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DGB-Vorsitzende über Demo am 1. Mai„Nichts passiert von selbst“

Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat am 1. Mai nur digital demonstriert. Ein Gespräch mit der Hamburger DGB-Vorsitzenden Katja Karger.

Finden Sie den Unterschied: neu am üblichen 1. Mai-Polizeiaufgebot ist nur der Mundschutz Foto: dpa
Friederike Gräff
Interview von Friederike Gräff

taz: Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) demonstrierte am 1. Mai nicht auf der Straße, wohl aber ein antikapitalistisches-friedenspolitisches Bündnis. Empfinden Sie das als bitter, dass andere da präsent sind, Frau Karger?

Katja Karger: Nein, mal andersherum: Die gute Nachricht ist, dass der 1. Mai stattfindet. Und er findet unter den Bedingungen statt, die im Moment notwendig sind, nämlich mit Anstand Abstand zu halten. Die DGB-Gewerkschaften bringen üblicherweise 5.000 bis 6.000 Menschen in Hamburg auf die Straße und es ist vollkommen klar, dass das unter Coronabedingungen nicht geht. Deswegen haben wir uns sehr bewusst dafür entschieden, mit unserem gesamten 1.-Mai-Fest ins Netz zu gehen.

Kann man das dennoch als symbolischen Ausdruck nehmen für eine grundsätzliche Unsichtbarkeit der Gewerkschaften?

Die Gewerkschaften sind sehr sichtbar. Dass wir an einem Tag aus gesundheitlichen Gründen nicht auf der Straße sind, finde ich infam, gegen uns zu verwenden. Wir riskieren eben nicht die Gesundheit unserer Leute.

Ich meinte eher eine Unsichtbarkeit der Gewerkschaften, die als Sozialpartner in der Politik so etabliert sind, dass man sie als streitbare Kraft gar nicht mehr wahrnimmt.

Das nehme ich nicht so wahr. Mit 170.000 Mitgliedern in Hamburg sind wir immer noch sehr, sehr gut organisiert. Wir haben eine Menge Tarifabschlüsse, wir haben viele Betriebsräte in den Unternehmen. Dass wir nicht jede Woche mit einem Fahnenzug durch die Straße laufen, daran kann man Sichtbarkeit allein schlecht festmachen.

Aber bis auf wenige Sparten sinken in allen Gewerkschaften die Mitgliederzahlen.

Das ist zum Teil nicht richtig, weil es damit zu tun hat, dass wir aufgrund des demografischen Wandels einen großen Teil unserer Mitglieder bei den Senioren haben, die jetzt rausfallen. So viele junge Leute gibt es ja gar nicht mehr, die im selben Maße nachwachsen können. Wenn wir die Mitgliederzahlen bei den Beschäftigten angucken, haben wir sehr, sehr gute Zahlen, zum Beispiel bei der IG Metall auch bei den jungen Leuten. Unsere Erfahrung ist, dass es in dem Moment, in dem die Leute eine Weile in Beschäftigung sind und erleben, mit welchen Herausforderungen sie da konfrontiert sind, es sehr viele gibt, die sagen: Gewerkschaften helfen mir, wenn ich Schwierigkeiten kriege.

Bild: Peter Bisping
Im Interview: Katja Karger

50, ist seit 2013 Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Hamburg.

Also gibt es kein Problem?

Wir müssen immer wieder erklären, warum es uns gibt und warum das gut ist, aber das muss jede andere Organisation auch.

Selbst die gewerkschaftsnahe Böckler-Stiftung ruft dazu auf, eine neue Mitgliederpolitik zu betreiben und Frauen und Jüngere mehr in den Blick zu nehmen.

Jede Gewerkschaft hat eine Jugendorganisation, jede Gewerkschaft kümmert sich um die Auszubildenden und die jungen Studierenden. Jede hat einen Frauenausschuss, einen Frauenarbeitskreis, wir machen sehr viel frauenpolitische Arbeit, wir richten auch die Gewerkschaftsarbeit auf die Frauen aus. Natürlich gibt es da Sachen, die man verbessern kann, aber wir sind auf einem sehr guten Weg.

Ist – zum Glück – der Standard in Sachen Arbeitsplatzschutz und Tarifabschluss so hoch, dass viele gar keinen Handlungsbedarf für gewerkschaftliche Arbeit sehen?

Es ist für viele selbstverständlich geworden, dass es die gut abgesicherten tarifvertraglichen Arbeitsplätze gibt. Aber spätestens seit der Finanzkrise ist zumindest den Beschäftigten sehr, sehr klar, dass das nicht immer so bleiben muss.

Sind heute diejenigen, deren Arbeitsbedingungen am schlechtesten sind, etwa Schlachthofmitarbeiter, die als Leiharbeiter aus dem Ausland kommen, nicht gewerkschaftlich organisiert – und damit gar nicht Teil der Bewegung?

Das ist mir zu pauschal. Das muss man sich nach Betrieb und Branche angucken: Die Kollegen in den Schlachthöfen haben völlig andere Bedingungen und Grundlagen als die Kolleginnen in der Pflege. Bei beiden haben wir schwierige Arbeitsbedingungen und große Schwierigkeiten, eine kollektive Vertretung hinzukriegen, aber das hat völlig verschiedene Ursachen. Es ist ein emanzipatorischer Prozess und bei ganz vielen Menschen, die nicht gelernt haben, sich zu wehren, oder die fremd und unter unsäglichen Aufenthaltsbedingungen hier sind, ist vollkommen klar, dass sie sich nicht auf die Hinterbeine stellen.

Fühlen sich die Gewerkschaften nun für die prekär Beschäftigten, die eben nicht Gewerkschaftsmitglieder sind, zuständig?

Wenn sich die Menschen an uns wenden, etwa die Schlachtarbeiter in Schleswig-Holstein, müssen wir das Problem angucken und schauen, wo können wir helfen. Wir sehen, wenn wir das in die Öffentlichkeit zerren, mit den Arbeitgebern in Kontakt treten, dann passiert viel. Viele sind über die Zusammenarbeit auch Mitglieder geworden. Selbstverständlich ist die individuelle Beratung unseren Mitgliedern vorbehalten. Aber wenn wir eklatante Missstände in einer Branche sehen, werden wir natürlich aktiv.

Sie haben die Pflege angesprochen – der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen dort ist schrecklich alt. Wie optimistisch sind Sie, dass die Erfahrungen der Corona-Pandemie echte Veränderungen bringen?

Dafür werden wir sorgen müssen. Wir Gewerkschaften haben die 200 Jahre alte Erfahrung, dass wir niemals unter keinen Umständen irgendetwas geschenkt bekommen und nichts passiert von selbst. Wir freuen uns für die KollegInnen, die jetzt gesehen und anerkannt werden und die hoffentlich zumindest eine finanzielle Prämie bekommen. Aber aller Applaus nutzt ihnen nichts, wenn da nicht strukturell etwas passiert. Da werden wir für kämpfen müssen und da werden die KollegInnen für kämpfen müssen.

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