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Cozy Games und KapitalismusIndoktrination per Palme

Cozy Games kommen oft antikapitalistisch daher. Dabei indoktrinieren sie uns neoliberal. Das Indie-Spiel „Tiny Bookstore“ ist dafür ein gutes Beispiel.

So gemütlich, so neoliberal: „Tiny Bookshop“ Foto: Neoludic Games

A nna hat mir eine Palmenpflanze geschenkt. Der Topf steht nun vor meinem mobilen Bücherladen. Heute verkaufe ich auf dem Flohmarkt der Kleinstadt St. Bookston. Die Sonne scheint, im Hintergrund hört man den Wind durch die Bäume rauschen, mein Anhänger ruckelt sanft, wenn Menschen ein- und ausgehen, um nach Büchern zu stöbern. Die Palme schaukelt friedlich ihre Blätter im Wind.

Anfang August ist „Tiny Bookstore“ erschienen und sammelt seither äußerst positive Rezensionen. Darin fährt man mit dem Buchladen durch die Stadt, unterhält sich mit den Bewohner:innen, gibt Buchempfehlungen ab und dekoriert geschickt den Wagen.

Die Palme zum Beispiel sieht nicht einfach nur hübsch auch. Sie bringt mir auch einen finanziellen Vorteil. Sie sorgt nämlich dafür, dass meine Chance, einen Klassiker zu verkaufen, um zwei Prozent steigt. Je länger ich meine Palme anstarre und nachdenke, desto sicherer werde ich mir: Die Palme indoktriniert mich mit neoliberaler Ideologie.

Es ist kein Zufall, dass Pflanzen so oft ein zentraler Bestandteil sogenannter „cozy Games“ sind. Diese Spiele zeichnen sich oft durch eine softe Ästhetik und ein zeitdruckfeies Spielprinzip aus. Gemein ist ihnen, dass sie ihren Spie­le­r:in­nen ein Gefühl von Sicherheit und Komfort vermitteln. Häufig geht es darum, sich um Pflanzen und Tiere zu kümmern.

Das Game

„Tiny Bookshop“ ist ein Indie-Spiel von dem Entwickler Neoludic Games. Es kostet 19,99 Euro und ist auf PC und Nintendo Switch spielbar.

Letzteres ist laut einem wissenschaftlichen Artikel aus dem Jahr 2024 eine kapitalistische Machtfantasie. Die Natur dient im Kapitalismus dazu, gebändigt, kontrolliert und ausgebeutet zu werden. Genau das tun wir in Farming-Simulatoren. Oder wenn wir Pflanzen in Töpfe setzen, vor unseren Buchladen stellen und damit unseren Umsatz steigern.

Cozy Games sind eine Form von Eskapismus. In meiner allerersten„zockerzecke“-Kolumne habe ich geschrieben, wie toll ich cozy Games finde, denn oft konstruieren sie virtuelle Welten, in denen Dinge möglich sind, die es anderswo aufgrund kapitalistischer, patriarchaler oder kolonialistischer Realitäten nicht sind – seien es Gleichberechtigung oder bezahlbarer Wohnraum. In Cozy Games sind diese basalen Bedürfnisse in der Regel gedeckt. Man darf stattdessen in einer perfekten virtuellen Welt seine Zeit dafür nutzen, sich selbst zu verwirklichen.

Dass diese kleinen Utopien wichtig sind, dabei bleibe ich. Denn mit ihnen können wir nicht nur gedanklich aus der belastenden Weltlage flüchten, sondern auch alternative Systeme erlebbar machen. Der Tiny Bookstore erhält neue Waren zum Beispiel ausschließlich über Kleinanzeigen, es sind also Secondhand-Bücher. Geile Idee!

Und doch fußt das ganze Spielprinzip darauf, möglichst viele Bücher zu verkaufen und größtmöglichen Gewinn zu erzielen, um dieses wieder in neue Ausstattung zu investieren, und so immer weiterzuwachsen. Dass alles süß und soft aussieht, ändert nicht daran, dass die kapitalistische Grundidee dahinter in der wirklichen Welt immer zu ausbeuterischen Verhältnissen führen wird. Dessen sollten wir uns bewusst sein, wenn wir uns mal wieder in unsere kleinen Utopien flüchten.

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Alexandra Hilpert
Redakteurin
Hat in Leipzig Journalismus studiert und ist seit 2022 fest bei der taz, aktuell im Online-Ressort als CvD und Nachrichtenchefin. Schreibt am liebsten über Wissenschaft, Technik und Gesellschaft, unter anderem in ihrer Kolumne Zockerzecke.
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