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„Das ist gerade ein absoluter Rutsch“

Das Kurzarbeitergeld soll Entlassungen vermeiden. Doch für einige Betroffene ist es schwierig, mit dem Verdienstausfall zurechtzukommen

Foto: Peter Hiltmann

Katharina Lorenz

48, ist Beraterin für Sozialrecht beim Sozialverband Niedersachsen.

Interview Teresa Wolny

taz: Frau Lorenz, welche Fragen beantworten Sie in der Beratung zur Kurzarbeit gerade besonders oft?

Katharina Lorenz: Die Anfragen beziehen sich oft darauf, ob die Höhe des Kurzarbeitergeldes korrekt ist und was es für Möglichkeiten gibt, wenn das Geld nicht reicht. Auch, ob man bestimmte Prämien oder Urlaubsgeld anrechnen kann, wird häufig gefragt.

Und, kann man?

Nein, einmalige Beträge wie Urlaubsgeld, das viele jetzt im Mai bekommen, spielen für das Nettogehalt, aus dem das Kurzarbeitergeld errechnet wird, keine Rolle. Schichtzulagen, etwa bei Nachtschicht, werden aber schon berücksichtigt.

Wenn Sie an Anfang März zurückdenken – wie fällt aus Ihrer Sicht die Zwischenbilanz der Kurzarbeitsregelungen aus?

Besonders wenn man als Vergleich auf andere Länder schaut, ist es gut, dass es diese Regelungen hier gibt. Sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite sind sie eine Erleichterung, die bei vorübergehendem Arbeitsausfall Entlassungen vermeiden kann. Für wen die Leistungen wie stark gekürzt werden, kommt dabei auf den Ausfall der Arbeit an. In der Gastronomie wird der Koch vielleicht noch gebraucht, für das Servicepersonal muss aber Kurzarbeit beantragt werden. Bei wenig Ausfall ist die Regelung oft zu verkraften, aber für viele, die auf das Kurzarbeitergeld angewiesen sind, ist das gerade ein absoluter Rutsch.

Was bedeutet das konkret?

Mit 60 Prozent des Nettolohns ohne, und 67 Prozent mit Kind ist dieser Betrag oft nicht hoch. Es ist gut, dass dieser Satz auf 80 und 87 Prozent erhöht wird, allerdings hätten wir vom Sozialverband uns gewünscht, dass das ab dem ersten Tag passiert und nicht erst nach vier Monaten.

Was passiert mit den vielen Minijobber:innen etwa in der Gastronomie?

Kurzarbeitergeld kann nur an sozialversicherungspflichtige Angestellte gezahlt werden, also auch an Zeitarbeiter:innen und Auszubildende. Minijobber:innen haben darauf keinen Anspruch, denn sie haben gar keine andere Wahl, als auf den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zu verzichten – die Konstruktion des Minijobs ist ja gerade, dass keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden. Das ist vom Gesetzgeber damals auch so gewollt gewesen: Die Arbeitgeberseite übernimmt zwar einen pauschalen Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung, daraus folgt aber keine Absicherung für Minijobber:innen. Da beide Seiten nicht zur Arbeitslosenversicherung beitragen, besteht auch kein Anspruch auf Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld. Das ist ein großes Problem, denn wenn in einer Familie auf der einen Seite der Minijob wegfällt und die andere in Kurzarbeit gehen muss, fehlen schnell mal 1.000 Euro monatlich und es wird eng.

Was also tun, wenn 60 Prozent Nettolohn nicht reichen?

Zum einen kann man durch Nebenjobs aufstocken. Allerdings muss man eine solche Job auch erst einmal finden. Im Supermarkt Regale aufstocken ist das eine, bei spezialisierteren Berufen wird es schon schwieriger. Dann gibt es natürlich das Arbeitslosengeld II, also Hartz IV, das auch für Soloselbstständige die erste Empfehlung ist. Manchmal kann aber auch der Kinderzuschlag sinnvoller sein, das ist sehr individuell. Auch an das Wohngeld, das es sowohl für Mieter:innen als auch für Eigentümer:innen gibt, wird oft nicht gedacht, deshalb ist die Beratung so wichtig.

Wie funktioniert der Kinderzuschlag?

Der Kinderzuschlag ist recht kompliziert und viele Familien haben deshalb Probleme, ihn zu beantragen. Eigentlich müsste beim Antrag auf ALG II beim Jobcenter immer geprüft werden, ob der Kinderzuschlag nicht die bessere Alternative wäre. Ob das tatsächlich getan wird, kommt aber oft auf den oder die Sachbearbeiter:in an. Dieser Zuschlag ist eigentlich eine gute Sache, in der Praxis für Laien aber schwer durchschaubar. Der Antrag muss etwa nicht ans Jobcenter, sondern an die Familienkasse gestellt werden, und zwar alle sechs Monate neu.

Wie bewerten Sie diese Komplexität?

Ich finde es unsinnig, dass es in Deutschland so viele Leistungen gibt, bei denen man als Laie gar nicht durchsteigt. Um sich in diesem Dschungel von Leistungen zurechtzufinden, braucht man fast immer professionelle Hilfe. Und obwohl die zuständigen Stellen eine Auskunftspflicht haben, sind Menschen, die in die Beratung kommen, oft genervt von falschen Auskünften. Leute in prekären Situation sind dabei oft überfordert und fühlen sich als Bittsteller. Deswegen haben wir in der Beratung auch einen so hohen Zulauf.

Auch unabhängig von Corona?

Ja, wobei durch die Krise neue Gruppen dazukommen. Es melden sich auch Soloselbstständige, die jetzt vor großen finanziellen Unsicherheiten stehen. Vorher hatten wir vor allem ältere Menschen in der Beratung, die kurz vor der Rente merken, dass das Geld nicht reichen wird. Obwohl es Deutschland gerade vor der Krise wirtschaftlich gut ging, gibt es immer mehr Geringverdiener:innen, auch Familien, die in prekären Verhältnissen leben und wo es hinten und vorne nicht reicht. Bei den Menschen, die jetzt kommen, weil ein Teil des Gehalts durch die Kurzarbeit weggebrochen ist, fällt gerade ein ganzes Kartenhaus zusammen.

Muss man im Zuge der Krise Regelungen wie Kurzarbeit also nochmal überdenken?

Die Regelungen waren bisher vor allem für einzelne Betriebe, etwa in der Autoindustrie, sowie begrenzte Zeiträume gedacht. Wenn man aber bedenkt, wie die lange die jetzige Situation noch dauern könnte, sollte man durchaus überlegen, wie man mit dieser Leistung künftig umgeht, etwa bei der Höhe des Betrags. Ganz ehrlich, 60 Prozent finde ich wahnsinnig wenig. Auf der anderen Seite muss das finanziert werden. Da sehe ich ein anderes Problem: Im Moment sind die Kassen der Arbeitslosenversicherung zwar voll, die Frage ist aber, wie schnell das wieder aufgestockt werden kann.

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