Covid und seine Folgen: Wenn das Virus bleibt
Die bisher größte Langzeitstudie zu Long Covid bei Kindern und Jugendlichen ist erschienen. Sie beantwortet drängende Fragen zu den Folgen des Virus.
In Supermärkten oder öffentlichen Verkehrsmitteln tragen wenige Menschen noch gelegentlich FFP2-Masken, und die Aussage „Bei uns geht grad wieder Corona rum“ hat ihren bedrohlichen Unterton verloren. Nach wie vor bedrohlich dagegen klingen die Begriffe Long- beziehungsweise Post-Covid.
Es gehört praktisch zum Allgemeinwissen, dass auch Menschen mit einer milden Corona-Infektion später noch an Nachwirkungen leiden können. Bemerkenswert dabei ist aber, wie wenig handfestes Wissen es über diese Erkrankung gibt. Eine große Frage ist die Prävalenz: Wie häufig kommen solche Beschwerden wirklich vor? Und vor allem: Wie oft sind Kinder und Jugendliche betroffen? Allmählich liefern neue Untersuchungen Antworten darauf, doch die Wissenschaft hat es dabei nicht einfach.
Long-Covid und Post-Covid sind nicht identisch
Zunächst einmal werden Long- und Post-Covid häufig als Synonym verwendet – bedeuten aber technisch gesehen unterschiedliche Dinge: Unter Long Covid versteht etwa die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) Symptome, die während oder direkt nach der Infektion auftreten und dann mehr als vier Wochen weiterbestehen. Überdauern die Beschwerden auch nach zwölf Wochen, greift die Bezeichnung Post-Covid. Selbst in wissenschaftlichen Publikationen ist das allerdings nicht immer so klar getrennt oder definiert. Im Folgenden sprechen wir von Long Covid und meinen damit länger andauernde Symptome, da der Begriff umgangssprachlich weiter verbreitet ist.
Um die Frage nach dem Auftreten bei Kindern und Jugendlichen zu klären, untersuchte eine kürzlich veröffentlichte Analyse aus England die Symptome von 11- bis 17-Jährigen zu vier Zeitpunkten: drei, sechs, zwölf und 24 Monate nach einer nachgewiesenen Infektion. Mit Daten von 12.632 Teilnehmenden ist das die bisher größte Langzeitstudie zu diesem Thema. Das Ergebnis: Rund sieben Prozent der Befragten litten zu allen Zeitpunkten an mindestens fünf Symptomen. Bei etwa 70 Prozent mit ursprünglicher Long-Covid-Erkrankung fanden sich hingegen nach 24 Monaten keine Beschwerden mehr.
„Unsere Befunde zeigen, dass sich bei Teenagern, die drei Monate nach einem positiven Test auf das Covidvirus unsere wissenschaftliche Definition für Long Covid erfüllten, die Mehrzahl nach zwei Jahren erholt hatte“, sagt Sir Terence Stephenson vom University College London, Erstautor der Studie. „Das sind gute Neuigkeiten, aber wir wollen weitere Forschung betreiben, um besser zu verstehen, warum 68 Teenager sich nicht erholt haben.“
Besonders betroffen waren in der Untersuchung ältere Kinder zwischen 15 und 17 Jahren, wenn sie mit denen zwischen 11 und 14 Jahren verglichen wurden. Zudem erkrankten Mädchen fast doppelt so oft an Long Covid als Jungen. Wer mehrfach mit SARS-CoV2 infiziert war, zeigte mehr Symptome. Eine wiederholte Ansteckung mit dem Virus kann also offenbar Long Covid begünstigen. Auffällig dabei: Ob die Kinder und Jugendlichen geimpft waren, spielte offenbar keine Rolle für die langfristigen Symptome. Impfungen können somit zwar vor einer Corona-Erkrankung schützen oder zumindest die Symptome abschwächen, gegen Long Covid wappnen sie jedoch anscheinend nicht.
Diffuse Symptome erschweren die Diagnose
Vor allem im Alltag ist die Diagnose keine einfache Sache. Für Erkrankungen gibt es in der Regel definierte Kriterien, anhand derer eine Krankheit und ihr Schweregrad eingeordnet werden können. Hier ist das anders, es hat sich noch kein einheitlicher Diagnosestandard etabliert.
