DDR-Architekturzeichnungen: Die Subversion des Volkseigentums
Eine Berliner Ausstellung zeigt unbekannte Architekturzeichnungen aus der DDR. Sie offenbaren eine quälende Spannung zwischen Vision und Wirklichkeit.
„My home is my castle“, sagt der Engländer, aber wohl nirgends wurde dieser eherne Grundsatz zäher verteidigt als damals im Ostblock. Eine besondere Rolle im Plattenbau spielte, so vorhanden, der Balkon. Er wurde mindestens als Lagerraum, gern aber als zusätzliches Wohnzimmer genutzt. Auf der Brüstung angebrachte Fenster machten ihn nutzbar auch bei Wind und Wetter.
Dem Wunsch nach Ausbau hat der Ostberliner Architekt und Designer Lutz Brandt Gestalt gegeben und konnte seine „Balkonträumereien“, wie er selbst sie nannte, sogar als Serie „Wohnraumberatung“ in einer DDR-Illustrierten veröffentlichen. Das freilich erregte den Unmut von Funktionären, die subversiven Umgang mit Volkseigentum befürchteten. Für die Leser wirkten die liebevoll ausgestalteten Zeichnungen eher als Ventil für das, was sie in der Realität entbehren mussten.
„Pläne und Träume“ ist die derzeitige Ausstellung des Museums für Architekturzeichnung der Tchoban Foundation überschrieben, und der Untertitel „Gezeichnet in der DDR“ lässt aufhorchen. Denn dass Architekten in der DDR frei gezeichnet haben, war eher nicht bekannt; wohin hätte das auch führen sollen, wo die Masse des Bauens doch aus industriell vorgefertigtem Plattenbau bestand?
Wettbewerbe waren rar gesät
„Sonderbauvorhaben“ wie das Kulturzentrum in Dresden bekamen nur die Wenigsten als Aufgabe. Architekten arbeiteten in Kombinaten und hatten die Typenbauten an die örtlichen Gegebenheiten anzupassen. Wettbewerbe waren rar gesät. Der städtebauliche Wettbewerb für die Gestaltung von Sofia bildet ein seltenes Beispiel von internationalem Austausch; die entsprechende Planzeichnung der DDR-Einreicher dominiert die erste Museumsetage.
Die „Träume“ finden sich in der zweiten. Wolfgang Kil, Kenner der DDR-Kultur und als Architekt selbst jahrelang beim Wohnungsbaukombinat Berlin angestellt, hat gemeinsam mit Kai Drewes insbesondere das Archiv des Instituts für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner durchforstet und eine Fülle von Zeichnungen zutage gefördert, die nicht auf Realisierung angelegt waren. Oder einfach nur aufs Bewahren.
„Pläne und Träume – Gezeichnet in der DDR“. Museum für Architekturzeichnung, Berlin, bis 7. September. Katalog (Tchoban Foundation): 29 Euro
Auf den Ansichten der vom Verfall bedrohten Altbausubstanz etwa in Templin, die Hans-Dietrich Wellner Mitte der 1980er altmeisterlich aquarellierte, liegt eine leise, unübersehbare Melancholie. Ursula Strozynski gab der Großstadttristesse ebenfalls in den 1980ern in düsteren Kohlezeichnungen Ausdruck.
„Die oft quälende Spannung zwischen Vision und Wirklichkeit für sich auszugleichen, greifen dann nicht wenige zu Bleistift, Feder, Kreide, Filzstift oder Aquarellpinsel, um an möglichst heilen Häusern, Stadt- und Landschaftspanoramen ihr seelisches Gleichgewicht wiederzufinden“, urteilt Wolfgang Kil in seinem lesenswerten Katalogbeitrag.
Denn es ging dem Kuratorenduo gerade nicht um die bekannten Vorhaben und die großen Namen, nicht um Fernsehturm Berlin und Hermann Henselmann, sondern um den Alltag derer, die Zeichnen und Entwerfen gelernt hatten und ihr Potenzial dennoch nie ausschöpfen durften. Etwa Dieter Bankert, der 1968 einen in jeder Hinsicht auf Modernität getrimmten Entwurf für die Zentrale des VEB Carl Zeiss Jena wagte. Doch der Optimismus der Jahre um 1970 verflog restlos.
Ja, es gab Architekten in der DDR, ist das Fazit dieser konzentrierten Ausstellung; es gab ein weites Spektrum von beschaulicher Heimatliebe bis zu vorwärtsdrängenden Visionen. Und dazwischen die „Balkonträume“, für die es im Zweifel nicht mal Architekten brauchte, sondern nur den Mut, am sozialistischen Bestand Hand anzulegen. Heimwerken, man ahnt es, war schon immer eine gesamtdeutsche Marotte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Familienreservierungen bei der Bahn
Völlig überzogene Kritik
Eskalation in Nahost
Israel muss Irans Volk schonen
Angriff auf den Iran
Weil Israel es kann
Antimilitaristisches Aktionsnetzwerk
Der nächste Veteranentag kommt bestimmt
Debatte um Wehrpflicht
Wehret der Pflicht
Strafbarkeit von Holocaustvergleichen
Wir brauchen keine Metaphernpolizei