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Das Ende des INF-VertragesEuropa ist am Zug

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Die USA wollen sich aus internationalen Verpflichtungen befreien. Um einen Rüstungswettlauf zu verhindern, muss die EU eingreifen.

Wer hat die Längsten? Russland und die USA wollen lieber wieder an ihren Waffen gemessen werden Foto: ap

F ür das Ende des INF-Abkommens sind nur vordergründig die Vertragsverletzungen verantwortlich, die sich die USA und Russland gegenseitig vorwerfen. Vorwürfe, die nie eindeutig belegt oder widerlegt wurden. Auch nicht von den USA gegenüber ihren Nato-Verbündeten.

Verantwortlich ist zum einen das erklärte Bestreben der Hardliner und Amerika-first-Propagandisten in Washington, die Weltmacht USA aus den Fesseln internationaler Verträge zu befreien, die sie als „Einschränkung der nationalen Souveränität und Handlungsfreiheit“ ihres Landes denunzieren.

Dieses Bestreben könnte in den nächsten Jahren zur Zerstörung noch weiterer Rüstungskontrollverträge führen. Der zweite Faktor ist der gemeinsame Wunsch in Washington und Moskau, Staaten, die seit Abschluss des INF-Vertrages 1987 in den Besitz von Mittelstreckenraketen gelangt sind, in ein Abkommen zum Verbot dieser Waffensysteme einzubinden. Wobei die Trump-Administration selektiv nur die drei „Schurkenstaaten“ Iran, Nordkorea und China im Auge hat, die Regierung Putin hingegen auch Israel, Indien, Pakistan und Südkorea.

Die Bundesregierung in der Verantwortung

Da diese insgesamt sieben Staaten mit ihren Mittelstreckenenraketen ausschließlich das Territorium Russlands erreichen können, nicht aber das Festland der USA, hat Moskau auch das relativ größere Interesse an einem multilateralen Abkommen mit im besten Fall weltweiter Gültigkeit.

Der richtige Ort für entsprechende Verhandlungen wäre die ständige Abrüstungskonferenz der UNO in Genf. Dort wurde unter anderem 1993 das weltweite Verbot von Chemiewaffen vereinbart zu einem Zeitpunkt, als lediglich 15 Staaten der Erde über der­artige Massenvernichtungsmittel verfügten.

Wenn die Bundesregierung, wie sie behauptet, einen neuen atomaren Rüstungswettlauf in Europa verhindern will, dann sollte sie gemeinsam mit anderen Regierungen umgehend eine Initiative zur Aufnahme von Verhandlungen in der UNO-Abrüstungskonferenz ergreifen.

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Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
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5 Kommentare

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  • Ja Herr Zumach ! Ich werte ihren Text als eine art Appell an `die Welt´!!



    Auch , weil im Lichte des "Wohlstands der Nationen" (die die Welt bestimmen..) die grausige Vision eines Atomkrieges , im Namen von Ideologie und Ökonomie sehr reduziert ist.



    Die Bedrohung der Weltexistenz durch alleszerstörenden Krieg erscheint mir sehr sekundarisiert !



    Die "neue Bedrohung" der Welt ist durch die unüberschaubare Klimaveränderung , wodurch Teile der tropischen Regionen unbewohnbar werden..



    Die bisher ökologisch global unverträgliche industrielle Wohlstandskultur von Naturausbeutung bis zum `geht nicht mehr´ muss UMDENKEN !



    Die historisch gegebene Kultur des Militärs, der Waffentechnologie, der Möglichkeiten des Krieges .. als Werkzeuge politischer und ökonomischer Interessen .. ist m.E. durch die ansteigende Klimakrise im Lichte von Absurdität..



    Die U.N.O. gewinnt neue Bedeutung zur Meisterung der Klimakrise..

  • Man kann über Atombomben denken was man will allerdings hat die Politik der nuklearen Abschreckung irgendwo dann doch funktioniert und uns knapp 50 Jahre Frieden in Europa beschert.

    Ich bin mir jedenfalls sicher dass auf der Krim keine grünen Männchen aufgetaucht wären hätte diese die Ukraine damals nicht gegen die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen abgegeben.

    Auch Indien und Pakistan wären wohl schon lange im Krieg wenn beide keine Nuklearmächte wären.

    Und wie wir von Streubomben und Co. wissen ist die UNO auch kein Allheilmittel. Ich bin auch strikt dagegen dass Atomwaffen nur einige privilegierte Nationen besitzen dürfen.

