Cybermobbing wegen Fortnite: Ratlose Eltern
An französischen Schulen wurden gerade systematisch jüngere Schüler:innen gemobbt. Eltern aber sind noch dabei, den vorletzten Trend zu verstehen.
W ie jedes Jahr im September in Frankreich wechselten auch in diesem die Schüler:innen von der Grundschule aufs Collège. Der diesjährige Jahrgang wurde dort allerdings mit Anfeindungen und Hass der älteren Schüler:innen empfangen. Wieso? Wegen Zoffs in der Gamingszene.
Unter dem Hashtag #Anti2010 finden sich in die sozialen Netzwerke unzählige Hassnachrichten, besonders auf der Videoplattform TikTok wird den Elfjährigen vermehrt gedroht. Der Vorwurf: Die jüngeren Kinder hätten sich beim Computerspiel „Fortnite“ nicht an die Regeln gehalten und sich somit Vorteile erschlichen. Für die ältere Generation ein No-go. Der Hass geht so weit, dass sich mittlerweile Frankreichs Bildungsminister Jean-Michel Blanquer einmischte, um die Wogen zu glätten. Als Gegenaktion rief er den Hashtag #BienvenueAux2010, also „Herzlich willkommen, 2010er“, ins Leben.
Während Lehrpersonal und Eltern vor nicht allzu langer Zeit kapiert haben, dass Cybermobbing ein ernstzunehmendes Phänomen und gleichzeitig akutes Problem ist, haben sie das Ausmaß der Möglichkeiten noch lange nicht begriffen. Denn meist sind die Eltern noch damit beschäftigt, den vorletzten Trend zu verstehen, während ihre digitalen Kinder schon längst drei weiteren hinterherjagen.
Klar, ist ja auch schwierig, bei einer Generation hinterher zu kommen, die das Internet vollkommen durchdrungen hat. Nicht zuletzt wurde durch die Pandemie das komplette Leben junger Generationen ins Digitale verlagert: Seit März 2020 fand nicht nur ein Teil des Unterrichts, sondern auch das Privatleben ausschließlich im Internet statt.
Digital geht Mobbing viel einfacher
Durch die Kontaktbeschränkungen trafen sich Kinder und Jugendliche online in Chatgruppen, bei TikTok oder Instagram anstatt beim Sport oder auf einer Party. War es früher also noch wichtig, die richtigen Sneakers über den Schulhof spazieren zu führen, zählen nun vor allem Likes und Views oder eben Erfolge beim Zocken. Klar, gemobbt wurde man auch auf dem Schulhof. Digital geht es eben nur viel einfacher.
Das Bündnis gegen Cybermobbing und die Techniker Krankenkasse hatten Ende vergangenes Jahres eine Studie veröffentlicht, bei welcher 17,3 Prozent aller Schüler:innen angegeben haben, schon einmal von Cybermobbing betroffen gewesen zu sein. Das wären 2 Millionen Kinder und Jugendliche – und damit deutlich mehr als laut der Vorgängerstudie von 2017. Da waren es 12,7 Prozent.
Die Zahlen bestätigen, was längst alle wissen: Im Netz lässt es sich einfacher mobben. Da reicht ein Like bei einem fiesen Kommentar, und schon ist man ein Teil davon. Und wie löst man das Problem? Scheint die Aufgabe noch so groß: Die Eltern müssen am Ball der Zeit bleiben, denn die Kids werden im Internet bleiben. Und auch dort sollten die Erwachsenen ihrer Vorbildfunktion nachkommen. Cybermobbing und Hetze im Netz sind ja kein ausschließliches Problem der Jugend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus