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Debatte Antisemitismus in der AKPErdoğan und die Zinslobby

Kommentar von Marc David Baer

Der türkische Präsident lastet die Misere seines Landes den Juden als „Strippenziehern“ an. Damit entlarvt er seine antisemitischen Denkmuster.

Erdogan wittert eine „internationale“ Verschwörung – was nichts anderes ist als blanker Antisemitismus Foto: reuters

W enn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan europäische Spitzenpolitiker als Nazis verunglimpft, unterstellt er letzten Endes eine jüdische Verschwörung. Nachdem in Deutschland und den Niederlanden politische Veranstaltungen mit türkischen Kabinettsmitgliedern abgesagt wurden, warf Erdoğan der Bundeskanzlerin Angela Merkel „Nazimethoden“ vor und nannte die Niederländer „Nazi-Nachfahren“.

Was in der Aufregung übersehen wurde, ist, wie sich der türkische Präsident Erdoğan nationalsozialistischer Motive bedient, wenn er „den internationalen Juden“ für seine Probleme und die seines Landes verantwortlich macht.

Vielen im Westen ist entgangen, dass Erdoğan die Schuld am Putschversuch vom 15. Juli 2016 wiederholt einem angeblichen „Strippenzieher“ zugeschrieben hat. Laut Erdoğan „wird heute ein ganz hinterhältiges, ganz abscheuliches und mieses Spiel mit unserer Region und unserem Land getrieben. Was ich den Strippenzieher nenne, zeigt sich uns jeden Tag mit neuen Teufeleien und versucht, die Saat der Feindschaft und Zwietracht in unserer Region zu säen. Er versucht, die Zukunft unserer Region in Blut und Tränen, in Bürgerkrieg und Sezessionskriegen zu ertränken. Uns ist bewusst, dass es hier um einen Machtkampf geht.“

Erdoğan wirft dem „Strippenzieher“ vor, in Form einer angeblichen „Zinslobby“ die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei zu hemmen; in der internationalen Presse, beispielsweise in der „jüdischen“ New York Times Lügen über die Türkei zu streuen, um ihn aus dem Amt zu jagen; Intellektuelle zur Türkeikritik aufzustacheln, so etwa die sogenannte „internationale Schriftstellerlobby“; Unruhe im Innern zu stiften, darunter die Gezi-Proteste von 2010; für Terroranschläge verantwortlich zu zeichnen, ob sie nun von linken, islamistischen oder kurdischen Guerillas verübt werden; und schließlich wirft er ihm auch den Juli-Putsch vor.

Erdogan sagt klar, wen er meint

Erdoğan hat explizit erklärt, der türkische Islamprediger Fethullah Gülen, angeblich Kopf einer kriminellen und bewaffneten Terrororganisation, der „Fethullaistischen Terrororganisation“ (Fetö), sei nicht der „Strippenzieher“.

Laut der mit zahlreichen Passagen aus Erdoğan-Reden gespickten zweistündigen Dokumentation „Strippenzieher“, die vom Erdoğan-nahen türkischen Fernsehsender A Haber ausgestrahlt wurde, ist der „Strippenzieher“, der im Geheimen die Welt kontrolliert und mittels Marionetten seine schändlichen Pläne ins Werk setzt, jener internationale Klüngel, der den Islam, Muslime, die Türkei auslöschen möchte – der „internationale Jude“.

Erdoğan behauptet, Gülen-Anhängern sei der Putschversuch befohlen worden

Zu Beginn des Films behauptet Erdoğan in einer Parlamentsrede, dass die Angriffe auf seine Regierung in Wahrheit Teil von Aktivitäten seien, die sich gegen die Türkei als solche richteten.

Und hinter all dem stecke der „Strippenzieher“: „Die Menschen fragen mich: Wer ist dieser ‚Strippenzieher‘? Recherchieren Sie zu diesem Thema. Sie wissen, wer es ist.“

Wurzel vor Tausenden Jahren

Der Sprecher der Dokumentation erklärt: „ ‚Der Strippenzieher‘ – der die Welt kontrolliert und dessen Wurzeln Tausende Jahre in die Vergangenheit reichen, der Vernichtung bringt, Kriege, Revolutionen, Staatsstreiche anzettelt und innerhalb von Staaten Parallelstaaten aufbaut – ist eine Krankheit, mit der nicht nur die Türkei, sondern die ganze Welt zu kämpfen hat.“ Was heute in der Welt geschieht, lasse sich aus seinen historischen Ursprüngen vor 3.500 Jahren erklären, denn in dieser Zeit sei das Judentum entstanden.

Mit wackliger Kamera in schummrigem Licht gefilmte „Experten“ behaupten, von bedrohlicher Musik untermalt, dass Juden beigebracht werde, sich selbst als „die Herren“ und alle anderen Menschen als ihre Sklaven zu betrachten.

Juden würden glauben, sie seien zum Herrschen geboren und alle anderen Völker seien ihre Untertanen. Deshalb hätten sie Gläubige seit Tausenden von Jahren unterdrückt und Streit in der Welt gesät, um sie für ihre eigenen Zwecke zu beherrschen. Das „internationale Judentum“, so die Argumentation des Sprechers und der „Experten“, sei der Feind der Türkei, des Islams und der Muslime.