    Deshalb wäre meine Idee eher komplettes Verbot (der sich nicht umsetzen lässt) oder eine Förderung der Abwehrfähigkeiten (möglicherweise auch mit Bündnispflicht) jedes Unterzeichners um solche Waffen einmal überflüssig zu machen, eg. Planetarer Staatenunabhängiger Verteidigungsschirm.

  • Die USA werden mit ihrem jetzigen Präsidenten kein wie auch immer geartetes Waffenabkommen abschließen.

    Russland wird hingegen kein Abkommen abschließen, wenn die USA nicht dabei sind.

    Insoweit wird es zumindest derzeit kein Folgeabkommen geben.

    Weshalb sieht der Autor Europa jetzt am Zug? Man macht sich doch nur lächerlich, wenn man sich um ein von Anfang an aussichtsloses Abkommen einsetzt. Da kann man mit der begrenzten Lebenszeit besseres tun.

  • Eine Verletzung des INF-Vertrags durch neue Waffensysteme, die nominell nur maximal 500 km Reichweite haben, möglicherweise eine Atombombe aber ca. 2000 km weit tragen , ist keine Kleinigkeit. Öffentliche Beweise sind in diesem Bereich notorisch schwer zu haben.

    Die Obama-Regierung hat deshalb 2014 mehrere Gespräche mit der russischen Seite geführt. Im Gegensatz zu Trump allerdings weniger öffentlich.

    "Da diese insgesamt sieben Staaten mit ihren Mittelstreckenenraketen ausschließlich das Territorium Russlands erreichen können, nicht aber das Festland der USA, hat Moskau auch das relativ größere Interesse an einem multilateralen Abkommen mit im besten Fall weltweiter Gültigkeit."

    Das klingt sehr naiv. Natürlich haben Russland und die USA ein Interesse an einem solchen Vertrag - aber noch ein viel stärkeres, wenn der Vertrag für sie von Vorteil ist. Deshalb unterstelle ich der russischen Aussenpolitik durchaus Bereritschaft sich (vorzugsweise bilateral) mit den entsprechenden Ländern zu arrangieren, aber aus einer Position der Stärke heraus. Mit einem hochmodernen Raketensystem, die Kurzstrechenwaffen genannt werden, aber dennoch Mittelstreckenwaffen sind, geht das ganz gut.

  • Zitat: „Vorwürfe, die nie eindeutig belegt oder widerlegt wurden. Auch nicht von den USA gegenüber ihren Nato-Verbündeten.“

    Seit wann müssen denn Machthaber ihre Vorwürfe begründen?

    Der „Witz“ an der Macht ist ja gerade, dass man nichts zu begründen braucht. Man kann sich etwas „wünschen“ und bei den Adressaten seines Wunsches kommt automatisch ein Befehl an. Einer, dem zu gehorchen ist. Weil: Man weiß ja schließlich, wozu die Leute fähig sind. Auch, wenn man ihnen keine Chance gegeben hat, es zu beweisen.

    Auch für die taz war „die USA“ sehr lange eine „Führungsmacht“. Eine, von der man sich sehr viel erhofft hatte, weil irgendwann mal irgendwer gerüchteweise ausrichten hat lassen, die USA wären ein Hort der Freiheit. So, wie „die Sowjetunion“ angeblich ein Hort der Gerechtigkeit war. Von einem „Hort der Gerechtigkeit“ aber lässt man sich gerne nötigen. Denn wenn man glauben darf, dass man der Freiheit dient, ist das ein sehr schönes Gefühl. Auch, wenn man gar nicht wissen will, was ganz genau die Freiheit ist. Was ganz genau Gott ist, weiß man ja schließlich auch nicht. Und trotzdem haben Generationen von Gläubigen gern auf „ihre“ Prediger gehört. Nun ja, sie haben halt gern so getan als ob.

    Dass „die Bundesregierung […] in der Verantwortung [ist]“, scheint die ganz anders zu sehen. Welche Verantwortung hat denn ein Mündel seinem Paten gegenüber? Wohl eher keine. Außer natürlich der, zu gehorchen. Der Pate, schließlich, weiß es besser. Er ist ja schließlich größer, stärker und… äh: vernünftiger.

    Wenn es die Bundesregierung ernst meint mit ihrem (durchaus verständlichen) Wunsch, einen neuen atomaren Rüstungswettlauf in Europa zu verhindern, sollte sie gemeinsam mit anderen Regierungen umgehend etwas tun. Nur: Wer hört schon auf die Bundesregierung, wenn er auch auf "die Amis" hören kann? Ich meine: Wer hat denn nun den Längeren? Die oder wir?