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Datensicherheit versus PandemieschutzKuchenmathematik

Die Bundesregierung findet es okay, wenn die Polizei sich Corona-Gästelisten aus Restaurants anschaut. Diese Haltung setzt Vertrauen aufs Spiel.

Liste ausgefüllt? Und, wie heißen wir heute und was darf's vom Kuchen sein? Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Es geht in dieser Pandemie, noch viel mehr als sonst, um Vertrauen. Vertrauen, dass die Mitreisenden in der U-Bahn ihre Masken über Mund und Nase tragen. Vertrauen, dass im Fall einer Erkrankung eine adäquate medizinische Versorgung gewährleistet ist. Vertrauen, dass der:die Inhaber:in des Restaurants die Gästelisten nach der vorgeschriebenen Aufbewahrungszeit vernichtet – und zwar mit einem Aktenvernichter und nicht durchreißen und dann ab in den Papiermüll.

Für alle, denen das mit dem Vertrauen irgendwie nicht greifbar genug ist, hilft vielleicht das Bild eines Kuchens. Der Ethiker und Ökonom Nikil Mukerji hat es vergangene Woche in einem Interview mit der Zeit skizziert. Es geht folgendermaßen: Die Summe aller Freiheiten, die wir uns in der Pandemie nehmen, der Risiken, die wir eingehen – von Reisen über Maske weglassen bis hin zum Restaurantbesuch –, sind wie ein Kuchen.

Jeder bekommt ein Stück, und wenn sich eine Person ein größeres nimmt, bekommt eine andere Person ein kleineres. Was Mukerji nicht sagt, was aber folgerichtig auch mitgedacht werden muss: Es gibt Menschen, die brauchen notwendigerweise ein größeres Stück Kuchen: der Kindergärtner, die Intensivpflegerin, der:die Kassierer:in im Supermarkt, sie können nicht ganz so viel vermeiden wie andere. Also muss sich ein Teil der Menschen freiwillig für ein kleineres Stück Kuchen entscheiden. Muss, sollte – ethisch gesehen.

In diesem Sinne nehmen sich die Strafverfolgungsbehörden gerade ein deutlich zu großes Stück.

Eins ist klar: Niemand liebt die Zettel

Es geht um die Corona-Gästelisten, wobei Liste ein irreführender Begriff ist, denn Listen sollten es aus Datenschutzgründen keinesfalls sein. Sondern ein Zettel pro Person, auf den der Gast seine:ihre Kontaktdaten schreibt. Sollte sich im Nachgang jemand als Sars-CoV-2-positiv herausstellen, der:die sich gleichzeitig dort aufgehalten hat, können so alle potenziellen Kontaktpersonen informiert werden.

So die Idee. Toll findet die ­Zettel niemand, weder Lokal-In­ha­ber:innen (noch mehr Bürokratie!) noch die Gäste (was geht die meine Adresse an?) und schon gar nicht Datenschützer:innen (Schleswig-Holstein meldet bereits eine dreistellige Zahl an Beschwerden). Sie sind aber im Sinne der Pandemiebekämpfung tatsächlich sinnvoll, zumindest solange niemand auf eine bessere Idee kommt.

Hey, will man da rufen, denkt ihr wirklich nur bis zum nächsten Paragrafen?

Wäre da nicht ein Problem: die Strafverfolgungsbehörden. Die finden die Listen nämlich richtig toll. Ob Drogenkriminialität oder Diebstahl – sie bedienen sich munter an den Zettelstapeln. Jetzt auch mit dem Segen der Bundesregierung. Das Justizministerium hat nämlich in einer Antwort auf die Anfrage des FDP-Abgeordneten Marcel Klinge mitgeteilt: „Die Verwendung der Daten durch Ermittlungsbehörden zur Aufklärung von Straftaten begegnet aus Sicht der Bundesregierung keinen Bedenken“, und, jetzt kommt der zweite, mindestens genauso entscheidende Teil: „wenn und soweit die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden.“

Hey, will man da rufen, denkt ihr wirklich nur bis zum nächsten Paragrafen? Es geht hier, in der Pandemie, doch genau darum, das Mögliche und Erlaubte vielleicht nicht bis an die Grenze auszureizen. Sondern darauf zu achten: Ist das eigene Kuchenstück größenmäßig noch im Verhältnis? Zu den anderen Stücken – und zur Gesamtgröße?

Denn natürlich bekommen Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf die Restaurantkontakte, wenn sie es wollen. Ist, wenn sie das richtig angehen, meist auch nicht illegal. Aber unklug. Denn die Folge ist doch: Noch mehr Menschen schreiben „John Doe“ oder „Lise Mustermann“ auf den Zettel. Das ist super im Sinne des Datenschutzes, aber Mist im Sinne der Pandemiebekämpfung.