Sogenannte Kryptojuden

Welche Beweise liefert der Film für diesen diabolischen Plan der Juden? In der Hauptsache stützt er sich auf angebliche Zitate des mittelalterlichen jüdischen Gelehrten Maimonides, Charles Darwins (der als Jude hingestellt wird) und Leo Strauss’.

Ungeachtet der dünnen „Beweislage“, vermittelt die Dokumentation, die mit Erdoğan im Originalton beginnt und endet, den Eindruck, dass nur der türkische Präsident mit Gott an seiner Seite den verschlagenen ­Juden und ihren bösartigen Plänen die Stirn bietet, dass nur die Türken nicht in ihre schändlichen Fallen ­tappen.

Erdoğan wirft dem „Strippenzieher“, das heißt den Juden, vor, den Gülen-Anhängern den Putschversuch befohlen zu haben. In seinen Augen ist Gülen lediglich der Handlanger eines „jüdischen“ Staatsstreichs. Türkische Beamte und die Erdoğan-nahe Presse haben behauptet, Gülen sei entweder Jude oder Kryptojude („Dönme“), Sohn einer jüdischen Mutter und eines armenischen Vaters.

Ein Minister hat erklärt, Gülen werde nach seinem Tod auf einem jüdischen Friedhof beerdigt.

Wo nichts passt werden Bilder konstruiert

In den Worten eines Kolumnisten in Erdoğans Sprachrohr, der Tageszeitung Sabah, die sich in der Hand des Bruders von Erdoğans Schwiegersohn befindet, hat Gülen „einen Riecher für Geld und Macht, weil er ein Jude ist … Fethullah Gülen liebt das Geld; es gibt nichts, was er nicht für Geld tun würde.“

Dieser Logik zufolge ist Gülen also ein Jude, der die gegen die Türkei gerichteten Pläne „der Juden“ ausführt. Karikaturen in der islamistischen Tageszeitung Yeni Akit, die zum Pressepool des Präsidenten gehört, zeigen Gülen mit einer Kippa mit Davidstern auf dem Kopf.

Andere antisemitische Bilder in dieser Zeitung stellen Gülen als Spinne mit Beißklauen dar, zugleich mit Schnauzer und derselben jüdischen Kopfbedeckung.

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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Etwas Verständnis sollte man für solche Äußerungen schon aufbringen. Um die fliegenden Einhörner für alles verantwortlich zu machen, ist der Wahn noch nicht weit genug fortgeschritten.

  • Ich wäre vorsichtig damit, die Botschaften dieser rechtsextremen Dokumentation so einfach als wahr hinzunehmen.

     

    Ist die Dokumentation eine geschickte perfide Collage, in der Zitate von Erdogan geschickt eingearbeitet wurden?

    In welchen Sätzen nimmt Erdogan direkten Bezug auf "Juden"?

    Wo finden sich schon frühere ähnliche Äußerungen?

  • Wenn man mal alles zusammenzählt, was bisher "bereinigt" wurde, dann wundert man sich wirklich wie in der Summe der angebliche Putsch scheitern konnte.

    Die Frage ist wie es weitergeht. Ist das "Schwachkopf" Logo nun als weltweites Führungspersonen Logo zu sehen? Erdogan, Trump, May....

  • Und diese Äußerungen werden zweifellos Erdogans AnhängerInnen in Deutschland erreichen und meinungsbildend wirken. Wohler wird einem bei dem Gedanken nicht...

  • Erdogan ist ein Diktator, der so langsam seinem Ende entgegen sieht. Erstens wird das Israel garnicht gefallen und zweitens wächst der eigene Widerstand im eigenen Land. Vor allem auch wegen seiner fehlgeleiteten Außenpolitik und der Widerstand der Kurden. Wenn er so weiter macht dann glaube ich daß es nochmal einen Staatsstreich gibt, aber diesmal wird es ein richtiger Staatsstreich und nicht ein selbst organisierter.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Irgendwie kommt einem das bekannt vor. Brutale Staatsstreichmethoden, um die alleinige Macht zu ergreifen. Massenverhaftungen von Oppositionellen, Journalisten und Intellektuellen und anderen unbequemen Leuten, Säuberungen in der Verwaltung, in den Schulen, in den Universitäten, in der Polizei und im Militär. Ein scheindemokratisches Referendum für ein Ermächtigungsgesetz und die Vereinigung von Ministerpräsident und Staatspräsident in einem Amt. Gebietsansprüche gegenüber umliegenden Ländern unter dem Vorwand die turkmenischen Minderheiten zu schützen. Und jetzt die globale Verschwörung des internationalen Judentums, dass die Türken der Zinsknechtschaft unterwerfen will, das türkische Volk versklaven will und Putsche kommandiert. Es besteht nun nicht mehr der leiseste Zweifel, dass es sich hier um ein faschistisches Regime handelt, dem die demokratischen Staaten entsprechend entgegentreten müssen, wenn sie nicht wollen, dass die Situation im Nahen-und Mittleren Osten völlig aus dem Ruder gerät.

    • @82236 (Profil gelöscht):

      Ich gebe Ihnen Recht. Und auch wie damals, wird international nur geredet werden, ohne ernsthaft etwas zu unternehmen. Die eigenen Interessen sind, wie damals, solange wichtiger, als zu intervenieren, bis man die Augen nicht mehr vor dem Bösen verschließen kann.