DGB, SPD und Freihandel: Geheime Gewerkschaftszweifel
Der DGB hat wenig Hoffnung, dass die SPD-Forderungen zu Ceta umgesetzt werden. Doch davon soll die Öffentlichkeit lieber nichts erfahren.
Berlin taz | Es ist ein aufschlussreiches Papier, das der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verfasst hat: Auf zwölf Seiten analysiert der Dachverband der deutschen Gewerkschaften, was der Beschluss des SPD-Konvents zum Freihandelsabkommen Ceta konkret bedeutet, wie sich die darin erhobenen Forderungen der Partei nach Ergänzungen und Klarstellungen zum Vertrag konkret umsetzen ließen – und wie die Chancen dafür stehen.
Der Anfang des Papiers, das der taz auf Englisch (pdf) vorliegt, dürfte der SPD-Spitze gefallen: Die Forderungen, die die Partei in Bezug auf das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada aufgestellt haben, „reflektieren wichtige Anforderungen der Gewerkschaften“, schreibt der DGB. „Sie könnten – wenn sie auf rechtsverbindliche und effektive Weise umgesetzt würden – dabei helfen, wichtige Probleme von Ceta zu lösen.“
Doch dass es dazu tatsächlich kommt, daran hat der DGB erhebliche Zweifel. „Die bisherigen Ankündigungen fallen dahinter zurück“, heißt es unter Verweis auf aktuelle Äußerungen aus Kanada, Brüssel und Berlin. Eine gemeinsame Erklärung von SPD-Chef Sigmar Gabriel und Kanadas Handelsministerin Crystia Freeland etwa, die beim SPD-Konvent vorgestellt wurde, enthalte keine Hinweise auf die „verbindlichen Protokolle, wie wir sie erwarten“, schreibt der DGB. Stattdessen zeigten einzelne Formulierungen „fehlendes Problembewusstsein“, andere blieben „unpräzise“.
Von dieser Einschätzung soll die Öffentlichkeit allerdings nichts erfahren. Am Montag war das Papier kurzzeitig auf der Webseite des Europäischen Gewerkschaftsbunds ETUC verlinkt, doch am Dienstagmorgen war die entsprechende Seite schon wieder verschwunden. Es handele sich um eine „interne Kommunikation, die versehentlich online gestellt wurde“, teilte das ETUC-Sekretariat auf taz-Anfrage mit. Auch eine DGB-Sprecherin erklärte, das Dokument sei ein internes Arbeitspapier, das man nicht herausgebe. Eine Begründung für die Nichtveröffentlichung gab es nicht.
„Interne Kommunikation, die versehentlich online gestellt wurde“
Die Geheimhaltung der Zweifel reiht sich aber ein in das widersprüchliche Agieren des DGB bei Ceta. Während die Gewerkschaftsbasis am 17. September noch gegen das Abkommen auf die Straße ging und forderte, Ceta im EU-Ministerrat nicht zuzustimmen, half der DGB-Vorsitzende Rainer Hoffmann SPD-Chef Gabriel, am 19. September eine Mehrheit für die Ceta-Zustimmung beim SPD-Konvent zu sichern, indem er Unterstützung für den Vorschlag der Parteiführung signalisierte.
Durch Ceta soll der Handel zwischen der EU und Kanada erleichtert werden. Kritiker befürchten allerdings eine wachsende Macht für Konzerne, weil diese gegen staatliche Entscheidungen bei einem neuen Schiedsgericht klagen können. Zudem könnten das europäischen Vorsorgeprinzip und öffentliche Dienstleistungen unter Druck geraten. Die SPD hatte sich mit knapper Mehrheit dafür ausgesprochen, dass Gabriel als Wirtschaftsminister Ceta im EU-Ministerrat zustimmen darf. Sie forderten aber, dass das Abkommen durch „rechtsverbindliche Erklärungen“ ergänzt werden soll, um Konzernklagen zu erschweren und öffentliche Dienstleistungen besser zu schützen.
Leser*innenkommentare
heino Ewerth
Wenn der Westen mit seinen gerade einmal 10% der Weltbevölkerung, weiter macht wie bisher, werden wir im Westen bald ganz andere Sorgen haben, als CETA oder über TTIP zu streiten.
Aber das scheint den meisten im Westen nicht in den Sinn zu kommen, denn sie glauben ja immer noch dem Mantra des Westens: Wir seien die ja die Guten" Das dies eine absolute Fehleinschätzung ist, und nicht nur diese, sollte eigentlich bei jedem im Westen zum Allgemeinwissen gehören. Das es nicht so ist, zeigt, das der Mainstream in der Mehrheit nicht mehr als 4. Gewalt auftritt, sondern wie der Guardian richtig formulierte: "Vom Wachhund zum Kampfhund" Wenn es anders wäre, müssten Millionen auf der Straße protestieren?
Georg Marder
Beim DGB vermisse ich, dass er eine solche Position öffentlich macht und vertritt - es sind sehr viele DGB-Mitglieder an dem CETA-Widerstand beteiligt und es wäre angemessen, dass der DGB sich hierzu bekennt und diese Interessen auch vertritt - zumindest soweit, dass er diese nun schriftlich vorliegenden nachvollziehbaren Begründungen öffentlich vertritt. Andernfalls macht er sich zum Komplizen dieser windigen SPD-Politik.
KnorkeM
wer spd wählt, macht sich schuldig in Lybien, im Irak, in Syrien, in Afganistan, in Pakistan, im Kosovo und in Bezug auf die Naturzerstörung durch multinationale Konzerne
Thiemo4
"das europäischen Vorsorgeprinzip"
Der Unsinn wird derzeit häufiger behauptet, aber wer war Vorreiter beim bleifreien Benzin, beim Katalysator, bei der Aufdeckung der Abgasbetrügereien, der Einführung von Elektro-Autos, ...?
Im Trinkwasser- und Lebensmittelbereich dasselbe. Während die USA ein in sich schlüssiges Konzept für Lebensmittel, und Trinkwasser gehört dazu, haben, herrscht in Europa die Kleinstaaterei vor. Völlig unsystematisch, mit hehren Grundsätzen und hohen Anforderungen, insbesondere in Deutschland. Die Anforderungen sind so hoch, dass kein Hersteller die erfüllt und das UBA darauf wiederum reagiert, indem man Ausnahmeregelungen trifft, natürlich zeitlich befristet. Theoretisch jedenfalls, weil was wollen die Gelehrten des UBA machen, wenn es 5 Jahren noch immer keinen Werkstoff gibt, der die hehren Grundsätze erfüllt? Die Wasserversorgung einstellen?
Georg Marder
@Thiemo4 Es geht nicht darum, welches System man gut oder schlecht findet! Es geht darum, dass wir in Europa ein Gesetz haben, das das Vorsorgeprinzip festschreibt! An dieses Gesetz müssen sich alle halten. Eine EU-Kommission kann nicht im Rahmen eines Handelsabkommens all diese Rechte umschreiben. Umgeschrieben kann das Recht nur durch demokratische Prozesse. Ich glaube hier haben Sie was verwechselt.
Cypher
Aja, und wer war Vorreiter bei der Nahrungsmittelindustrie, bei Gentechnik, Chemie-Tierfutter, bei Fracking?
Haben Sie das Vorsorgeprinzip eigentlich überhaupt verstanden? Offensichtlicherweise nicht, ansonsten würden Sie nicht mit lauter Automobil-Erfindungen (gut wen interessiert schon ob ein Elektro-Akku wie beim "Hoverboard" explodieren kann, solange man es schnell einführt) bei gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen daherkommen. Ein fieser Mensch würde Ihnen nun mal ein ungetestetes Medikament wünschen, welches so lange am Markt verbleibt, bis die Schädlichkeit nachgewiesen ist.
XXX
Das Vorsorgeprinzip ist nicht unbedingt besser als das Nachsorgeprinzip. Aber: Die Amerikaner und Kanadier haben mit teuren Sammelklagen auch eine Möglichkeit, Unternehmen bei Fehlverhalten wirksam zu bestrafen (siehe VW). Nur wenn man uns Europäern auch diese Möglichkeit eröffnen würde (viele kleine Geschädigte tun ihre Ansprüche zusammen, und Anwälte verfechten diese gemeinsamen Ansprüche mit Beteiligung am Gewinn), erst dann sollte man anfangen zu überlegen, ob man für Waren aus Kanada auf das Vorsorgeprinzip verzichtet!
Ansonsten bleiben uns Europäern nur die Nachteile von beidem: Keine geprüfte Ware und keineMöglichkeit, um Schadenersatz zu erhalten und Unternehmen zu bestrafen.