„Dìdi“ von Sean Wang im Kino: Eigentlich ziemlich cute
Temporeich und witzig: Sean Wangs Film „Dìdi“ macht die Nöte und Wünsche eines 13-jährigen chinesischstämmigen Kaliforniers nachfühlbar.
„Du bist echt ziemlich cute“, sagt die vierzehnjährige Maddie zum dreizehnjährigen Chris, als sie bei ihrem ersten (und vorläufig einzigen) Date nebeneinander auf einem Klettergerüst hocken, und setzt nach einer winzigen Pause hinzu: „ … für einen Asiaten“.
Chris hat Maddie eine Weile heimlich auf Facebook gestalkt und sich dann auf einer Party getraut, sie unter einem Vorwand anzusprechen. Ihre selbstbewussten Handgreiflichkeiten auf dem Spielplatz sind aber doch zu viel für ihn. Nach dem Treffen zieht er sich beschämt zurück, und als Maddie ihn später über Facebook kontaktiert, blockiert er sie.
Chris, der von seinen Kumpels Wang Wang, von seiner Mutter aber Dìdi genannt wird, was auf Chinesisch so viel wie „kleiner Bruder“ oder „Söhnchen“ bedeutet, ist ein Chaos aus Hormonen, widerstreitenden Gefühlen, kindlicher Schüchternheit und jugendlicher Unbeherrschtheit. Von der Umgebung ständig als andersartig, als „asiatisch“, markiert zu werden macht das Leben nicht leichter.
Zusammen mit seinen Freunden, alles Jungs mit asiatischen Wurzeln, kann Chris ein echter Draufgänger sein. Doch im Gegensatz zu seinem besten Freund Fahad, der in Gesellschaft von Mädchen zu großer Form aufläuft, ist Chris alles andere als ein Entertainer; und wenn er doch einmal etwas sagt, kommt es irgendwie verkehrt heraus.
Kein Coming-of-Age-Film
Ein Coming-of-Age-Film ist „Dìdi“ genau genommen nicht, denn auch am Ende ist der Protagonist nicht einmal annähernd erwachsen. Als sichtbares Symbol für eine gewisse Entwicklung wird er aber die Zahnspange los, die er zu Beginn verpasst bekam, und kann für das Foto im Jahrbuch seiner neuen Schule selbstbewusst Zähne zeigen. Die Filmhandlung umfasst die paar Wochen Sommerferien, bevor der Teenager sein erstes Jahr an der Highschool beginnt, und erzählt davon, wie schwer – und aufregend – es ist, ein (männlicher) Teenager zu sein.
Regisseur Sean Wang hat großzügig eigene Pubertätserfahrungen verwertet: Genau wie sein jugendlicher Held wuchs auch er selbst im kalifornischen Fremont auf. Die streitbare Großmutter des Film-Pubertanden wird von seiner eigenen Großmutter Chang Li Hua gespielt, und die Bilder, die Chris’ Film-Mutter, verkörpert von Joan Chen, malt, stammen von Wangs eigener Mutter Chungsing Wang.
Außerdem wurden viele Szenen in seinem alten Kinderzimmer gedreht. Auch die wiederholten Erfahrungen von latentem Rassismus gegen asiatischstämmige Personen dürften seine eigenen sein.
Am Ende des Abspanns steht die Widmung „Für meine Mutter“. Darin wird die doppelte Perspektive des Films deutlich, der eben nur zum Teil sehr einfühlsam aus Sicht des Heranwachsenden erzählt.
Zur anderen Hälfte ist ein aufmerksamer externer Beobachter anwesend, ein erwachsener Chris sozusagen; und der interessiert sich vor allem für die kleinen Dramen innerhalb der Familie, die Teenage-Chris in seiner kolossalen Ich-Bezogenheit noch nicht begreifen kann – außer vielleicht, dass sich in der Beziehung zu seiner älteren Schwester Vivian etwas verschiebt, in diesem Sommer, da Vivian sich anschickt, das Zuhause zu verlassen, um aufs College zu gehen.
Fremdartige Teenage-Kultur
Die Geschwisterstreitereien weichen allmählich einer friedlicheren Koexistenz, während gleichzeitig der schwelende Dauerkonflikt zwischen Mutter und Großmutter an Schärfe gewinnt. Der Vater ist, mehr erfahren wir nicht, in Taiwan und verdient Geld für die Familie, während seine Mutter der Schwiegertochter in Kalifornien das Leben mit ungebetenen Ratschlägen schwer macht.
Beide Frauen pflegen ihre Liebe zu den Kindern des Hauses darin zu beweisen, dass sie sie unablässig zum Essen nötigen. Umgekehrt interessiert Chris sich nicht die Bohne für die Kunst seiner Mutter. Sowohl die ausbleibende Anerkennung als Künstlerin als auch die nörgelnde Schwiegermutter muss sie ganz allein aushalten.
„Dìdi“. Regie: Sean Wang. Mit Izaac Wang, Joan Chen u. a. USA 2024, 94 Min.
So fern die Sorgen der Erwachsenen dem Teenager scheinen, so fremdartig wirkt auf der Leinwand die durchgedrehte Teenage-Kultur selbst. Die kreativen Schreibweisen der rasanten Chatprotokolle, über die die Jugend kommuniziert, das pubertäre Großsprechertum, das ständige Posieren vor Kameras – all das ist witzig und mitreißend eingefangen, und die jugendlichen DarstellerInnen agieren bewundernswert authentisch, angefangen bei Izaac Wang als Chris.
Man möchte diesen kleinen Jungen im bald erwachsenen Körper abwechselnd beschützen und, wenn sein internes Betriebssystem sich wieder einmal aufhängt, ihn kräftig schütteln, um ein Reset zu erzwingen. Dabei ist gleichzeitig klar, dass er ganz allein da durchmuss – und dass auch seine Mutter nicht mehr tun kann, als ihm ein Zuhause zu geben und regelmäßig Teller mit Essen vor ihn hinzustellen.
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