Die Strafverfolgungsbehörden sind also nicht willens oder nicht in der Lage, die Größe ihres Kuchenstücks zu erkennen. Daher braucht es eine gesetzliche Regelung, die die Strafverfolger:innen beschränkt. Gegenüber den Bür­ger:in­nen wird das schließlich genau so gemacht, wenn deren Kuchenhunger zu groß ist. Und der gesellschaftliche Preis dafür, dass aus berechtigtem Vertrauensmangel viele Menschen nicht (mehr) bereit sind, ihre Daten anzugeben, wird zu hoch werden. Spätestens dann, wenn die Infektionszahlen so stark steigen, dass wieder eine Schließung von Lokalen zur Debatte steht.

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5 Kommentare

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  • danke. super zusammengefasst.

  • Man muss nun schon ein gewisses Verständnis aufbringen, wenn bei solchen Listen auch mal geflunkert wird - gerade was Name & Anschrift angeht. Solange die Weiterverwendung dermaßen unklar ist, muss mit solch unschönen Reaktionen halt gerechnet werden.

  • Die Forderungen zu den Gästedaten sind prinzipiell schon richtig, aber wenn man sich schon über Verhältnismäßigkeit Gedanken macht, sollte man dabei auch nicht übersehen, dass die Verwendung dieser Daten im Rahmen der StPO sich in Relation zu allerlei anderen Entwicklungen und Zugriffsmöglichkeiten der Behörden die entweder schon längst gängig praktiziert oder geplant und gefordert werden eher Kleinkram ist. Etwa die immer noch als - derzeit ausgesetztes - Gesetz bestehende Vorratsdatenspeicherung, die sukzessive Umwandlung der Steuer-ID in ein allgemeines Personenkennzeichen, die immer weiter um sich greifende Kameraüberwachung des öffentlichen Raumes, bei der es wohl nur noch eine Frage der Zeit ist bis diese mit Gesichtserkennung und Fahndungslistenabgleich in Echtzeit ausgestattet sein werden, Funkzellenabfragen als reguläres Ermittlungsinstrument schon bei relativ unbedeutenden Delikten (in über der Hälfte der Fälle geht es lediglich um Diebstahl).



    Es gibt also mehr als genug Gründe Praxis und Befugnisse der Polizei gegenüber Datenschutz, Persönlichkeits- und Freiheitsrechten abzuwägen, dass sich dies nun ausgerechnet an den Gästedaten kristallisiert dürfte wohl vor Allem damit zu tun haben, dass diese sicht- und greifbar sind. Wären die Leute gezwungen jeden Aufruf einer Website manuell bei der örtlichen Wache mitzuteilen oder würden jedesmal wenn sie von einer Kamera aufgezeichnet werden darüber zB per SMS informiert (was eine zwei- bis dreistellige Anzahl am Tag sein dürfte), wäre auch hier der Widerstand größer.

    • @Ingo Bernable:

      Ich verstehe, was du meinst.



      Aber für mich heißt das lange nicht, dass man die Polizei dafür nicht kritisieren soll.

    • @Ingo Bernable:

      So ist es.

      Ich kann die Aufregung über die Gästelisten nicht verstehen, denn sie richtig sich gegen eine Mücke, neben der ein Elefant steht.

      Herr Spahn tritt den Datenschutz im Gesundheitswesen in nie gekannten Ausmaß mit Füßen, und zwar durch mehrere Gesetze, die parlamentarische Mehrheiten beschlossen haben. Das betrifft teils alle gesetzlich Krankenversicherten, teils alle, die Implantate benötigen. CDU und SPD ziehen das Ding durch, die Opposition murrt nur, statt die Öffentlichkeit zu mobilisieren.

      Darüber gab es auch einige Zeitungsartikel, aber weit weniger als über diese lächerlichen Listen, in die sowieso jeder zweite "Donald Duck, 12345 Entenhausen" reinschreibt.

      Und wer ein Mobiltelefon im Restaurant mitführt mit einer auf sie/ihn angemeldeten SIM-Karte, ist auf dem Wege sowieso identifizierbar.

      Von der taz erwarte und erhoffe ich aufklärerischen Journalismus. Und das bedeutet in dem Fall, die Relationen zu erkennen und zu benennen. Also nicht aus einer Mücke einen Elefanten machen, während die richtigen Elefanten kaum erwähnt werden.

      Siehe u.a.

      www.heise.de/tp/fe...chutz-4556149.html

      www.heise.de/tp/fe...ickst-4863346.html