Darmstadt 98 im Abstiegskampf: Die Angstfreien
Darmstadt 98 geht im Derby gegen Eintracht Frankfurt nach Rückstand und klarer Unterlegenheit ins Risiko. Das versetzt die Fans in Ekstase.
Und dann explodierte mitten im Spiel das Stadion. Zumindest benutzte Marcel Schuhen diese Wendung, als er zu beschreiben versuchte, wie es sich anfühlte, als seine Lilien nach einer Stunde den Anschlusstreffer im Hessenderby gegen Frankfurt schossen: „Das Stadion ist total explodiert. Das ist das, was wir brauchen.“
Dass es eine halbe Stunde später, als sein Team sogar ausglich, noch lauter wurde, weil viele Tausend Menschen gleichzeitig eine Urschreitherapie aufführten, kommentierte der Darmstädter Keeper dann vergleichsweise nüchtern: „Jeder hat heute das wahre Böllenfalltor gesehen. Daran messe ich die Leute auf der Tribüne jetzt auch, so, wie sie uns messen.“
Man darf vermuten, dass die Emotionen auf und neben dem Platz am Samstag auch deshalb so vehement ausfielen, weil die Gastgeber nach dem ebenso verdienten wie deutlichen 0:2-Rückstand nach Toren von Niels Nkounkou (33.) und Ansgar Knauff (51.) wohl selbst nicht mehr so recht daran glauben konnten, dass sie aus dem Spiel noch einen Zähler holen könnten.
Vor allem deshalb nicht, weil die Dramaturgie so vieler Lilien-Spiele in dieser Saison ja bekannt ist: Der Aufsteiger gibt alles, wird freundlich gelobt, muss die Punkte aber dem Gegner überlassen. Sisyphus kann eben auch ein unterfinanzierter, aber angemessen motivierter Aufsteiger sein – der Stein rollt dennoch immer wieder bergab. Aufgegeben hat der König der Korinther damals bekanntlich ebenso wenig wie das Team des Marcel Schuhen. „Beim besten Willen: Was sollen wir heute noch mehr tun? Irgendwann kommt der Moment, an dem du dir das verdienst“, sagte der am Samstag und meinte: Punkte.
Eintracht verliert Kontrolle
Wenn auch der sichtlich geknickte Gästecoach Dino Toppmöller von einer verdienten Punkteteilung sprach, war das allerdings ebenso komisch wie richtig, weil Darmstadt zwar eine Stunde lang hochenergetisch spielte, den Frankfurtern aber dennoch klar unterlegen war. Die SGE, deren Stadion 23 Kilometer vom „Bölle“ entfernt liegt, hatte das Spiel eine Stunde lang völlig im Griff und machte es den Hausherren viel schwerer als in der Vorwoche Dortmund, ein sauberes Aufbauspiel aufzuziehen.
Selten in dieser Spielzeit waren die Lilien einem Gegner so unterlegen wie in dieser ersten Stunde, in der so vieles bei der Eintracht stimmte: Neuling Saša Kalajdzič spielte zwei wirklich sensationelle Pässe, von denen einer den Führungstreffer brachte, Mario Götze gefiel als Ballverteiler, und das Kollektiv wirkte konzentriert wie ein Team, das weiß, dass hier nur eigene Fehler und Schludrigkeiten zu Punktverlusten führen können.
Umso unerklärlicher, was dann aufseiten des Favoriten nach dem von einem schlampigen Pass von Keeper Kevin Trapp begünstigten Anschlusstreffer durch Julian Justvan passierte (61.). Nämlich nichts mehr. Auf Frankfurter Seite wurden nach dem Schlusspfiff wahlweise „volle Hosen“ (Kalajdzič) oder „Passivität“ als Erklärungsansatz bemüht, um den krassen Leistungsabfall im letzten Drittel zu erklären.
„Wir hatten heute die Chance auf big points, waren dann aber viel zu passiv“, sagte Sportdirektor Markus Krösche, „wir müssen einfach aufs dritte Tor spielen.“ So sah es auch Sebastian Rode, der nach langer Verletzungspause noch zwei Minuten mitspielte und dadurch aus nächster Nähe miterleben durfte, wie Christoph Klarer in letzter Sekunde den Ausgleich schoss (90. + 5.).
Man dürfe eben keine Angst haben, etwas zu verlieren, wenn man gewinnen wolle, fand Rode. Damit sprach er, der in Seeheim-Jugenheim bei Darmstadt aufgewachsen ist, unbeabsichtigt an, was das Besondere am tapferen Aufsteiger aus dem Südhessischen ist. Er weiß, dass bei den meisten Gegnern mindestens zwei, drei Spieler sind, die zusammen den Marktwert des gesamten eigenen Kaders haben. Er weiß, dass er auch deshalb ziemlich viele der kommenden 16 Spiele verlieren wird. Vor allem aber weiß er, dass er nur dann überhaupt die Option auf Punkte hat, wenn er in jeder Partie „Alles oder nichts“ spielt. „Ergebnisunabhängig denken“, nannte Torwart Schuhen das am Samstag.
Und, nein, Angst, haben sie definitiv nicht in Darmstadt. Dafür nun aber die gleiche (magere) Punktzahl wie Mainz und Köln auf Platz 16 und 17. Und kommenden Samstag geht’s nach Köpenick. Zum drei Zähler entfernten 15., Union Berlin. Wenn sie in Darmstadt trotz ihrer mickrigen elf Zähler an den Klassenerhalt glauben, ist das also gar nicht so unrealistisch. Nach der Willensleistung vom Samstag schon mal gar nicht.
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