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Darmstadt 98 im AufstiegskampfQuantensprünge am Böllenfalltor

Darmstadt 98 kann trotz starker Konkurrenz noch aufsteigen. Verbesserte Strukturen, geschickte Transfers und der Trainer machen das möglich.

Viel Grund zum Feiern: Darmstadts Elf bedankt sich am Hamburger Millerntor bei seinen Fans Foto: Christian Charisius/dpa

Schalke-Fan müsste man sein. Nicht nur, dass die Anhänger der Gelsenkirchener bereits am vergangenen Wochenende den Aufstieg in die erste Liga feiern durften. Nein, der Spielplan sieht zum Saisonabschluss auch noch eine nette Fahrt zu jener Fanszene vor, mit der man seit Menschengedenken befreundet ist. Weshalb der 1. FC Nürnberg auch zum „Fan-Wochenende“ einlädt. Motto: „Fußball-Freundschaft-Feiern“.

Auch die Anhänger von Darmstadt 98 feiern gerne, wie die Biergartendichte in Nahdistanz zum Böllenfalltor beweist. Doch bis zum späten Sonntagnachmittag ist die Zeit der Hochrechnungen, die das Leben für viele Fußballfreunde zwischen dem 33. und 34. Spieltag ja erst so spannend macht. In Kurzform: Die Wunschvorstellung im Hessischen wären Niederlagen für Werder Bremen und den HSV bei einem zeitgleichen eigenen Sieg gegen Paderborn. Platz zwei, drei oder vier sind am Ende die Optionen.

Weshalb sie sich jetzt auch in Darmstadt rechtzeitig daran erinnert haben, dass sie seit acht Jahren mit dem Karma der Relegations-Experten herumlaufen: „Darmstadt 98 ist ein Paradebeispiel dafür, dass – wenn man an gar nichts mehr glaubt – doch noch etwas geht“, sagt der Trainer Torsten Lieberknecht. Tatsächlich gewann der damalige Drittligist 2014 die Relegation zur zweiten Liga gegen Arminia Bielefeld (1:3, 4:2). „Wir haben selbst nach der klaren Heimniederlage noch daran geglaubt, dass wir das Rückspiel ziehen“, erinnert sich der damalige Lilienspieler Jérôme Gondorf. Der heutige KSC-Kapitän war später auch dabei, als die kleinen Lilien sich von 2015 bis 2017 in der ersten Liga hielten.

Die zwei Jahre Bundesliga haben dem Verein sehr geholfen

Carsten Wehlmann, Sportdirektor

Nun, acht Jahre nach dem Relegationskrimi, ist Darmstadt 98 kaum noch wiederzuerkennen. Das grandiose, aber altersschwache „Bölle“ wurde geschleift, der Neubau ist tatsächlich gelungen. Auch rund um den Platz und im Nachwuchsbereich sind Quantensprünge zu verzeichnen. „Die zwei Jahre Bundesliga haben dem Verein sehr geholfen“, sagt Sportdirektor Carsten Wehlmann. „Nur so konnten die Strukturen aufgebaut werden, die seither geschaffen wurden.“

Auf Augenhöhe mit dem HSV und Schalke

Wehlmann, der seit 2018 die sportlichen Geschicke prägt, hat eine gute Bilanz aufzuweisen. Obwohl auch in diesem Sommer ein halbes Dutzend Stammspieler den Verein verließ, hielten die Lilien mit Großklubs wie dem HSV, Werder oder Schalke mit. Auch weil die Transferpolitik passte. Luca Pfeiffer und Phillip Tietz, die den abgewanderten Torjäger Serdar Dursun ersetzten, machen ihre Sache so gut, dass ihnen 30 der insgesamt 68 Saisontreffer gutgeschrieben werden.

Zum Saisonende könnte es nun tatsächlich ein Happy End für eine Spielzeit geben, die kaum widriger hätte beginnen können. „Zuerst ist uns eine ganze Achse an Spielern weggebrochen, die den Verein verlassen haben“, erinnert sich Wehlmann. „Und dann kam der Corona-Ausbruch und wenn du auf den Trainingsplatz geschaut hast, war plötzlich die Hälfte weg. Der Sommer war jetzt kein leichter, würde ich sagen.“

Tatsächlich gingen die ersten beiden Saisonspiele, die man mit vielen A-Jugendlichen bestritt, deutlich verloren, im Pokal scheiterte man an Drittligist 1860 München. Dann endete die Quarantäne. Und es begann das Klettern Richtung Aufstiegsränge, das erst am vergangenen Wochenende mit der Niederlage in Düsseldorf einen Dämpfer bekam.

Zudem scheint es, als hätten die Lilien nun den idealen Lilien-Trainer gefunden. Lieberknecht, der auch schon mal zehn Jahre am Stück Trainer in Braunschweig war, passt dabei offenbar ebenso gut zu Wehlmann wie zum SV Darmstadt 98.

Beide sind lockere, offene Menschen, beide fühlen sich in Vereinen wie Braunschweig, Kiel (wo Wehlmann viele Jahre wirkte) oder eben Darmstadt gut aufgehoben. Klubs also mit einer gewissen Tradition und kurzen Wegen, in denen der Mannschaftsbetreuer und die Leiterin der Personalabteilung noch die Berater in allen Lebenslagen sind. „Torsten passt hierher wie Arsch auf Eimer“, sagt Wehlmann, der „vom ersten Moment an“ gemerkt hat, dass er da einen geholt hat, der einen Draht zu Fans und Vereinsumfeld hat. Lieberknecht, der schon einen Vertrag bis 2023 hatte, haben sie nun erst mal bis 2025 gebunden.

Und selbst wenn es nichts wird mit dem Aufstieg, werden sie irgendwann kommende Woche doch leidlich zufrieden auf die vergangenen Jahre zurückblicken. Noch vor gar nicht langer Zeit spielte der Traditionsverein schließlich gegen Bad Vilbel in der Oberliga, noch 2014 war man drittklassig. „Trotz aller Ambitionen, die wir als etablierter Zweitligist haben, wissen im Verein alle, dass der Klub erst vor Kurzem auf die nationale Bühne zurückgekehrt ist“, sagt Wehlmann. Und jetzt? „Knapp 5.000 Fans waren in Düsseldorf. Jedes Spiel war bislang auch ausverkauft. Hier hat sich schon etwas entwickelt.“

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