Das liegt unter anderem an den diversen Beschwerden. Christa Scheidt-Nave, die das Projekt Postakute gesundheitliche Folgen von Covid-19 (Post-Covid-19) am Robert Koch-Institut leitet, erklärt das so: „Einschätzungen zur Häufigkeit von Long Covid vermitteln häufig den Eindruck, es handele sich um ein einheitliches, gut definiertes Krankheitsbild, was nicht der Fall ist. Vielmehr ist das klinische Erscheinungsbild variabel und wird nach derzeitigen Erkenntnissen sehr stark von Geschlecht, Alter, Verlauf der akuten Infektion und vorbestehenden Krankheiten beziehungsweise Krankheitsrisiken geprägt.“
Die häufigsten Symptome bei Kindern und Jugendlichen sind Müdigkeit, Schlafstörungen, Kurzatmigkeit und Kopfschmerzen. Auch kognitive Probleme wie Konzentrationsschwierigkeiten kommen oft vor. Welche Beschwerden auftreten und in welcher Intensität, ist aber sehr unterschiedlich. Zudem sind die Symptome unspezifisch. Sie könnten verschiedenste Ursachen haben und es ist schwer, sie eindeutig der Corona-Erkrankung zuzuordnen. Dennoch kann Long Covid die Lebensqualität der Betroffenen stark beeinträchtigen – und es erhöht die Gefahr einer erneuten Corona-Infektion.
Immerhin: Menschen, die nach einer ersten Ansteckung kein Long Covid bekommen hatten, zeigten auch bei weiteren Kontakten mit dem Virus ein geringeres Risiko für die Langzeitfolgen. Zudem hängt das Erkrankungsrisiko offenbar von der SARS-CoV-2-Variante ab. Bei Omicron etwa kommen andauernde Symptome seltener vor als bei früheren Varianten.
Terence Stephenson, Erstautor der Studie
Eine weitere wichtige Forschungsfrage bleibt, wodurch Long Covid überhaupt entsteht. Würde der Mechanismus entschlüsselt, könnte das bei der Prävention und der Behandlung helfen. Bisher gibt es keine endgültigen Fakten dazu, aber immerhin verschiedene Theorien.
Möglich ist etwa, dass sich auch nach der Infektion noch Viren im Körper verstecken und das Immunsystem andauernd wieder aktivieren – allerdings nicht so stark wie bei der ursprünglichen Erkrankung. So könnten chronische Entzündungsreaktionen entstehen, die den Körper schwächen und beispielsweise Nervenzellen dauerhaft schädigen. Denkbar ist auch eine Autoimmunreaktion, bei der das Immunsystem eigene Körperzellen angreift und so verschiedene Organsysteme schädigt.
Eine weitere Überlegung ist, dass die Entzündungsreaktionen für kleine Blutgerinnsel sorgen, sogenannte Microclots. Oder vielleicht bringt das Virus die Zusammensetzung im Darm durcheinander. Mittlerweile ist bekannt, dass diese „Darmflora“ einen großen Einfluss auf die körperliche und psychische Gesundheit hat. Auch auf diese Weise könnten die Symptome entstehen.
Forschende gehen derzeit davon aus, dass Kombinationen dieser Mechanismen für die Erkrankung sorgen und es nicht den einen Weg zu Long Covid gibt. Das wiederum erschwert sowohl die Forschung als auch die Behandlung.
Viele Faktoren können Long Covid auslösen
Aussichtslos ist die Lage für betroffene Familien freilich nicht. Wie die Studien zeigen, erholen sich viele Kinder und Jugendliche nach einiger Zeit wieder. Bei Patienten und Patientinnen mit schweren und anhaltenden Symptomen gibt es Möglichkeiten, mit der Erkrankung umzugehen. Das Gesundheitsministerium rät Eltern oder Sorgeberechtigten, zunächst einen Kinder- oder Hausarzt aufzusuchen, wenn sie bei ihren Kindern Long Covid vermuten. Bei Bedarf können diese die Familien an eine spezielle Schwerpunktpraxis oder eine Long-Covid-Sprechstunde verweisen.
Wichtig ist es, auch auf die psychische Gesundheit der Kinder zu achten. Das bedeutet, ihnen Trost und Unterstützung zu bieten und vor allem den Kontakt zu Gleichaltrigen zu ermöglichen, damit sie nicht vereinsamen. In manchen Fällen kann eine psychologische Betreuung sinnvoll sein.
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