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Debatte AfrikaDas Jahr der Rebellen

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Aufstände und Kriege haben Afrika im letzten Jahr geprägt. Doch auch Wirtschaftswachstum und Exportrekorde gehören zum Alltag.

Rebellen prägen den Alltag in vielen Gebieten in Afrika, wie hier im Kongo. Bild: reuters

M ilizionäre und Rebellen auf Lastwagen und offenen Pick-ups, die schwerbewaffnet durch den Busch rasen und eine Ortschaft nach der anderen der Kontrolle des Staates entreißen: dieses Phänomen hat Afrika im Jahr 2012 geprägt, von Tuareg-Kämpfern und Islamisten in Mali zu Jahresbeginn bis zu den Séléka-Rebellen in der Zentralafrikanischen Republik zu Jahresende, mit der M23-Rebellion in der Demokratischen Republik Kongo zwischendrin.

Afrikas neue Buschkrieger tauchen blitzartig auf und überrumpeln ihre Gegner, sie sind bestens ausgerüstet und organisiert, sie schaffen schneller Fakten als jede Regierung, sie sind global vernetzt.

Sie erringen spektakuläre Überraschungssiege wie die Ausrufung des Tuareg-Staates „Azawad“ in Mali im März oder die Eroberung der Millionenstadt Goma im Kongo im November, die sich dann ebenso plötzlich wieder in Luft auflösen können. Sie hissen, wenn auch nur kurz, die Fahne der Revolution und rufen in Erinnerung, auf welch tönernen Füßen die postkoloniale afrikanische Staatenordnung steht.

privat
DOMINIC JOHNSON

ist Afrikaredakteur der taz und einer der Leiter des Auslandsressorts. 2011 erschien im Wagenbach-Verlag sein Buch „Afrika vor dem großen Sprung“. Er schreibt außerdem einen taz-Blog zu Zentralafrikas Wirren.

Alte und neue Afrikabilder

Der Weckruf aus Mali, Kongo und der Zentralafrikanischen Republik kommt zur rechten Zeit. Allzu schnell ist in der internationalen Wahrnehmung das althergebrachte Bild von Afrika als Kontinent der Krisen und Katastrophen durch ein neues Bild von Afrika als Kontinent der Hoffnungen und Chancen abgelöst worden. Früher machten Flüchtlinge und Hungernde Schlagzeilen, heute sind es Wachstumsraten und Exportrekorde.

Immer mehr Länder erzielen ein zweistelliges Wirtschaftswachstum, immer größere Rohstoffvorkommen werden entdeckt, immer mehr kapitalkräftige afrikanische Unternehmen entstehen, die gestalterischen Kräfte des Kontinents blühen auf wie nie zuvor. Afrika wird so nachdrücklich als Kontinent der Zukunft gepriesen, dass die nach wie vor triste Gegenwart der allermeisten Afrikanerinnen und Afrikaner darüber leicht in Vergessenheit gerät.

In Wahrheit besteht kein Widerspruch. In manchen Regionen Afrikas boomt die Wirtschaft, in anderen boomen die Konflikte. Die Akteure sind zuweilen identisch, und zwischen beiden Phänomenen besteht ein tieferer Zusammenhang, als Schwarzmalern und Zweckoptimisten recht sein kann.

Damit ist nicht gemeint, dass einfach die Verlierer der Modernisierung zu den Waffen greifen. Afrikas Kriege sind keine Klassenkämpfe, obwohl es auch diese gibt – 2012 war auch das Jahr der Massenstreiks in Südafrikas Bergbau und der Volksaufstände in Senegal. Afrikas neue Kriege entstehen dort, wo die Früchte der Modernisierung nicht ankommen, aber ihre Träger mächtig sind.

Rechtsfreie Räume

Die Wüstenregionen Nordmalis, die Hochländer Ostkongos, die Savannen der Zentralafrikanischen Republik sind Hinterhöfe der jeweils Mächtigen. Sie sind rechtsfreie Räume, in denen manche der Profite entstehen, die dann in den fernen Metropolen in Form von Luxuskonsum und gekaufter Macht sichtbar werden. Hier gelten lästige Gesetze nicht, hier übernimmt der Staat keine Verantwortung.

Wer die Komplexitäten des Fernhandels und der grenzüberschreitenden Sozialgefüge in der Sahara-Wüste oder im Afrika der Großen Seen analysiert, begreift irgendwann, dass das fragile Gleichgewicht zwischen den lokalen Akteuren in Ökonomie und Politik nicht nur über Frieden und Krieg vor Ort entscheidet, sondern auch über die Macht in Hauptstädten wie Bamako und Kinshasa, wenn nicht noch einigen anderen nebenan.

Wenn dieses Gleichgewicht gestört wird – von einem unbedachten Präsidenten, dem seine eigene Wiederwahl wichtiger ist als die Stabilität des eigenen Landes; von ahnungslosen weißen Wohlmeinenden, die aus der Ferne wildgewordene Islamisten oder vergewaltigende Kindersoldaten kleinkriegen wollen; von einem lokalen Spieler, dem seine Schulden über den Kopf gewachsen sind – dann kann schnell alles kippen, und plötzlich verwandeln sich Konkurrenten in Konfliktparteien.

Es gibt noch mehr solche rechtsfreien Räume in Afrika, von Nigerias Ölgebieten im Niger-Flussdelta über die fruchtbaren Savannen Südsudans bis zu den Küsten Somalias. Ihre Reichtümer strahlen ebenfalls in die Metropolen aus, von Lagos bis Nairobi. Sie sind ebenfalls Krisengebiete, wenngleich derzeit weniger aufsehenerregend.

Waffen statt Wahlurnen

All diese Gebiete sind ein integraler Teil der afrikanischen Modernisierung. Wenn Afrikas aufstrebende Staaten nicht dauerhaft am Tropf fremder Geber und Investoren kleben wollen, sondern aus der eigenen Kraft schöpfen, brauchen sie solche Hinterhöfe, egal wie schmutzig sie sind. Denn hier können die Teilhaber am politischen und ökonomischen Wettbewerb der Hauptstädte ihre Machtbasen stärken und ihre Pfründe sichern.

Die meisten von ihnen sind zu intelligent, um sich selbst als Warlords zu inszenieren. Sie treten lieber als Friedensbringer auf, die als Einzige wissen, wie man für Recht und Ordnung sorgt, und sie konstruieren dafür Abhängigkeitsverhältnisse, die nur sie selbst durchschauen und kontrollieren.

Je schneller Afrika boomt, desto schärfer wird der Wettbewerb zwischen den potenziellen Gewinnern und desto mehr Mittel haben sie zur Verfügung, um diesen Wettbewerb auch mit der Waffe auszutragen. Die Bewohner der rechtsfreien Räume sind dabei dankbare Mitspieler, denn nur so erhalten sie plötzlich auch einmal die Chance auf Mitgestaltung.

Es ist ja keineswegs selbstverständlich, dass die Waffe ein attraktiveres Werkzeug des Wandels ist als die Wahlurne. Internationale Rankings haben erbracht, dass in vielen solchen Ländern Afrikas, in denen die „menschliche Entwicklung“ spürbare Fortschritte macht, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit in den letzten Jahren zurückgegangen sind.

Und während die meisten afrikanischen Länder formelle Demokratien geworden sind, ist der Wandel an der Wahlurne bis heute die große Ausnahme und der Missbrauch des demokratischen Prozesses zur Festigung autokratischer Macht die Regel.

Autoritarismus und Mafiakapitalismus bringen Afrika zu einer neuen Blüte. Jetzt ist die Kehrseite davon zu sehen. Afrikas neue Kriege sind die Stunde der Wahrheit.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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6 Kommentare

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  • AJ
    Andreas J

    an Gunnar Sturm,

     

    is ja wohl eine Frechheit deine dümmliche Hetzseite Ivoireleaks, hier als freien Journalismus zu verkaufen.

