Das war die Woche in Berlin II: Rot-Rot-Grün wurde kalt erwischt
Eine umstrittene Immobilienfirma spekuliert in Berlin mit fast 4.000 Wohnungen – ohne dass die Koalition etwas davon wusste.
Man kann es nicht anders sagen: Der am Montag bekannt gewordene Verkauf von 3.900 Wohnungen an die umstrittene Deutsche Wohnen hat Rot-Rot-Grün kalt erwischt. Selbst am Ende der Woche hatten sich die Koalitionäre aus SPD, Linken und Grünen nicht wieder berappelt.
Weder die betreffenden Bezirksämter noch Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) hatten von dem Deal, mit dem die Heuschrecke Deutsche Wohnen ihren Bestand auf 111.000 Wohnungen in Berlin erhöht, Wind bekommen. Das hatte Lompscher am Mittwoch im Bauausschuss des Abgeordnetenhauses bestätigt. Denn bei dem Verkauf handelt es sich um einen sogenannten Share Deal. Bei dem werden keine einzelnen Grundstücke verkauft, sondern nur Gesellschaftsanteile der jeweiligen Eigentümergesellschaften.
Man kann es auch anders sagen: Die Deutsche Wohnen dealt mit Häusern und Menschen in einer Art Darknet des Immobilienmarkts. Nicht nur müssen die Käufer keine Steuern zahlen, auch bekommt niemand mit, was da über den Tisch geht. Dass der Deal überhaupt bekannt wurde, lag einzig an der Deutschen Wohnen selbst, die ihn ihren Anlegern (nicht der Berliner Politik) mitgeteilt hat.
Was das im Einzelnen bedeutet, zeigt sich in Neukölln, wo die Weserstraße 53 an die Deutsche Wohnen verkauft wurde. Wie der Neuköllner Baustadtrat Jochen Biedermann der taz mitteilte, sei in seiner Verwaltung kein einziger Vorgang bezüglich des Verkaufs aufgetaucht. Damit ist auch nicht möglich, was Aktivisten und R2G als neues Instrument preisen: Die Spekulation einzudämmen, indem die Bezirke wenigstens in den Milieuschutzgebieten ihr Vorkaufsrecht bei Verkäufen wahrnehmen. Bei der Weserstraße 53, so Biedermann, besteht „seitens des Bezirks weder Genehmigungspflicht noch ein Vorkaufsrecht“.
Noch ist der Deal nicht unterschrieben. Erst im zweiten Quartal 2017 soll es so weit sein. Ein bisschen Zeit hat Rot-Rot-Grün noch, sich was zu überlegen. Aber wahrscheinlich wird es so sein wie immer. Die Spekulanten nutzen die Schlupflöcher, bevor sie die Politik schließt. Keine guten Aussichten.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung