Coronamaßnahmen auf dem Inselstaat: Australiens neue Normalität
Nicht nur wegen der geschlossenen Grenzen verzeichnet Australien kaum mehr Neuinfektionen. Dabei hilft auch eine strikte Kontaktverfolgung.
Die Luxushotelkette setzt wie alle Unterkunftsanbieter und Gastrobetriebe die Coronamaßnahmen strikt durch. Dazu gehört nicht nur die Einhaltung physischer Distanz zwischen Gästen, Bedienungspersonal und Essen. Ob im Hotel oder im Restaurant: Jeder Ankömmling muss sich mit einer App auf dem Mobiltelefon registrieren, bevor er oder sie sich setzen darf.
Mancherorts kontrollieren Angestellte, ob geschummelt wird. Beim Kulturfestival „Fringe“ in der südaustralischen Stadt Adelaide prüften jüngst Sicherheitsleute den Handybildschirm jedes einzelnen Gastes, ob dieser ein grünes Häkchen zeige. Unter 50.000 Menschen, die er und sein Team persönlich kontrolliert hätten, seien nur zwei Kneifer gewesen, so ein Sicherheitsbeamter gegenüber der taz. „Man hält sich dran, weil man weiß, dass es wichtig ist“, meint der Mittdreißiger.
Und weil es funktioniert. Seit Beginn der Pandemie verzeichnete Australien 29.357 Coronafälle, 909 Erkrankte starben. Seit Ende letzten Jahres haben die Krankenhäuser kaum noch Infizierte zu versorgen. Nur noch selten tritt ein Fall auf. In der Regel greift dann die Regierung des jeweiligen Bundeslandes sofort hart durch – selbst bei nur einer oder zwei Ansteckungen. Ein Lockdown von ein paar Tagen oder einer Woche oder mindestens eine drastische Einschränkung der Bewegungs- und Ausgehmöglichkeiten garantieren, dass sich das Virus nicht ausbreiten kann.
Wundermittel Kontaktverfolgung
Die Folgen können schwerwiegend sein. Vergangene Woche wurde nach einem positiven Test im Touristenort Byron Bay nur Stunden vor Beginn ein Musikfestival abgesagt. Tausende von Besuchern waren bereits angereist.
„Das wahre Rezept für den Erfolg ist die Kontaktverfolgung“, erklärt Raina MacIntyre, Professorin für Epidemiologie an der Universität von New South Wales in Sydney. Die Tatsache, dass Ansteckungswege dank strikter Registrierung in öffentlichen Räumen und Anlagen innerhalb von Stunden nach dem Bekanntwerden eines Falles zurückverfolgt und Verdächtige isoliert werden können, habe dazu geführt, dass Australien heutzutage „fast normal“ sei.
In öffentlichen Gebäuden wie Einkaufszentren ist das Tragen von Masken nicht vorgeschrieben und wird kaum noch gesehen. Büros und andere Arbeitsplätze funktionieren fast wie vor der Pandemie – wenn man von der konstanten Aufforderung absieht, sich die Hände zu desinfizieren und im persönlichen Kontakt Abstand von 1,5 Metern zu halten – etwa „die Länge eines Kängurus mit Schwanz“, wie Schilder erinnern.
Eine der wenigen Ausnahmen sind Flughäfen. Es herrscht Maskenpflicht vom Moment an, in dem man das Gebäude zum Einchecken betritt, bis zur Sekunde, in der man den Zielflughafen verlässt. Während des Fliegens darf die Maske „nur abgenommen werden, um zu essen oder zu trinken“, so die nette, aber bestimmte Qantas-Flugbegleiterin noch vor dem Abheben. „Denken Sie daran: Sie tun es nicht nur für sich selbst, sondern für uns alle.“
Nicht dass die Mahnung nötig wäre. Opposition gegen Coronamaßnahmen ist in Australien praktisch unbekannt. Obwohl die konservative Regierung und ihr nahestehende Medien regelmäßig versuchen, kurzfristig angeordnete Maßnahmen in sozialdemokratisch regierten Bundesländern politisch auszunutzen, steht die Mehrheit der Bevölkerung hinter den Verordnungen.
Öffnung für Touristen in weiter Ferne
Viele Australierinnen und Australier blicken mit Staunen nach Europa, wo sogenannte „Covidioten“ und Impfgegner Hand in Hand mit Neonazis gegen eine vermeintliche „Coronadiktatur“ protestieren. „Das sind doch Verrückte“, sagt die Reiseleiterin Lisa aus Adelaide, „denn sie verlängern damit ja nur das Leid von uns allen.“
Für die Reiseindustrie hat die Pandemie geradezu apokalyptische Folgen. Schon seit über einem Jahr sind die Grenzen Australiens dicht. Man darf nur mit Sonderbewilligung ausreisen und muss nach der Rückkehr drei Wochen lang in Quarantäne, auf eigene Kosten. Vor allem aber fehlten im letzten Jahr über 9 Millionen ausländische Touristen. Viele Reisebetriebe sind entweder Konkurs gegangen oder stehen vor dem Kollaps. Experten gehen davon aus, dass Australien frühestens zu Beginn nächsten Jahres seine Grenzen für den Massentourismus wieder öffnen wird – und auch dann nur für Gäste, die geimpft sind.
Epidemiologen wie Raina MacIntyre gestehen zwar, dass die Eindämmung der Pandemie auch deswegen gelingt, weil Australien eine Insel ist. Doch ohne Unterstützung der Bevölkerung für harte Lockdowns und eine konsequente Kontaktverfolgung wäre Australien nie so weit gekommen.
Am Dienstag wurde das Land von jenem Nachbarn für seine Disziplin belohnt, der eine noch striktere und ebenso erfolgreiche Anticoronapolitik betreibt. Ab Mitte dieses Monats dürfen Australierinnen und Australier im Rahmen einer „Reiseblase“ endlich wieder nach Neuseeland reisen. Ohne dort – wie bisher – zwei Wochen lang in einem Quarantänehotel ausharren zu müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind