Deadnaming von Transpersonen: Keine Beleidigung?
Boris Palmer hat die Transfrau Maike Pfuderer mit ihrem früheren Namen angesprochen. Kein Vergehen, sagt die Justiz. Ein Fall für eine Debatte.
Der Begriff „Deadnaming“ bezeichnet es, wenn Menschen mit Transgeschichte bei ihrem früheren Namen und Geschlecht genannt werden. Genau das hatte Palmer in einer Facebook-Debatte gegenüber Pfuderer getan. Die sah darin eine gezielte Provokation. Deswegen sei das Verhalten Palmers aber noch nicht justitiabel, befand nun die Staatsanwaltschaft.
Boris Palmers Äußerungen mögen „taktlos und unhöflich sein“, die Grenze einer strafbaren Handlung erreichten sie jedoch nicht, so die Staatsanwaltschaft. Es sei „höchst fraglich“, ob die bloße Erwähnung des früheren Vornamens bereits eine Missachtung oder Geringschätzung der Person zum Ausdruck bringe, schreibt die Staatsanwaltschaft auf Anfrage der taz.
Dennoch könnte Pfuderers Fall eine juristische und auch politische Debatte anstoßen. Sollte Deadnaming als Beleidigung eingestuft werden?
Unterschiedliche Bewertungen
Martin Heger, Professor für Strafrecht an der Humboldt Universität, hat da seine Zweifel. „Eine Beleidigung muss ehrverletzend sein“, sagt er. Wenn Herr Palmer Frau Pfuderer mit ihrem ehemaligen Vornamen anspreche, lege er damit zwar Frau Pfuderers transsexuelle Geschichte offen. „Jemanden als transsexuell zu bezeichnen wäre jedoch nur beleidigend, wenn Transsexualität als anrüchig verstanden wird“, sagt Heger.
„Wird jemand als ‚schwul‘ bezeichnet, werten Gerichte das heute nicht mehr als Beleidigung“, so Heger – und dies unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Aussage. Jemanden als schwul zu bezeichnen, könne keine Herabsetzung seien, da Homosexualität nichts Minderwertiges an sich habe. Es sei in manchen Fällen zwar eine inkorrekte Bezeichnung, aber keine Beleidigung. Anders verhalte es sich mit dem Schimpfwort „Schwuchtel“. Dieses habe einen klar herabsetzenden Charakter.
Diese Rechtssprechung gelte wohl auch für den Fall Pfuderer. Dass Boris Palmer Maike Pfuderer mit ihrem ehemaligen Vornamen und Geschlecht angesprochen hat, sei zwar nicht korrekt. „Jemanden mit dem falschen Namen anzusprechen, ist jedoch keine Straftat“, sagt Heger. Dafür müsste die falsche Ansprache mit eindeutigem Hohn oder Spott verbunden sein.
Der Hamburger Rechtsanwalt Oliver Tolmein hält es hingegen für möglich, dass Deadnaming auch eine Beleidigung sein kann. Er vertritt mit seiner Kanzlei transidente Menschen. Für die rechtliche Bewertung von Deadnaming komme es auf den Kontext an, sagt er. „Wenn ein Mensch bewusst mit dem ehemals geführten Namen angesprochen wird, kann das eine zielgerichtete Missachtung und Herabwürdigung darstellen.“
Schwierige Beweisführung
Diese Intention nachzuweisen, könne allerdings schwierig sein. Deadnaming sei dann eine Form der Beleidigung, wenn daraus deutlich wird, dass „der Sprecher oder die Sprecherin den betroffenen Menschen prinzipiell nicht als Gegenüber mit gleichen Rechten respektiert“.
„Strafrechtlich ist der Fall für mich abgeschlossen“, sagt Pfuderer. Auf politischer Ebene will sie jedoch aktiv werden. Im Transsexuellengesetz sei ein Offenbarungsverbot zwar verankert. Dieses Verbot, nach dem ehemalige Namen nicht ohne gewichtige Gründe öffentlich gemacht werden dürfen, richtet sich derzeit aber nur an Behörden und ist nicht strafbewehrt. „Damit ist es ein zahnloser Tiger“, sagt Pfuderer der taz. „Es hilft nicht, wenn wir Rechte, aber keinen Rechtsschutz haben.“
Mit der Arbeitsgemeinschaft „QueerGrün“ will Pfuderer auf Bundesebene nun erreichen, dass Deadnaming künftig unter Strafe gestellt wird. Gemeinsam wollen sie dafür kämpfen, dass die Forderung ins Wahlprogramm der Grünen zur Bundestagswahl 2021 einfließt.
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