einschränken? Eine Bundeskanzlerin, die nicht dauernd wiederholt, dass sie der Wirtschaft keine Datensparsamkeit vorschreiben mag? Eine Reform des Wettbewerbsrechts, das hierzulande vor allem auf der Idee beruht, Konkurrenten würden sich bei Verstößen schon gegenseitig abmahnen und der Markt so alles von selbst regeln?

All das würde helfen. Aber auch unter einer Jamaika-Koalition wird das nicht gerade wahrscheinlich – im Zweifelsfall werden sowohl Grüne als auch FDP andere Themen wichtiger finden. Und für die Union ist Datenschutz in etwa so relevant wie der Schutz von Einhörnern. Was also hilft?

Facebook, Google, Amazon, Apple sind vor allem deshalb so mächtig, weil wir, die Gesamtheit der Internetnutzer, sie so mächtig gemacht haben. Der primäre Grund dafür ist: Bequemlichkeit. Warum einen alternativen Messenger suchen, wenn alle Freunde eh bei WhatsApp sind? Bei Facebook, bei Instagram, bei Snapchat? Netzwerkeffekt heißt der Teufelskreis, der beschreibt, dass alle dahin gehen, wo alle sind, und deshalb dort alle hin­gehen. Dazu kommt: Das Produkt, der Dienst, die App, die alle nutzen – die können doch nicht ganz schlecht sein, oder?

Leider doch. Facebook etwa erhält das Recht zur „gebührenfreien, weltweiten“ Nutzung von Fotos und Videos. WhatsApp lädt das komplette Telefonbuch seiner Nutzer auf die eigenen Server. Und Amazon reichert die Datenbanken über seine Kunden mit Informationen an, die Kunden gar nicht selbst dort preisgegeben haben. Die gute Nachricht ist: Genauso wie Nutzer etwas für die Macht der Konzerne tun können, können sie etwas dagegen tun. Denn Facebook, Google und Amazon sind keine Naturkatastrophe, die über die Menschheit gekommen ist und mit der man sich nun irgendwie arrangieren muss, notfalls unter Preisgabe eines guten Teils der Privatsphäre.

Sieben Punkte für den digitalen Widerstand

Sich als Nutzer zu wehren kostet Nachdenken, Zeit, vielleicht auch Nerven. Aber für alle, die mehr tun wollen, als sich über die Unrückholbarkeit von alten Partyfotos zu ärgern, hilft ein Sieben-Punkte-Plan für den digitalen Widerstand.

Entscheiden: Nicht einfach den Dienst nutzen, den alle anderen auch verwenden. Man muss auch nicht 50 Seiten Allgemeine Geschäftsbedingungen lesen, um die Fallstricke zu finden. Das haben meist andere schon getan und veröffentlicht. Das Ergebnis muss nicht immer Abstinenz heißen – es geht auch differenzierter. Facebook ja, aber keine privaten Fotos, zum Beispiel. Oder zumindest ein informiertes: Ja, Sie dürfen alles mit allen Daten machen, die ich und andere über mich posten, und ich lebe mit den Folgen.

Neue Wege gehen: Es gibt Alternativen zu WhatsApp, Google und Co. Sie sind weniger bekannt, manchmal kosten sie Geld, weil sie sich nicht über Werbung finanzieren und keine Nutzerdaten verkaufen. Einige finden Sie am Schluss dieses Textes, aber es gibt noch viel mehr, auch ganz individuelle. Die großen Anbieter bedienen die Masse. Wer keinen Massengeschmack, keine Massenbedürfnisse hat, ist daher bei ihnen nicht unbedingt am besten aufgehoben.

Nein sagen: Die Fußballgruppe Ihrer Tochter will sich über WhatsApp organisieren? Der Lehrer verteilt Hausaufgaben über Facebook? Schlagen Sie Alternativen vor.

Die eigenen Rechte durchsetzen: Die Daten sind im Netz, die Reue ist groß und doch sind Nutzer nicht machtlos. Einen möglichen Weg hat Max Schrems gezeigt, zu Beginn seines Rechtsstreits mit Facebook noch Jurastudent. Sein Rezept: Hartnäckigkeit. Am Ende schaffte er es, ein Abkommen zwischen EU und USA zu kippen. Für den Anfang reicht auch ein Brief an ein Unternehmen mit der Bitte um Auskunft, welche Daten es über einen gespeichert hat.

Schikanen umgehen: Facebook will persönliche Fotos nur dann aus dem Netz nehmen, wenn man ein aufwendiges Form-Prozedere auf sich nimmt? Einfach ignorieren. Das Unternehmen muss auch auf ein entsprechendes Fax reagieren, das etwa die zugehörigen URLs auflistet.

Hilfe holen: Möglicherweise kommen Sie an einen Punkt, an dem Sie nicht weiterwissen – Zeit, sich Hilfe von außen zu holen. Die Verbraucherzentralen sind eine mögliche Anlaufstelle. Ab Mai 2018, wenn die Datenschutzgrundverordnung in Kraft tritt, können auch Datenschutzverbände klagen.

Anfangen: An diesem Tag, in dieser Minute. Mit aufsteigendem Schwierigkeitsgrad: Meiden Sie Google. Verwenden Sie Startpage oder DuckDuckGo, Cliqz oder Qwant. Installieren Sie einen alternativen Messenger wie Threema, Signal oder Wire. Überzeugen Sie einen WhatsApp-Kontakt, das Gleiche zu tun. Wenn Sie das nächste Mal jemand mit dem Handy fotografiert, fragen Sie, wohin dieses Foto geladen wird. Fordern Sie von einem Konzern Ihrer Wahl Auskunft über die über Sie gespeicherten personenbezogenen Daten. Seien Sie das Sandkorn im Getriebe der großen Konzerne. Jetzt.

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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3 Kommentare

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  • Dezentrale Dienste zu nutzen, die auf freier Software aufbauen und auf dem eigenen Rechner laufen können — oder auf dem von Nachbarn — ist ebenfalls eine wichtige Grundlage.

     

    Das System, das dabei am weitesten geht, ist das Freenet Projekt (aktiv seit 1999): https://freenetproject.org

     

    Binnen 10 Minuten läuft auf dem eigenen Rechner ein Netz, über das Sie wirklich vertraulich mit Freunden kommunizieren und unter Pseudonym schreiben können: http://www.draketo.de/proj/freenet-funding/suma-slides.pdf (Vortragsfolien von 2015, als Freenet den SUMA-Award für Freiheit im Internet erhalten hat)

  • Und als sehr gute Alternative zu GoogleMaps empfehle ich OpenStreetMap: http://www.openstreetmap.org/

    • @Andreas V.:

      Ich habe mich letztens mit einem Hobbyläufer unterhalten, der eine OpenStreetMap-App nutzte. Er wusste nichts über die freie Lizensierung der Daten und die Gemeinschaft dahinter, aber die App hat ihn überzeugt.

       

      Nachdem ich ihm erzählt habe, dass OpenStreetMap so etwas wie Wikipedia für Karten ist, hat er entschieden, sich mal anzuschauen, wie er selbst beitragen kann, wenn er etwas findet, das fehlt (was in unserer näheren Umgebung wohl recht schwer ist, weil seiner Aussage nach jeder noch so kleine Waldweg verzeichnet ist — das ist, was eine Gemeinschaftsarbeit erreichen kann).