Debatte Arm und Reich: Mit Sicherheitspickeln übersät
Unter Reichen boomen Bunker, die ihr Überleben nach der Apokalypse sichern sollen – auf Kosten aller anderen. Das können wir uns nicht leisten.
W as ist das exemplarische Objekt unserer Zeit? Der Computer? Das Smartphone? Oder eher der Selfie-Stick? Wie wäre es denn mit dem Bunker?
Der ist nämlich neuerdings wieder groß im Kommen. Nicht nur im übertragenen Sinn. Die Reichen und Vermögenden (ich habe den Unterschied nie verstanden) dieser Welt errichten sich imposante Höhlen privater Existenzsicherung, um auf die kommende Apokalypse vorbereitet zu sein. Falls sich der Klimawandel doch nicht als Hysterie erweist. Falls die hungernden Massen doch einmal den Krieg auf die neoliberalen Paläste entfachen. Falls die Vergiftung der Erde so sehr voranschreitet, dass nur noch artifizielle Hemisphären funktionieren. Der einfache Mensch schaut sich im Multiplex einen apokalyptischen Film an, der Milliardär studiert in seinem Loft die Baupläne für seinen Bunker.
Denn der Bunker der Gegenwart ist keine militärisch-nüchterne Anlage, sondern ein Hochluxusgefängnis. Die Apokalypse ist doch kein hinreichender Grund, auf den gewohnten Komfort zu verzichten. Als „moderne Arche Noah“, die größte private Schutzzone mitten in Europa, preist der Anbieter Vivos seine Ware an, 400 Fuß unter der Erdoberfläche.
Hilfsbereit bietet die Webseite eine Checkliste an, eine Art TÜV für den Weltuntergang, damit jeder Kunde die Zeichen der Zeit deuten kann, denn: „denkt daran, es regnete nicht, als Noah seine Arche baute“. Das Geschäft mit dem Untergang boomt. Die Verkäufe bei einem anderen Marktführer (Rising S Company) sind 2016 um atemberaubende 700 Prozent gestiegen.
Unverzichtbare Menschen
Das Geschäftsmodell dieser Firmen besteht darin, die Apokalypse heraufzubeschwören. Natürlich im Vertrauen darauf, dass sie ausbleibt, denn während der großen Flut – um im Bild zu bleiben – wurden nur wenige Archen verkauft. Vielleicht erklärt sich ja so die maßlose, unfassbare Gier der Kapitaleliten weltweit: Sie haben einen Kostenvoranschlag für ihren Bunker erhalten. Sich von allen Realitäten zu isolieren ist teuer.
Diese Haltung ist keineswegs neu. Früher, zu Zeiten des Kalten Krieges, haben die Eliten voller Zuversicht auf den atomaren Erstschlag unterirdische Ersatzwelten ausbetoniert. In der Nähe von Bonn etwa, ab 1960 gebaut, mit Platz für 3.000 unverzichtbare Menschen: Politiker und Bürokraten.
In Albanien übersäte die staatseigene Paranoia das Land mit Sicherheitspickeln. Objekt 0774 in der Nähe von Tirana etwa ist die kommunistische Entsprechung des Bonner Regierungsbunkers: endlose Korridore mit Dekontaminationsschleusen, Notstromaggregaten und Luftfiltern. Solide genug, um der Atombombe auf Hiroshima zu widerstehen.
Noch früher errichte man Bunker mit tausendjähriger Verfallszeit, und noch viel früher bildete man einfach einen Kreis mit Planwagen und Pferden, wenn man als Europäer in Nordamerika oder Südafrika auf Raubzug war und sich wunderte über die mangelnde Gastfreundschaft der Einheimischen. Die Wagenburg, auf Afrikaans laager, führte zur berüchtigten ‚Laager-Mentalität‘. Denn wer „Bunker“ sagt, denkt auch an „einbunkern“.
Die Popularität der Bunker widerlegt endgültig eine zentrale These der Grünen und anderer Ökologen, die Verseuchung und Zerstörung der Welt betreffe alle gleichermaßen und überwinde somit Unterschiede zwischen den Schichten, weil sich keiner vor „Tschernobyl“ retten könne.
Im Gegenteil: Weil zu viele Menschen die Erde bevölkern (was in gewissen Kreisen in letzter Zeit mantrahaft wiederholt wird) und weil die Automatisierung rasante Fortschritte macht, wird die drohende Katastrophe hinter vorgehaltener Hand wie ein globaler Frühlingsputz betrachtet, aus dem eigenen Bunkerkomplex heraus, wo man weiterhin fein dinieren, ins Theater gehen (also müssen einige Künstler auch gerettet werden, es sei denn, die Aufführungen werden von Hologrammen bestritten), durch einen Garten spazieren oder im Schwimmbecken seine Längen ziehen, Cafés und Klubs besuchen kann.
Jeder Bunker ist eine Beleidigung der gesamten Gesellschaft, denn er vermittelt, dass gewisse Kreaturen der Ansicht sind, sie hätten das Recht zu überleben. Es gibt kaum etwas Unmenschlicheres als die Entscheidung, viele Menschenleben zu opfern für das Wohlergehen einiger weniger.
Genau das aber entspricht dem politischen Zeitgeist, nicht nur in Russland und China, in allen Bananenrepubliken und zentralasiatischen Diktaturen, sondern auch in den USA. Die unverblümte Refeudalisierung der Gesellschaft durch die Oligarchen schreitet voran. Zur Feudalzeit bot die Burg nur wenigen Schutz. Die Leibeigenen unten in der Ebene, draußen vor dem Burggraben, würden den barbarischen Horden, seien es Wikinger oder Hunnen, zum Opfer fallen – das war eingeplant als mittelalterlicher Kollateralschaden.
Deswegen auch die Steigerung des Militärbudgets – nicht nur, weil Oligarchen alias Geschäftemacher früh erkannt haben, dass das Militär eine Einladung zur Kleptokratie ist: Nirgendwo sonst verschwinden so viele Milliarden in so vielen undurchsichtigen Projekten von so dubiosem Nutzen. Das Militär ist zudem nötig, die Bunker zu schützen, denn auf der Checkliste der Firma Vivos stehen nicht nur Vulkanausbrüche, sondern auch soziale Explosionen.
Und deswegen auch die Finanzierung von Marionetten und Rattenfängern. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Trumps Wahlkampfkampagne wurde von einigen der reichsten Männer der Vereinigten Staaten finanziert, darunter parasitäre Hedge-Fonds-Manager wie Robert Mercer, die ernsthaft meinen, die Megareichen sollten über die Zukunft ihres Landes entscheiden.
Wie schrieb schon Theodore Dreiser anno 1900 in seinem Debütroman „Sister Carrie“: „Die Schönen und Mächtigen schaffen eine Atmosphäre, die sich ungut auf die Kleinen und Unbedeutenden auswirkt, eine unmittelbar spürbare Atmosphäre.“ Weil dem so ist, und weil wir uns nicht in Maulwürfe verwandeln wollen, sollten wir endlich konstatieren: Wir können uns die Reichen nicht leisten. Wir müssen sie einsparen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül