Das Wesen des Saarlandes: Frohsinn und Beleidigtsein
Im Saarland feiert man schon jede eigene Teilnahme bei „DSDS“ oder beim Pfeilewerfen mit Sondersendungen. Wer man ist, weiß man aber nicht so recht.
Das Saarland muss seit jeher mit albernen Wortspielen – von „Saarabien“ bis „Saarvoir Vivre“ – und zahlreichen Superlativen des Ungenügens zurechtkommen. Es war jahrzehntelang, bevor es neue gab, das neueste Bundesland, ob Nesthäkchen, Nachzügler oder später Unfall, wer weiß das schon. Es ist das kleinste Flächenland der Republik, Ölteppiche und Waldbrände sind für gewöhnlich größer; nur Bremen hat weniger Einwohner.
Überregionale Medien widmen dem Land alle paar Jahre pflichtschuldig ein Dossier kurz vor der Landtagswahl, deren Ergebnisse am Wahlabend zu analysieren. 5 Minuten dauert – es ist Sonntag, wir müssen grillen, egal wie kalt. Die kleinste Großstadt der Welt, Saarbrücken, hat wegen ihrer Verlotterung einen kurzzeitig und hauptsächlich dort selbst aufsehenerregenden Auftritt im intellektuellen Mittelschichten-TV, worüber man noch in Jahren, auch ein bisschen stolz, reden wird.
Allenfalls die Satire scheint sich öfter mal näher mit dem Randland beschäftigen zu wollen, sei es wegen „Tatort“ oder tragikomischer Kamikazevideos eines verzweifelten Ministerpräsidenten oder wegen sagenhafter Inkompetenz bei der Zusammenstellung eines Kompetenzteams. Letzteres ist übrigens nur eine von vielen bitteren Konsequenzen der sich aufgrund seiner übersichtlichen geografischen Ausmaße natürlich ergebenden und organisch gewachsenen kurzen Wege des Landes.
In einigen Dingen fährt das Saarland aber auch im Bundesvergleich überdurchschnittliche Ergebnisse ein: Da seien nur mal die Corona-Inzidenzen, die Arbeitslosenquote, Kinderarmut und Sterneküchen genannt. Und auch die Zahl der Einkommensmillionäre scheint sich in den letzten Jahren herausragend erhöht zu haben. Dazu liegen aber keine aktuellen, belastbaren Zahlen vor. Eine der Sache angemessene Statistik auf Dünndruckpapier mit Goldschnitt in Leder gebunden wäre sehr teuer und das Saarland ist zu allem Elend auch noch arm.
Wir haben gern unsere Ruhe
Zugegebenermaßen klingt das alles weder verlockend noch einladend, was aber ganz im Sinne der Sache liegt, denn wir haben hier doch gern unsere Ruhe und bleiben unter uns, innerhalb des Doppelstabmattenzaunes, den Überblick über den Steingarten behalten wir mit der sehr beliebten Videoüberwachung. Obwohl, andererseits, einige Familien, die im frühen 17. Jahrhundert zugezogen sind, werden langsam akzeptiert. Denn natürlich sind wir weltoffen und gastfreundlich so mitten im Herzen Europas beziehungsweise knapp daneben.
Knapp neben Frankreich übrigens liegt das Saarland ja auch noch. Knapper geht es eigentlich gar nicht. Okay, Italien zum Beispiel liegt auch knapp neben Frankreich, aber das ist was ganz anderes. Mit Italien hat das Saarland nämlich kein Problem, wegen Pizzaservice und Eis und so – aber mit Frankreich. Da weiß man nie so genau, wer eigentlich wem gehört, das ging schon so oft hin und her, es sind inzwischen leider alle ein wenig verrückt geworden. Auch, weil man im angrenzenden Frankreich fast genauso fließend Deutsch spricht wie Französisch im Saarland.
Zu Baguette und Rotwein radeln
Wobei das saarländische Kabarett wiederum den französischen Akzent sehr schätzt. Da kann man schon mal verwirrt sein. Darum wurde vor einigen Jahren von der damaligen Landesregierung die „Frankreichstrategie“ ins Leben gerufen. Die wäre ja nicht notwendig, wenn man selbst Frankreich wäre. So kann man sich das seither merken. Hast du eine Frankreichstrategie, bist du Saarländer, hast du keine Strategie, bist du Franzose.
Das ist vor allem wichtig, wenn du über die Grenze radelst, um Baguette, Rotwein und Käse zu kaufen. Und Kartoffeln von der Île de Batz. Das gibt es zwar alles auch im Saarland, aber bis dahin bist du eine Stunde länger unterwegs, und dann kann man nun mal das meiste beim besten Willen nicht mehr essen. Wer übrigens mal versucht hat, im frankreichstrategischen Rahmen ein überregionales Projekt zu initiieren, merkt sehr schnell, dass er in Deutschland ist.
So idyllisch ist es nicht
Aber, mal ehrlich: Trotz materiellen und immateriellen Kulturerbes, hoher Hügel, Tälern, Wäldern, Landmarken, Aussichtsplattformen und fließenden Wassers – ganz so idyllisch ist es im Saarland natürlich nicht. Denn die Idylle setzt auch Zufriedenheit voraus, und zufrieden kann man nicht sein, bei allem, was man schon durchgemacht hat und das einem die Identität und das Selbstbewusstsein verhagelt. Man weiß nicht so recht, wer, wo und warum man ist. Und einige scheinen nicht einmal zu wissen, wann sie sind.
Während man einerseits jede Erwähnung in den überregionalen Medien, wie auch immer sie geartet sei, mit mindestens einem Beitrag im lokalen Medium an sein Volk weitergibt – ist dieses doch durch die Allgegenwart der beiden regionalen Großmedien von der Außenwelt quasi abgeschnitten – und jede saarländische Teilnahme bei „DSDS“, beim Pfeilewerfen oder Ping Pong mit Sondersendungen verziert, identifiziert man sich und stellt seine eigene Besonderheit gern dar unter Zuhilfenahme migrierter Prominenter oder durch das ungefragte Hinzuziehen jenseitiger Grenzregionen, womit eine größere Strahlkraft ins Reich entfaltet werden soll, was aber zugleich einen selbst in den Schatten und den eigenen Wert unter den Scheffel stellt.
Saarländer kommen immer zurück
Da schwächelt doch das Identitätsbewusstsein ein wenig und nicht wenige schließen daher lieber mit der Welt jenseits der Landesgrenzen ab oder werden Künstler oder Entwicklungshelfer. Manch eine bemüht dabei trotzig gar ein so perfektes Hochdeutsch, dass sie als Saarländerin nur am Zahnstatus identifiziert werden kann, oder weil sie nach langen Auswärtsjahren wieder zurückkommt. Denn Saarländer kommen immer zurück.
So mäandert man also hin und her, zwischen Bescheidenheit und Größenwahn, selbstgeschaffenen Klischees der Weltoffenheit und Eigenbrötelei, Frohsinn und Beleidigtsein und es überrascht letztlich nicht, dass das Saarland-Marketing sein Credo „Großes entsteht immer im Kleinen“ gar nicht mal selbstironisch meint. Und, übrigens, die Saarländische Unabhängigkeitsbewegung gibt es nicht wirklich. Auch wenn das vielerorts, und auch jenseits der Landesgrenzen, bedauert wird.
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