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Coronadebatte im AbgeordnetenhausImpfstoff aus lokaler Herstellung

Senatorin Kalayci (SPD) kündigt Produktion bei Berlin Chemie an. Linke widerspricht bei Selbst-Schnelltests ihren Koalitionspartnern SPD und Grüne.

Sie kündigte lokale Impfstoffproduktion bei Berlin Chemie an: Gesundheitssenatorin Kalayci (SPD) Foto: dpa

Berlin taz | Ziemlich unterhaltsam, dieser Donnerstagmorgen im Abgeordnetenhaus. Nicht bloß, dass von der AfD plötzlich doch zu hören ist, Corona sei „eine ernst zu nehmende Viruserkrankung“ – was bislang oft ganz anders klang und für ihr Ex-Fraktions-aber-immer-noch-Parteimitglied Andreas Wild weiterhin bloß eine Grippe ist. Und auch nicht nur deshalb, weil der Kultursenator nicht gänzlich ausschließt, im Untersuchungsausschuss Gedenkstätte Hohenschönhausen vielleicht nicht richtig ausgesagt zu haben (siehe Kasten).

Fürs Überraschend-Unterhaltsame ist auch nicht allein verantwortlich, dass Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch ein Erlebnis der besonderen Art hat. Nein, Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) ist es, die am meisten hinhören lässt: Sie berichtet, die hiesige Pharmafirma Berlin Chemie sei bereit, Corona-Impfstoff zu produzieren.

Die Pandemie ist auch an diesem Tag wieder Thema der Aktuellen Stunde, der zentralen Debatte der Plenarsitzung. Die FDP-Fraktion hat das dieses Mal entscheiden dürfen, sie will über mehr Differenzierung im Kampf gegen Corona und eine andere landesweite Teststrategie reden. Ihr Fraktionschef Sebastian Czaja skizziert ein Bild von überlasteten Eltern und generell genervten Berlinern – und einem Senat, der darauf nur mit dem Prinzip „Augen zu und Lockdown“ reagiere.

Koalition uneinig bei Selbst-Tests

„Wir müssen uns eine bessere Balance zwischen Gesundheitsschutz und Freiheit erarbeiten“, sagt er – und lebt mit der Gefahr, der AfD das Wort zu reden, von der es zwischenzeitlich Zustimmung gibt. Czaja bleibt dabei nicht im politisch Vagen: Er fordert unter anderem konkret, die Schulen mit Schnelltest, FFP2-Masken und endlich einzubauenden Liftfiltern für eine Öffnung vorzubereiten und für eine Entzerrung des Unterrichts Kinos oder Hotelsäle zu nutzen.

parlament kompakt

Lederer Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) hat im Parlament Interpretationsraum gelassen, ob er als Zeuge im Untersuchungsausschuss „Gedenkstätte Hohenschönhausen“, wo es im Kern um die Trennung vom Leiter Hubertus Knabe ging, korrekt aussagte. Der Zeitung Welt zufolge war Lederer nicht wie ausgesagt erst im Januar 2018, sondern schon Ende 2017 über Vorwürfe wegen sexueller Belästigung in der Gedenkstätte informiert. Auf eine Frage der CDU-Fraktion dazu sagte er: „Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen genau das gesagt, woran ich mich erinnern kann, und ich habe dem nichts hinzuzufügen.“

CDU Lederer hatte im Mai 2020 ausgesagt. Die CDU-Fraktion drängte den Senat zu Konsequenzen, nannte Lederer in einer Pressemitteilung „Lügenbaron“ und sah einen „Fall für den Staatsanwalt.“ (sta)

Während die SPD seiner Rede jeglichen Neuigkeitswert abspricht – das meiste sei schon auf dem Weg oder beschlossen –, sieht man das bei der CDU anders, aber überraschenderweise auch bei der Linkspartei. Ihr Abgeordneter Wolfgang Albers, jahrzehntelang als Chirurg tätig, gesteht Czaja zu, die FDP greife mit dem Ruf nach einer besseren Teststrategie ein ernst zu nehmendes Thema auf: „Da rennen Sie bei uns offene Türen ein.“

Wobei „bei uns“ sich offenbar auf seine Fraktion beschränkt und nicht die rot-rot-grüne Koalition meint. Denn Albers hält wenig von dem von SPD und Grünen propagierten „Testen, testen, testen“ und das am besten noch im Selbstversuch. „Testen, testen, testen ist keine Strategie“, sagt er, das müsse gezielter sein.

Schnelltests hält er zwar für unabdingbar bei allen, die ein Pflegeheim betreten und auch bei einer Wiederöffnung der Schulen. Aber während SPD-Politiker Thomas Isenberg und vor drei Wochen an selber Stelle Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel nach Selbsttests rufen – das müsse so normal sein wie Zähneputzen oder der tägliche Coffee-to-go – sagt Albers: „Die Tests gehören nicht in die heimische Küche“, es müsse ein 4-Augen-Prinzip geben, also eine zweite Person auch beim Selbsttest dabei sein.

Den Schluss- und nachrichtlichen Höhepunkt setzt Gesundheitssenatorin Kalayci – mit Einschränkungen. Denn die berichtet zwar freudig, sie habe an diesem Morgen Regierungschef Michael Müller (SPD) informiert, „dass ich und meine Behörde in guten Gesprächen sind mit Berlin Chemie“. Das Pharmaunternehmen sei bereit, eine Impfstoffproduktion aufzubauen. Ein späteres Nachhaken in der Fragestunde des Parlaments zum Was-wann-wo-wie dieser Ankündigung bringt aber keine konkreteren Angaben.

So fehlt bloß noch die Erklärung, warum die Grünen-Abgeordnete Jarasch an diesem Donnerstag ein Erlebnis der besonderen Art hat. Nachdem sich AfD-Mitglied Andreas Wild erneut unsäglich zum Thema Corona ausgelassen hat und nahe daran ist, des Saals verwiesen zu werden, kommt er auf seine Abneigung gegen SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey zu sprechen: „Da ist mir ja Frau Jarasch lieber, die hat das Herz am rechten Fleck.“ Die trägt das, soweit das von der Pressetribüne zu sehen ist, mit Fassung – man kann sich eben seine Unterstützer nicht aussuchen.

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1 Kommentar

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  • Schöner Schreibstil!

    Hat sonn bischen was Berlinerisches.



    Spannungsbogen bis Ende gehalten.



    Das Erlebnis der dritten Art ist schön dargestellt worden!