DDR-Denkmal kommt im Heute an: Bronzekopf vor Plattenbau
Der Thälmann-Park war ein Ostberliner Vorzeigeprojekt, doch mit der Zeit verändert sich der Blick. Eine Künstlerin ordnet das Denkmal nun ein.
Es riecht nach Kaffee und nassem Stein. Ein kleiner Wagen verteilt dampfende Becher an Schaulustige. Der Bronzekoloss mit vorgeschobener Stirn und Halbglatze wird an allen Seiten von Hochhäusern überragt. Die größten von ihnen zählen 18 Balkone. Ich schaue mich um: Die frisch enthüllten roten Quader, die auf dem ehemaligen Exerzierplatz verteilt sind, wirken im Vergleich eher mickrig: Die Künstlerin Betina Kuntzsch hat damit im Auftrag des Bezirks Pankow das Thälmann-Denkmal an der Greifswalder Straße künstlerisch kommentiert.
Plötzlich weht ein Gesprächsfetzen durch die Luft: „… Konterrevolutionäre muss man verhaften!“, sagt Tankie im roten Che-Guevara-Pulli und mit Jeansweste über der Lederjacke. „Na, das hat Trotzki schon besser gemacht“, findet Piggy – ebenfalls in Lederjacke und, um das Outfit abzurunden, mit abgewetzter Schiebermütze.
Die beiden Jungs lehnen entspannt an Thälmanns Sockel und rauchen. Tankies Resozialisierungslager muss man sich übrigens weit humaner vorstellen, als die Knäste in den kapitalistischen Staaten. Sie kommen aus dem Kiez, die taz ist für sie eine Klassenverräterzeitung. Piggy und Tankie sind heute wegen der Enthüllung da. Thälmann ist für sie ein Held. „Gut zum Sitzen“, urteilt Tankie über die roten Quader.
Steigt man der Büste auf den Sockel, kann man über Bäume und Wiesen, Spazierwege und einen Spielplatz fast bis zur Wabe schauen – einer Kultureinrichtung, die abwechselnd Kino, Proberaum, Ausstellungsort und Szenetreff ist.
Gewaltige Gasometer
Zu Kuntzsch’ Quadern gehören mit einem QR-Code abrufbare Kurzfilme, die etwas über Thälmann, aber auch die Geschichte des Geländes erzählen. 1873 wurde hier die Berliner Gasanstalt eröffnet, an der die Rohre des ersten Versorgungsnetzes der Stadt zusammenliefen. In Kuntzsch’ Filmen sieht man Fotos der sechs Gasometer: kreisrunde Backsteinbauten, ungefähr so gewaltig wie die Hochhäuser, die heute an ihrer Stelle stehen.
Nach dem Krieg wurde das Gaswerk wieder aufgebaut. Es entstand die modernste Gasanlage Deutschlands. Täglich schossen etwa 150.000 Kubikmeter Gas durch die Rohre in Berliner Wohnungen. Erst 1981 erloschen die Hochöfen endgültig. Hinter dem Denkmal führen kleine Pfade durch die Bäume auf die Plattenriesen zu. Diese Wege waren nicht immer da. In Kuntzsch’ Filmen beschreibt Hardy Krause, wie er sich Anfang der 80er durch Schlamm und Schutt bis zu seiner Wohnungstür gekämpft hat. Die Gasometer waren zu diesem Zeitpunkt bereits gesprengt worden.
DDR-Flaggen auf Balkonen
Auf ihren Trümmern stampfte man zwischen 1983 und 1986 ein Vorzeigewohnprojekt für 4.000 AnwohnerInnen aus dem Boden. Viele der Trümmer wurden bei diesen Bauarbeiten einfach begraben. Bis heute reinigt ein blauer Stahltank auf dem Gelände pro Stunde 15 Kubikmeter Grundwasser.
Unter den Aufnahmen der Künstlerin findet man auch Bilder von der Eröffnung des Viertels. Horden von Thälmann-PionierInnen stehen vor dem Bronzekopf mit den streng zusammengezogenen Augenbrauen und klatschen. Aus den Fenstern und von den Balkonen der Neubauten wehen DDR-Flaggen.
Ich gehe auf die abgenutzten Gebäude zu. Wenn man unter einem der Häuser steht und nach oben guckt, kann man den Himmel nicht mehr sehen. Die Balkonkolumnen sind unbegrünt und fügen sich so gut in ihre graubraunen Fassaden ein. Viele der BewohnerInnen sind noch aus Vorwendezeiten, doch die Zusammensetzung verändert sich: Junge Familien ziehen durch den Park, obwohl es heute kalt ist.
Der Park, der Spielplatz, die Häuser: Alles wirkt irgendwie grau angestrichen. Es sieht genauso aus, wie man es sich vorstellt in einer Stadt, in der Thälmann von den meisten nicht mehr als Held verehrt wird.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau