Coronaregeln bei Veranstaltungen: Prinzip Hoffnung
Veranstalter und Künstler legen Konzerte in das nächste Jahr vor, auch angesichts der Verschärfung der Coronaregeln durch den Senat.
Seit eineinhalb Jahren Pandemie kennt man das Spielchen inzwischen: Popkonzerte jeglicher Couleur und Größenordnung werden verlegt, erst einmal, dann zum zweiten, dritten, vierten Mal. Berliner Konzertveranstalter waren in den letzten Monaten fast ausschließlich damit beschäftigt, ihre Acts weiter nach hinten ins Blaue hinein zu buchen, getrieben vom Prinzip Hoffnung, dass beim nächsten Termin die dann aktuelle Coronalage und die Behörden die Show endlich erlauben werden.
Seit Oktober darf in Berlins Veranstaltungsorten eigentlich wieder gerockt, geschwitzt und die Sau rausgelassen werden, als hätte es dieses Horrorvirus nie gegeben. Zumindest fast, zumindest bei 2G-Veranstaltungen, bei denen ausschließlich Geimpfte und Genesene zugelassen sind, die dafür keine Masken tragen und keinen Abstand einhalten müssen. Die große Mehrheit der Konzerte in Berlin sind 2G. Und trotzdem geht die Verschieberei vorerst fröhlich weiter. Vor allem bei den etwas größeren Veranstaltungen.
Neben Kreator und Dritte Wahl wurde ungefähr die Hälfte der bis Ende des Jahres geplanten Konzerte in der für diese maßgeschneiderten Columbiahalle, in die bis zu 3.500 Besucher und Besucherinnen passen, nun noch einmal verlegt, in das nächste Jahr. Und in der noch weit geräumigeren Max-Schmeling-Halle wurde jedes noch für 2021 anstehende Konzert verschoben.
Die Ärze hatten schon im September abgesagt
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Radek von Bronikowski, der mit seiner Agentur Greyzone den Auftritt von Dritte Wahl in Berlin geplant hatte, erklärt, dass speziell die etwas größeren Acts im Normalfall im Rahmen von Tourneen auftreten würden. Und für die brauche es Planungssicherheit. Es müsse absehbar sein, dass jeder Gig wirklich stattfinden könne, „denn es kann sich niemand leisten, einfach Urlaub zu machen, wenn es in irgendeiner Stadt dann doch nicht klappt“.
Die Ärzte etwa, Berlins ewig beliebte Band, haben im September ihre Deutschlandtournee für dieses Jahr abgesagt. Mit der Begründung, es gebe bundesweit keine einheitlichen Coronaregelungen für Konzerte und der ganze 2G-3G-Wirrwarr sei ihnen einfach zu blöd. Dann lieber nächstes Jahr. Im gesamten Veranstaltungsbusiness mangele es zudem noch an Technikern und überhaupt Fachkräften, „weil viele in andere Jobs gewechselt sind“. Ran Huber, der sich in Berlin einen guten Namen als Organisator für kleine, aber feine Konzerte gemacht hat, sagt, dass ihm eben erst ein Live-Event von den Betreibern einer Berliner Spielstätte gecancelt worden sei.
Mit der Begründung: Zu wenig Personal vorhanden. Auch 2G, das gerade überall als Problemlöser angepriesen wird, ist nicht unumstritten. Pasqual Schwarz, Booker im Kreuzberger SO36, begrüßt erst einmal, dass er bei 2G-Veranstaltungen wieder sein übliches Zuschauerkontingent ausschöpfen könne, sieht den Ausschluss Ungeimpfter, den das bedinge, aber kritisch. Nur: Was ist die Alternative? Den Laden wieder schließen. Oder 3G? „Dann aber muss das Konzert bestuhlt sein, es gilt Abstands- und Maskenpflicht.Da würde etwa ein Konzert der Punkband Peter And The Test Tube Babys keinen richtigen Spaß machen.“
Und finanziell würde sich 3G auch nicht lohnen, weil man bei bestuhlten Gigs mit Abstandspflicht die Kapazität stark herunterfahren müsse. „Bei lokalen Bands geht das vielleicht, aber nicht, wenn man auch noch Kosten für Flug und Hotel miteinkalkulieren muss.“ Neben dem Ausschluss Ungeimpfter gibt es bei 2G noch ein weiteres Problem. „Es gibt Bands, die sagen, wir stecken immer noch tief in der Pandemie und finden es nicht richtig, bei 2G aufzutreten, weil ja auch Geimpfte Überträger des Virus sein können. Hatten wir auch schon“, so Pasqual Schwarz.
Die vierte Welle rollt massiv
Und Ran Huber glaubt: „Auch vielen Konzertgängern ist 2G zu brenzlig. Die würden eher auf 3G-Shows mit Abstand und Maske gehen, weil sie sich da sicherer fühlen würden.“ Ran Huber hat schon im Juni dieses Jahres, als die meisten anderen Veranstalter sich das nicht trauten, Mini-Events organisiert. Alles unter scharfen Coronaregelungen, vieles draußen im Freien, erlaubt nur für eine sehr begrenzte Anzahl von Besuchern und Besucherinnen, ermöglicht nur durch Fördergelder. Er sagt, leichtgemacht worden sei es ihm von den Behörden dabei nicht. Wenn er auf Freiflächen im innerstädtischen Bereich etwas auf die Beine stellen wollte, habe er zu hören bekommen: Geht nicht, wegen des Lärmschutzes. „Es war total restriktiv. Kein Leben im Freien, womit man dem Ruf Berlins als Kulturstadt gerecht geworden wäre, wurde etabliert.“
Huber ist sich nicht sicher, dass man dieses Leben im Freien nicht doch noch einmal braucht. Jetzt, wo die vierte Welle immer massiver rollt. Und niemand mit Sicherheit sagen kann, dass das neu erwachte Leben in Berlins Konzerthallen nicht noch einmal Einschränkungen erfahren wird. Er mache nun erst einmal Pause. Weil er schlichtweg zu viel gearbeitet habe. „Ich bin froh, dass ich jetzt einfach nur beobachten kann, wie sich die Lage weiter entwickelt.“
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