Dauerbaustelle Deutsche Bahn: Keine Streiks, aber weiter Chaos
Die Schlichtung zwischen DB und Eisenbahngewerkschaft war erfolgreich. Aber bei Verspätungen und Zugausfällen ist kein Ende in Sicht.
Das zentrale Ergebnis: eine zweistufige Lohnerhöhung von monatlich 200 Euro ab Dezember und weiteren 210 Euro ab August 2024. Hinzu kommt eine einmalige steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 2.850 Euro im Oktober. Der Bahnvorstand und die Unterhändler:innen der EVG begrüßten die Empfehlung der Schlichter:innen als tragfähigen Kompromiss. Nun müssen die rund 108.000 bei der Deutschen Bahn beschäftigten EVG-Mitglieder bis Ende August über das Ergebnis entscheiden. Mit einer Ablehnung ist jedoch nicht zu rechnen.
Die vorgeschlagene Laufzeit des Tarifvertrages beträgt 25 Monate. Dass es an deren Ende eine weitere Lohnerhöhung von durchschnittlich 100 Euro monatlich für Mitarbeitende in der Instandhaltung, den Werkstätten und Stellwerken sowie im Service im Zug und am Bahnhof geben soll, lässt sich als kleines Geschenk an die EVG werten. Denn hier geht es vor allem um jene Beschäftigte, um die die DGB-Gewerkschaft am härtesten mit der Konkurrenz von der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) ringt. Deren Verhandlungen mit der Deutschen Bahn beginnen im Herbst. Bis Ende Oktober befindet sich die GDL in der Friedenspflicht, erst danach könnte sie zu Warnstreiks aufrufen.
Während damit Streiks für diesen Sommer ausgeräumt sind, gibt es bei dem Chaos im Fahrbetrieb keine Entwarnung. „Wir wissen, dass wir unseren Kundinnen und Kunden im Moment viel zumuten“, sagte Bahnchef Richard Lutz bei der Vorstellung der Halbjahresbilanz am Donnerstag. Nachdem die Deutsche Bahn über Jahrzehnte auf Verschleiß gefahren wurde, ist die Infrastruktur angeschlagen, Signalstörungen oder Baustellen sorgen immer wieder für Verspätungen. Die Pünktlichkeit ist im ersten Halbjahr weiter gesunken und lag bei 68,7 Prozent. „Nach wie vor ist 80 Prozent der Unpünktlichkeit auf die Infrastruktur zurückzuführen“, sagte Lutz.
Fahrgastrekord im Nahverkehr
Die Deutsche Bahn hat ein großes Sanierungsprogramm aufgelegt, das aber zunächst zu weiteren Verspätungen, Streckensperrungen und Zugausfällen führen wird. Allein durch den Austausch von 480.000 Eisenbahnschwellen in diesem Jahr entstehen zusätzliche 400 Baustellen.
Trotz dieser Probleme sind die Fahrgastzahlen gestiegen. Im Regionalverkehr wuchs die Zahl der Reisenden im ersten Halbjahr im Vergleich zu den ersten sechs Monaten des Vorjahres um 11,5 Prozent auf mehr als 808 Millionen Kund:innen. Das ist ein neuer Rekord. Im Fernverkehr nahm die Zahl der Fahrgäste um 15,4 Prozent auf mehr als 68 Millionen zu, liegt aber immer noch unter den 71,8 Millionen der Vorcoronazeit. Der Boom im Nahverkehr dürfte auch auf das neue, bundesweit im ÖPNV gültige 49-Euro-Ticket zurückgehen. Das nur im Abo erhältliche Ticket wurde bislang 11 Millionen Mal verkauft. „Perspektivisch rechnen wir damit, dass es jeder fünfte Mensch in der Bundesrepublik abonnieren wird“, sagte Lutz. Das wären mehr als 16 Millionen Tickets.
Der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) mahnt die Bundesregierung angesichts der höheren Fahrgastzahlen, ihr Finanzierungsversprechen für die Schiene zu halten. Nur wenn mehr Geld in die Infrastruktur investiert werde, sei die Bahn der steigenden Nachfrage gewachsen, sagte VCD-Bahnexperte Alexander Kaas Elias. „Dafür muss jetzt die von der Bundesregierung versprochene Summe von 45 Milliarden Euro bis 2027 für die Bahn vollständig gegenfinanziert werden und in die Schiene fließen“, forderte er. Der Koalitionsausschuss der Ampel-Regierung hatte im März einen Finanzbedarf in dieser Höhe bis 2027 festgestellt. Künftig sollen Einnahmen aus der LKW-Maut in die Finanzierung der Schieneninfrastruktur fließen. Das wird aber nicht reichen, um die anvisierte Summe aufzubringen.
Im ersten Halbjahr 2023 hat die Deutsche Bahn einen Umsatz von 25 Milliarden Euro gemacht, auch wegen gefallener Raten in der See- und Luftfracht sind das 11 Prozent weniger als in den ersten sechs Monaten 2022. Für das Gesamtjahr rechnet das Management mit einem Verlust von knapp einer Milliarde Euro. Zu möglichen Ticketpreiserhöhungen will sich die Deutsche Bahn erst im Herbst äußern.
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