Das Jahr: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
2013? Na ja. 2014? Geht so. 2015? Hmm. 2016? Ach. Aber freuen Sie sich auf 2017 – da wird die Bundestagswahl richtig spannend!
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht 2013?
Friedrich Küppersbusch: 2013 war Wiedergänger von 1994 – 98, als Kohl endgültig Möbel geworden war und man höflich unregiert seiner Abholung in den Antikmarkt entgegenschlief.
Und was wird besser 2014?
Realität gegen Koalitionsvertrag. Ich wette 50 Euro auf Realität.
Papst Benedikt geht, Edward Snowden enthüllt, die Arbeitslosenquote in der Eurozone erreicht ein Rekordhoch. Wäre doch mal Zeit für eine globale Revolution?
Sie kriegen aber auch nie genug! War doch gerade!? Was Sie beschreiben, ist der dicke Kater nach der neoliberalen Trunkenheitsfahrt! Der Kapitalismus hat soeben weltweit Revolution gemacht und wird als Bioprodukt „westliche Demokratie“ auch den Letzten aufs Auge gedrückt. Päpstliche Innerlichkeit, harmloses Internet und tüchtige Euros sind die alchimistischen Tinkturen, mit denen wir uns das schöntrinken. Wir, besonders Deutschland, sind Nutznießer dieser Revolution, und da wir gute Demokraten sind, verbringen wir viel Zeit damit, uns die Laterne auszusuchen, an der wir baumeln wollen.
Miley Cyrus leckt am Hammer, Gérard Dépardieu wird Russe und Bushido stellt der Mafia eine Generalvollmacht aus. Warum faszinieren uns diese Durchgeknallten?
Weil wir keine besseren haben. Es wird also höchste Zeit für die „Thilo-Sarrazin-Hochschule für angewandte Eigenbürzelverehrung“! Mit einem Fachstudium Feindbildhauerei (Alice-Schwarzer-Fakultät), dem „Broder-Stipendium“ für nachgewiesen schwere Fälle von Stattfindekrankheit und Peer Steinbrücks „Masterclass of fatnapping by intuition“.
Erdogan lässt die Gezi-Bewegung aus dem Park prügeln, Putin lässt Greenpeace-Aktivisten verhaften und Assad setzt Sarin gegen das eigene Volk ein. Welchen diktatorischen Staatschef wird man schnell wieder los?
Putin hat vorerst Snowden geborgen, zur Deeskalation sowohl bei Irans Atomwaffen beigetragen als auch gegen die syrischen Giftgasverbrechen dem Kollegen Obama beigestanden. Auch aus der Erkenntnis, dass manche Gegner Assads ihm an Schurkentum gleichkommen. Erdogan schließlich ist ein Topkandidat für reuevollen Nachruhm, wenn eine Nachfolgeregierung gar nichts mehr mit EU am Fez hat. Also wenn ich wählen dürfte, würde ich statt dieser Leute lieber die Ambivalenz los.
Auch US-Präsident Obama hat dieses Jahr einige Sympathiepunkte eingebüßt, nicht zuletzt wegen der NSA-Affäre. Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff sagte ihren Washington-Besuch empört ab. Merkel hingegen sieht’s gelassen. Was steckt hinter ihrer Milde?
Ihr ist nichts Unmenschliches fremd, vulgo: Mitwisserschaft, Mittäterschaft, Mitgefühl. Ihre politischen Reaktionen wie die Forderung nach einem „europäischen Facebook“ und einem besseren Zugang zu erspitzeltem Wissen sagen: „Wenn wir es selbst machen, ist es besser.“ Der Redlichkeit halber: Es war SPD-Kanzler Schröder, der den USA nach dem 11. 9. „uneingeschränkte Solidarität“ einräumte. So sieht sie nun aus.
„GroKo“ wurde zum Wort des Jahres gewählt. Ist das nicht eine ästhetische Zumutung?
Das Wort und der Inhalt, beides. Und: egal. Merkel ist Grundlinienspielerin, sie wartet auf das, was kommt, und reagiert dann darauf. Es geht also nicht um schicke Vorhaben, sondern um die Fortsetzung des Schweigekartells aus dem Wahlkampf: Über Euro und Europa kein Wort. Immerhin hat die SPD sich für GroKo die Chance auf eine Linkskoalition gekauft und die CDU via Hessen eine auf Schwarz-Grün. Die Bundestagswahl 2013 hat die Bundestagswahl 2017 echt spannend gemacht.
Die FDP war der große Verlierer der Bundestagswahl. War Brüderles Altherrenwitz der Grund dafür?
Nein, 5 Prozent, die so was gerade dufte finden, gibt’s immer. Die Ursache der 4 Komma … diesmal sind die 15 Komma … damals. Die FDP-Fans reagierten auf die inhaltliche Implosion wie Quartalssäufer, die am nächsten Morgen alle Neigen ins Klo schütten. Grüne und AfD können sich den FDP-Wählern jetzt als besserer Schnaps andienen. Bei der FDP bewies die Generation Praktikum, dass Politik ein handwerklicher Job ist. Den sie nicht können.
Wen vermissen Sie mehr: Mandela oder Reich-Ranicki?
Dieter Hildebrandt.
Und was machen die Borussen 2014?
Über die spielfreien Feiertage hatten die Fanclubs Langeweile. Anhand der Plakate, Aufkleber und Graffiti würden Ortsfremde wohl glauben, „the Unity“ sei hier die Regierungspartei.
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