DGB-Vorstandsmitglied über Klimawandel: „Dringlichkeit bewusst“
Anlässlich der Klimakonferenz in Madrid fordert DGB-Bundesvorstandsmitglied Stefan Körzell eine „klimaneutrale Wende“.
taz: Herr Körzell, der DGB ist regelmäßig bei den UN-Klimagipfeln vertreten, auch jetzt in Madrid. Was machen Gewerkschaften da?
Stefan Körzell: Wir haben die Forderung nach einem gerechten Strukturwandel in der Klimadiskussion verankert. Der Begriff „Just Transition“, der dafür steht, ist in die Präambel des Pariser Klimaabkommens eingeflossen. Das ist ein großer Erfolg. Die Regierungen werden sich daran messen lassen müssen, ob das gelingt. Auch dieses Mal werden wir gemeinsam mit dem Internationalen Gewerkschaftsbund eine Veranstaltung im Deutschen Pavillon der Klimakonferenz machen. Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern, auch über Europa hinaus, interessieren sich sehr für den Kohlekompromiss, den wir in Deutschland geschlossen haben.
In Deutschland ist der Kohlekompromiss, an dem Gewerkschaften, Arbeitgeber und KlimaaktivistInnen beteiligt waren, umstritten. In anderen Ländern gilt er als vorbildlich?
Ja, das ist so. Weil hier ein gesellschaftlich aufgeladenes Thema durch einen breiten gesellschaftlichen Kompromiss am Ende von vielen Gruppen erarbeitet worden ist. Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern, auch über Europa hinaus, interessieren sich sehr für den Kohlekompromiss, den wir in Deutschland geschlossen haben. Jetzt ist es an der Politik, das auch eins zu eins umzusetzen. Was nicht passieren darf, ist Kirschenpicken: dass der eine sagt, wir machen nur das, und der andere, wir machen nur das. Denn dann werden einige sagen: Das war nicht der Kompromiss, den wir ausgehandelt haben, da machen wir nicht mehr mit. Dass der Ausstieg den einen zu schnell geht und den anderen nicht schnell genug, das war zu erwarten.
Was heißt für Sie „gerechter Strukturwandel“?
Dass es beim Kampf gegen den Klimawandel auch um einen sozialen Strukturwandel geht, bei dem die Menschen mitgenommen werden, der die Regionen nicht zurücklässt. Die Erfahrungen, die wir in der Braunkohle vor allem in der Lausitz, aber auch in Teilen des Mitteldeutschen Reviers in den 90er Jahren machen mussten, dürfen sich nicht wiederholen. Wenn man es an der bisherigen Energieerzeugung festmacht, heißt das, einen Zeitpfad zu beschreiben, um aus der Verstromung von Kohle auszusteigen und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass die Menschen nicht ins Bergfreie fallen. Die Regionen, in denen es diese Veränderungen gibt, müssen sich so entwickeln können, dass sie anschließend nicht abgehängt sind. Für die Menschen muss es neue Perspektiven geben. Sie müssen das Vertrauen haben, dass auf der anderen Straßenseite etwas Neues passiert.
Wie soll das gehen?
geboren 1963, ist gelernter Maschinenschlosser und seit 2014 Mitglied im geschäftsführenden Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
Mit einem großen Wurf für eine klimaneutrale Wende. Wir haben als DGB bereits 2012 einen europäischen Marshallplan vorgeschlagen, den wir gerade mit einem stärkeren ökologischen Anspruch überarbeiten. Wir wollen 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Europa jährlich zur Verfügung stellen zur Transformation, für Bildung, Infrastruktur, Wechsel der Energiegewinnung. Wir wollen die Entscheidung über die Investitionen den jeweiligen Ländern überlassen und nicht Brüssel. Nationale Regierungen können zum Beispiel mit Geldern der EU Maßnahmen ergreifen, um sich etwa von Energieimporten unabhängig zu machen. Eine klimaneutrale Wende bringt Beschäftigung, auch im Süden Europas. Es ist dieselbe Grundausrichtung wie der European New Green Deal, den EU-Kommissionspräsidentin Ursula van der Leyen vorgeschlagen hat.
Das klingt weit weg. Was muss da passieren, wo die Menschen leben?
Wir müssen in den Regionen Transformations- und Innovationsräte bilden, unter Beteiligung lokaler Politik, Arbeitgeber, Gewerkschaften sowie der Agentur für Arbeit. Diese Räte sollten den Strukturwandel gemeinsam gestalten und umsetzen. Erste Ansätze gibt es bereits im Rheinischen Revier. Dort machen sich Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam mit der IHK Gedanken, wie der Strukturwandel aussehen könnte, wenn die Braunkohleproduktion und -verstromung zu Ende ist. Wir Gewerkschaften wollen den Strukturwandel mitgestalten. Es braucht Forschungs- und Entwicklungsstätten in diesen Regionen. Außerdem sind Investitionen in Infrastruktur und neue industrielle Wertschöpfung wichtig, sowie Qualifizierungsangebote für die Beschäftigten, damit sie eine Perspektive haben. Es gibt durchaus Regionen, in denen der Wandel geglückt ist, etwa in Aachen oder Kassel. Es gibt aber auch Regionen, etwa das nördliche Ruhrgebiet, wo es schwierig ist.
Können Sie nachvollziehen, dass UmweltaktivistInnen Gewerkschaften mitunter eher Teil des Problems als Teil der Lösung sehen, weil ihnen das Arbeitsplatzargument als Vehikel erscheint, um Klimaschutz auszubremsen?
Nein, die Sichtweise ist falsch. Man kann keinen Strukturwandel machen gegen die Beschäftigten. Man kann auch keinen Strukturwandel durchsetzen gegen die betroffenen Regionen. Der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis, hat bei den Verhandlungen um den Kohlekompromiss immer gesagt: Ich muss meinen Leuten erklären, die meiner Organisation jeden Monat Beitrag zahlen, dass ihre Arbeitsplätze wegfallen. Wir Gewerkschaften wollen gemeinsam dafür sorgen, dass etwa in der Lausitz etwas Neues entsteht und die Menschen und ihre Kinder eine neue Perspektive bekommen. Es gab Leute in der Kohlekommission, die gesagt haben: Zeigt uns doch mal die Alterspyramide der dort Beschäftigten und dann gucken wir mal, welche Ausstiegsdaten man daran festmachen kann. So nach dem Motto, dann gehen die in Rente und dann ist Feierabend. Darum geht es uns nicht.
Die Gewerkschaften haben sich lange mit dem Thema Klimaschutz schwergetan. Bei den Bundeskongressen von Verdi und der IG Metall im Herbst spielte die Klimafrage zwar eine große Rolle. Jahrelang war das aber kein Thema.
Uns ist die Dringlichkeit des Klimaschutzes bewusst. Klar ist aber auch, dass es ohne Alternativen nicht geht. Wir haben bereits schmerzhafte Prozesse hinter uns, und einen neuen durchlaufen wir gerade. Dabei gibt es höchst problematische Rückschläge: Die Photovoltaik ist ein eigenes Industriecluster gewesen in Ostdeutschland, weitgehend entwickelt in Bitterfeld, Jena und am Erfurter Kreuz. Das ist wieder weg.
Der gewerkschaftliche Organisierungsgrad war in der Photovoltaik nicht besonders hoch, oder?
Die Arbeitgeber dort haben viel dafür getan, die Gewerkschaften draußen zu halten aus den Betrieben. Als es dann eng wurde, haben sie angerufen, wir könnten doch mal gemeinsam nach Berlin fahren und demonstrieren. Sie würden die Busse bezahlen, wir sollten die Leute organisieren. Wir sind aber kein Lichtschalter, den man an- und ausknipst. Und jetzt erleben wir das Gleiche in der Windindustrie.
In der Windkraftbranche sind 60.000 Arbeitsplätze weggefallen. Im Vergleich zu dem Kampf um Jobs in der Kohleindustrie scheint der Aufschrei der Gewerkschaften hier nicht allzu laut zu sein.
Das stimmt nicht. Die IG Metall an der Küste ist sehr aktiv gewesen. Es gibt Proteste in der Region. Die IG Metall hat mit gezielten Projekten versucht, Leute gewerkschaftlich zu organisieren. Wir haben aber auch hier die Situation, dass es Unternehmen gibt, die in der Vergangenheit sehr viel eigene Energie darauf verwandt haben, Gewerkschaften aus ihren Unternehmen zu halten. Wir haben immer darauf hingewiesen, welches Potenzial in der Windkraft liegt. Wenn da jetzt einige eine Ausstiegsdebatte führen wollen, bevor wir überhaupt richtig eingestiegen sind, ist das fatal.
Welche Chancen sehen Sie in der Windkraft?
Um ein Beispiel zu nennen: In Cuxhafen habe ich mir in diesem Sommer das neue Montagewerk für Offshore-Windkraftanlagen von Siemens angeschaut. Das Werk hat 850 Arbeitsplätze. Als ich da war, gab es nicht einen einzigen Auftrag aus Deutschland. Wenn das mit dem Mindestabstandsgebot zu Siedlungen so bleibt, dann werden 40 Prozent der Fläche der Windkraft entzogen. Das halten wir für eine falsche Entwicklung. Die Großgeräte werden an der Küste gebaut, die Maschinenteile kommen oft aus Bayern und Nordrhein-Westfalen. Wir sind gerade dabei, das aufs Spiel zu setzen.
Die Autoindustrie braucht für den Bau von E-Autos ein Drittel weniger Leute als für konventionelle. Geht es den Gewerkschaften nicht nur darum, diesen Umbau so lange es geht hinauszuschieben?
Uns geht es nicht darum, das so lange wie möglich hinauszuschieben. Sondern die Frage lautet: Was sind Ersatzinvestitionen und was können die Leute künftig machen? Ein Punkt sind auch kürzere Arbeitszeiten. Vorbild könnte der Containerlogistiker Eurogate in Bremerhaven sein. Dort haben die Gewerkschaften einen Digitalisierungstarifvertrag ausgehandelt, der die Qualifizierung der Beschäftigten und eine massive Senkung der Arbeitszeit vorsieht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld