Debatte Arabellion: Die große Ungeduld
Weder in Deutschland noch in Mittel- und Osteuropa verlief die Demokratisierung geradlinig. Für Ägypter mag das frustrierend sein, aber es gehört dazu.
S chon mal einen Frühling im Nahen Osten erlebt? Das ist kein sanftes Erblühen mit zarten Knospen und lauen Winden. Meist bringt er Sandstürme, Unwetter und sintflutartige Regenfälle mit sich. In Europa und den USA wird angesichts der dramatischen Ereignisse in Ägypten, der brutalen Gewalt in Syrien und der Rückschläge in den anderen Ländern des Arabischen Frühlings die Frage laut: War’s das jetzt mit der Arabellion?
Nein, sie ist nicht vorbei. Die Aufstände sind eine historische Zäsur. Der Arabische Frühling entspricht schlicht den lokalen Wetterverhältnissen. Realistischerweise kann niemand erwarten, dass die autoritären Systeme nahtlos in Demokratien übergehen. Es fehlt nicht an gutem Willen, aber es fehlt an Demokraten. Hinzu kommen die gut organisierten Islamisten mit ihrer disziplinierten Anhängerschaft, die wichtige politische Player sind, deren demokratische Überzeugung aber in Zweifel steht.
Die Lage ist kompliziert und frustrierend für die Beteiligten, aber auch typisch für Länder im Umbruch. Der Prozess der Demokratisierung ist immer von Instabilität begleitet, von Rückschlägen und Enttäuschungen. Die Rebellion in der arabischen Welt ist durchaus vergleichbar mit den Umbrüchen in Mittel- und Osteuropa. Auch dort erblühte nicht gleich die Demokratie. Stattdessen nahmen zunächst Armut, Kriminalität und Gewalt zu.
Was machen die mit meinen Daten? Die Titelgeschichte "Wir wissen, was du morgen tun wirst" lesen Sie in der taz.am wochenende vom 6./7. Juli 2013. Darin außerdem: Im Dschungel Ecuadors wehrt sich ein Dorf gegen die Begierden der Erdölindustrie. Und der Streit der Woche zur Frage: Darf man öffentlich knutschen? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
In Russland träumt man noch immer und rund 30 Jahre nach Glasnost und Perestroika von einer lupenreinen Demokratie. In Ostdeutschland brannten nach dem Mauerfall Flüchtlingsunterkünfte und erstarkte erst einmal der Rechtsradikalismus.
Jetzt bitte nicht arrogant werden
Sollte man sich also die Mauer, den Kalten Krieg und die Diktatur zurückwünschen, weil die Verhältnisse stabiler und irgendwie sicherer und geordneter waren? Oder wollten die Westdeutschen die bleiernen Jahre vor 1968 zurück, nur weil aus dem Aufstand der Jugend auch die RAF hervorgegangen ist?
war langjährige Nahostkorrespondentin der Financial Times Deutschland in Jerusalem. Zuvor arbeitete sie bei der taz als Redakteurin. Heute schreibt sie als freiberufliche Journalistin zu Nahost- und Sicherheitsthemen.
Der Aufstand in den arabischen Ländern ist nicht besser und nicht schlechter als die Umwälzungen in anderen Ländern der Welt. Es werden Fehler gemacht, und das Bündnis der Aufständischen mit dem ägyptischen Militär ist ganz sicher einer. Und es ist unklar, ob tatsächlich Demokratien entstehen, wie sie uns, dem Westen gefallen. Wahrscheinlich wird der politische Islam eine größere Rolle spielen. Und möglicherweise wird sich die Situation für Frauen und Minderheiten erst mal verschlechtern, bevor es aufwärtsgeht. Falls es aufwärtsgeht.
Aus den Rückschlägen, wie wir sie in Ägypten erleben, gleich zu schließen, dass die arabischen Länder nicht zur Demokratie taugen, ist anmaßend und ignorant. Die ersten deutschen Versuche mit der Demokratie endeten in einer Diktatur mit verheerenden Folgen für ganz Europa. In Deutschland hat man daraus Konsequenzen gezogen: Wer die Demokratie nutzen will, um die Demokratie abzuschaffen, wird zu Wahlen nicht zugelassen. Vielleicht wäre das auch ein gangbarer Weg für die arabischen Revolutionsländer, mit Extremisten umzugehen.
Der Demokratisierungsprozess dort wird ganz sicher zehn Jahre dauern, vielleicht länger. Bis die demokratischen Systeme in den Revolutionsländern verankert sind, könnten auch Jahrzehnte ins Land gehen. Das ist eine Zeitspanne, für die man in unserer schnelllebigen Zeit keine Geduld mehr hat. Die Langsamkeit von politischen Prozessen entspricht nicht der Geschwindigkeit von Facebook-Likes, Shitstorms und Twitter-Gewittern.
Doch wäre der Arabische Frühling bereits ein Winter, sähe es auf dem Tahrirplatz aus wie auf dem Platz des himmlischen Friedens in China oder in den Gefängnissen nach der Grünen Bewegung 2009 im Iran. Der Wille zur Freiheit und der Wunsch nach Mitbestimmung sind keine westliche Eigenart. In Ägypten, Syrien, Tunesien, Libyen und dem Jemen wird es nie mehr so sein wie vorher – auch wenn die Revolutionen noch unvollendet sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“