     

    Gleich auf der ersten Seite ne falsche Wahlanalyse von Ahoua Don Mello aus der Regierung von Ake Ngbo, die im Auftrag von Gbagbo selbst gegründet wurde. Mit dem Verbrecher Charles Blé Goudé, als Minister für Jugend, berufliche Bildung und Beschäftigung.

    Mal wieder ne geile Quelle. Dein Problem ist, dass du alle für doof hälst.

    Kein Wunder das du hier mit der "jungen Welt" ankommst, dem ehemaligen Zentalorgan der FDJ, für die Fidel Castro ein Heiliger ist.

     

    Der Artikel von Dominic Johnson fasst die Situation sehr gut zusammen.

  • GS
    Gunnar Sturm

    @Naseweiser

     

    ganz mein Eindruck, leider ist unsere "freie" Presse insgesamt recht schwach. D.J. ist da eine Kapzität: siehe ivoireleaks.de

     

    Ich denke es liegt daran das die meisten Journalisten alle Pressemitteilungen von UNO/IRIN/AFP usw. unkritisch übernehmen. Eine erwähnenswerte Ausnahme ist meist die "junge Welt" und wenn man die Artikel der Korrespondenten liest auch die überregionalen Zeitungen wie FAZ/Zeit/Welt etc.

     

    Schreiben Sie das Impressum rühig mal an ... ich sammle noch Kontakte und Austausch

  • M
    magy

    Es mögen immer mehr kapitalkräftige Unternehmen entstehen ? Sind das die, die mit Korruption und dicke Freundschaft mit Kabila oder seiner Minister an Minen kamen und somit an den unbeschreiblichen Reichtum ?

     

    Warum greift da eigentlich die UN nicht ein, das man solchen Leuten die Gelder einfriert ?????????

     

    Es werden immer mehr Rohstoffe in Afrika entdeckt, von wem den wohl, China, Europa, USA ? Erübrigt sich dann wohl die Frage wer aus den Rohstoffen profitiert, sicher nicht das Volk im Kongo, sonst gäbe es die hohe Arbeitslosigkeit, den Hunger und all die Gewalt und vor allem die grausamen Kriege nicht.

     

    Je schneller Afrika boomt, desto schärfer wird der Wettbewerb ? Was boomt denn, Afrika soll doch wohl eher nicht boomen, damit man sehr günstig an die Erdschätze kommt. Wenn etwas boomt, dann ist des doch die Profitgier all der Länder die im Congo unterwegs sind, allen voran China.

    Warum boomt denn China, es kommt billig an all die Rohstoffe. Boomt dabei der Kongo ? NEIN, die gehen unter. Was boomt ist die Gewalt im Kongo, all die Milizen, Rebellengruppen die auch noch behaupten Gott würde sie schicken. Und warum kann die Gewalt boomen, weil die Ausländer sie mit Waffen jeder Art beliefern, durch Schwarzhandel trotz aller Zertifikate kommen die Erdschätze in die ganze Welt.

  • DP
    Daniel Preissler

    @naseweiser

    In diesem Fall haben Sie wohl weniger den Text gelesen als irgendwelche subjektiven Assoziationen hervorgekramt. Der Kommentar ist mit geradezu wissenschaftlicher Distanz geschrieben - mehr als der Autor (und praktisch alle anderen) das sonst tut.

    Vielleicht finden Sie ja noch mal ne ruhige Minute zum nochmal durchlesen oder gar jemanden, der das für Sie tut.

    Grüße, DP

     

    PS: Wer den Begriff "Warlord" verwendet (so wie Johnson und Sie das tun), findet selten Gefallen an deren Tun.

  • B
    Blah

    @naseweiser: Wie wär's, wenn du deine These mit Argumenten untermauerst? Ich würde gern verstehen, was du meinst.

     

    Freundliche Grüße.

    Blah

  • N
    naseweiser

    Seltsam . Irgendwie hatte ich bei der Lektüre zunehmend das komische Gefühl , dass ein paar Warlords hinter D. Johnson standen , als er den Artikel für die taz schrieb . Also ja , ... alles nur rein subjektiv , ja .