Debatte Bundeswehr in Afrika: Tun wir, was wir können?
Plötzlich spricht Deutschland über Außenpolitik und über Afrika. Aber ohne durchdachte Politik gibt es auch kein durchdachtes Eingreifen.
Z entralafrikanische Journalisten haben ein Video verbreitet, das selbst hartgesottene Kriegsbeobachter erschauern lässt. Auf einer Straße irgendwo in Bangui liegen junge Männer im Staub und in ihrem eigenen Blut. Scheinbar ziellos schlendern andere junge Männer umher, doch im Vorbeigehen verpassen sie den Verletzten kräftige Hiebe mit Macheten oder Stöcken. Das Blut wird mehr, die Sterbenden werden schwächer. Die Killer sind unter sich.
Seit dem Völkermord in Ruanda 1994 hat man solche Bilder aus Afrika nicht mehr gesehen. Muslime sind in Bangui 2014 ungefähr so sicher wie Tutsi in Kigali 1994, und damals wie heute spielt sich das Morden unter den Augen internationaler Eingreiftruppen ab. Und erst am Mittwoch gingen Bilder davon um die Welt, wie in Bangui direkt nach einer feierlichen Ansprache der Präsidentin an die Truppe Regierungssoldaten auf offener Straße einen Muslim lynchen, mit Messern auf ihn einstechen, applaudieren und auf der Leiche herumtrampeln.
Die Täter sind Soldaten der Übergangsregierung, zu deren Unterstützung die EU eine Eingreiftruppe nach Bangui schicken will. Deutschland will sich mit einem Lazarettflugzeug beteiligen. Die Opfer in Bangui, davon darf man ausgehen, werden zu diesem Flugzeug keinen Zutritt haben.
Was sagen deutsche Politiker dazu? Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen: „Afrika ist unser direkter Nachbar, und die Auswirkungen, ob in Afrika Mord, Vertreibung, Hunger und Destabilisierung herrscht, werden wir früher oder später in Europa spüren.“ Außenminister Franz-Walter Steinmeier: „Es wird zu Recht von uns erwartet, dass wir uns einmischen.“ Bundespräsident Joachim Gauck: „Tun wir, was wir tun könnten, um unsere Nachbarschaft zu stabilisieren, im Osten wie in Afrika? […] Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller einbringen.“
Natürlich sind solche Äußerungen ein Fortschritt. Schwarz-Gelb tat so, als habe Deutschland keine Außenpolitik – die Große Koalition tut so, als habe es eine. Immerhin. Aber „früher, entschiedener und substanzieller einbringen“ heißt ja eben nicht, verspätet, zaghaft und symbolisch ein paar Soldaten mehr nach Mali schicken.
Deutschland ist immer noch ein Land, in dem die Feststellung, man könne zu Bundeswehreinsätzen grundsätzlich weder Ja noch Nein sagen, als außenpolitische Weichenstellung gilt. Während viele Deutsche davon überzeugt sind, schon durch ihr individuelles Einkaufsverhalten einen Beitrag zur Rettung der Welt leisten zu können, grübelt die drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt immer noch allen Ernstes darüber, ob sie sich an der Lösung von Problemen und Konflikten beteiligen soll oder nicht. Genauso gut könnte man überlegen, ob man atmen soll oder nicht. Deutschland ist wie jedes andere Land der Welt Akteur, und als Wirtschaftsmacht ist es Gestaltungsmacht.
Gerichtsprozess in Stuttgart
Die beiden aktivsten Beiträge, die Deutschland in den letzten Jahren zur Konfliktlösung im Zentrum Afrikas leistete, hatten mit Bundeswehreinsätzen nichts zu tun. Der erste war, die in Deutschland lebende und von dort aus tätige Führung einer der brutalsten afrikanischen Milizen zu verhaften und vor Gericht zu stellen. Noch immer läuft in Stuttgart der Prozess gegen die Führer der ruandischen Gruppe FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), Nachfolgeorganisation der Kräfte, die 1994 in Ruanda den Völkermord verübten und seither den Kongo unsicher machen.
Der zweite Beitrag war die Ernennung des erfahrenen Diplomaten Martin Kobler zum Leiter der weltgrößten UN-Blauhelm-Mission, die in der Demokratischen Republik Kongo steht. Unter Koblers Führung ist diese UN-Truppe aktiver gegen bewaffnete Gruppen vorgegangen als je zuvor.
Das hat viel verändert. Bisher galt Deutschland in Teilen Afrikas dank der FDLR als sicherer Hafen für Kriegsverbrecher; internationales Eingreifen unter UN-Mandat wurde belächelt. Das ändert sich jetzt. Und die UN-Eingreifbrigade im Ostkongo ist ein Vorbild für erfolgreiches Eingreifen, während der FDLR-Prozess wertvolle Erkenntnisse über die Struktur und das Selbstverständnis von Bürgerkriegsmilizen liefert.
Mit dem Blick auf Paris
Eine vernünftige deutsche Politik müsste auf diesen beiden Errungenschaften aufbauen und daraus Konzepte entwickeln. Aber kein deutscher Politiker interessiert sich für den Kriegsverbrecherprozess in Stuttgart oder das Wirken der UN-Truppen. Man redet einfach über „Afrika“ und hält es für ausreichend, sich an Frankreich anzudocken. Es geht ja auch nicht um Afrika, sondern darum, das marode deutsch-französische Verhältnis zu reparieren und die zentrale Achse der EU neu zu beleben.
Es ist bezeichnend, dass die neue deutsche Afrikadiskussion in Berlin begann, während parallel dazu in Paris François Hollande Wirtschaftsreformen ankündigte, die prompt als französische „Agenda 2010“ bezeichnet wurden, samt einer eventuellen Mitwirkung des Erfinders von Hartz IV als Berater. Wirtschaftspolitik hat in Frankreich den Stellenwert von Außenpolitik in Deutschland: Man denkt regelmäßig darüber nach und tut dann so wenig wie möglich. Umgekehrt ist Frankreich von seinem Selbstverständnis her eine außenpolitisch aktive und von sich überzeugte Nation, in der es aber keine öffentliche Diskussion über Außenpolitik gibt. Das wiederum ist in Deutschland bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Fall. Öffentlich diskutiert wird in beiden Ländern der jeweils brachliegende Bereich: in Frankreich die Wirtschaft, in Deutschland das Militär.
Eine ehrliche Diskussion über ein Eingreifen in Afrika und über Deutschlands Rolle in der Welt müsste sich kritisch mit Frankreichs laufenden Interventionen auseinandersetzen, statt eine deutsche Billigkopie davon zu konzipieren. Und sie müsste sich kritisch mit den tatsächlichen internationalen Auswirkungen der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik beschäftigen. „Tun wir, was wir tun könnten?“, fragt der Bundespräsident. Selbst wenn die halbe Bundeswehr demnächst in Afrika stünde, müsste die Antwort lauten: Nein.
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