Corona in Südafrika: Gegen Skepsis hilft kein Vakzin
Covid-Impfstoff gibt es in Südafrika inzwischen genug. Doch die Menschen halten sich zurück – das Misstrauen gegenüber dem Staat sitzt tief.
Sie sitzt mit ihrer Mitbewohnerin Nicolene auf dem Balkon ihrer Wohngemeinschaft in Kapstadt und schaut in die Abendsonne. Die 36-jährige Nicolene hat Rotwein aufgemacht. Zwischen dem Gebell der Nachbarhunde ist das Rauschen der Brandung zu hören. Der Strand liegt fünf Fußminuten entfernt. Ein guter Ort, um eine Pandemie auszusitzen in einer Stadt, in der über eine Million Menschen in Townships leben.
Seit anderthalb Jahren arbeiten beide von zu Hause, Nicolene für eine Firma im Bereich der Versicherungsmathematik, Silindile für einen Glücksspielanbieter. Gäste begrüßen sie nur per Ellbogen. Die Wohnung haben beide heute wieder nicht verlassen. „Ich kenne ein paar Leute, die an Covid gestorben sind“, sagt Nicolene. Das Impfangebot der Regierung lehnen sie und Silindile dennoch ab.
Dabei wollte Präsident Cyril Ramaphosa eigentlich eine Immunisierungsoffensive starten, jetzt wo endlich genügend Impfdosen Südafrika erreichen. 300.000 Impfungen pro Tag rief er als Ziel aus. Bis Dezember möchte das Gesundheitsministerium 70 bis 90 Prozent der erwachsenen Bevölkerung mindestens eine Dose verabreichen.
Kaum Impfungen am Wochenende
Nur zieht die Bevölkerung offenbar nicht mit. Bisher wurde lediglich an drei Tagen die Marke von 270.000 Impfungen geknackt. An den meisten Wochentagen lag sie jedoch weit darunter und sank am 13. August sogar auf nur 145.000 Impfungen. Erschwerend kommt hinzu, dass an Wochenenden kaum geimpft wird. An Samstagen und Sonntagen weist die Regierungswebseite lediglich 10.000 bis 30.000 Impfungen aus.
Es bleiben nur noch drei Monate, um die Impfquote von aktuell 23 auf die angestrebten 70 Prozent zu heben. Umfragen von mehreren Meinungsforschungsinstituten in diesem Jahr machen der Regierung wenig Mut auf Besserung. Die Umfrageergebnisse zur Impfbereitschaft schwanken zwischen 43 und 76 Prozent, insgesamt weisen sie aber auf eine ausgeprägte Impfskepsis in Südafrika hin.
„Ich bin keine Impfgegnerin“, stellt Nicolene klar. Niemand werde sie mit Parolen und Plakaten auf der Straße sehen. Tatsächlich genießen Impfungen in Südafrika eigentlich ein hohes Ansehen. Der „Wellcome Global Monitor“, eine internationale Umfrage zu Gesundheitsthemen, ermittelte 2018, dass mindestens vier von fünf Menschen in Südafrika Impfungen für sicher und auch effektiv halten. Was ist bei den Covid-19-Impfungen anders?
Nicolene und Silindile fehlen Erfahrungswerte zu langfristigen Nebenwirkungen, denen sie vertrauen können. „Ich glaube nicht, dass die Impfung momentan schon sicher ist. Ich habe das Gefühl, wir sind immer noch in einer Testphase. Ich brauche mehr Zeit“, sagt Nicolene. „Wir wissen doch gar nicht, was in dem Impfstoff ist“, ergänzt Silindile und betont, dass sie unbedingt Mutter werden wolle. „Ich habe von niemandem gehört, der sich impfen ließ, schwanger wurde und ein gesundes Kind bekommen hat.“
Rücktritt des Gesundheitsministers
Derselbe Behördenapparat, der sie momentan von der Sicherheit des Impfstoffs überzeugen will, stellt ihre Interessen als Bürgerinnen oft hintan. „Wir haben so viel Korruption in diesem Land. Es war nie anders. Da verlierst du das Vertrauen in die Menschen“, erklärt Silindile.
Erst Anfang August musste der damalige Gesundheitsminister Zweli Mkhize seinen Hut nehmen, nachdem bekannt geworden war, dass er Staatsverträge an Personen aus seinem eigenen Umfeld vergeben hatte. Noch zu Amtszeiten hatte Mkhize zur Impfung aufgerufen und die Wirksamkeit des Vakzins von Johnson & Johnson gepriesen. Er war nicht der einzige Politiker, der sich an öffentlichen Geldern zur Pandemiebekämpfung bereicherte.
Dass die Impfstoffe auch von internationalen Regierungen und Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation als sicher eingestuft und werdenden Müttern empfohlen werden, ändert die Entscheidung der beiden Südafrikanerinnen nicht.
Auch eine im Juli durchgeführte Erhebung der Universität von Johannesburg ermittelte Misstrauen in politische Institutionen als einen der wichtigsten Gründe für die Ablehnung der Covid-Impfung. Silindile gesteht, dass sie womöglich anders über die Impfung denken würde, wenn sie beispielsweise in Norwegen lebte.
Kostenloser Transport zu Impfstellen
Nicolenes Familien- und Freundeskreis befürwortet die Impfung mehrheitlich. Dagegen öffnet sich in Silindiles Familie eine Generationenschere. Ihre 26-jährige Schwester zögere, ihre Mutter und die älteren Familienmitglieder seien geimpft. „Ich glaube, junge Leute wollen die Impfung nicht, weil sie ihrer Regierung grundsätzlich misstrauen“, sagt Silindile. Der Frust sitzt tief. Denn während sich viele Politiker*innen an Steuergeldern bereichern, haben 44 Prozent der unter 35-Jährigen weder Arbeit noch sind sie in Ausbildung.
Je jünger die Befragten, desto stärker die Impfskepsis, das bekräftigen auch die Meinungsforscher*innen. Ramaphosas Regierung sollte besonders ein Trend aufhorchen lassen. Während die Impfbereitschaft generell offenbar zunimmt, sinkt sie bei den 18- bis 25-Jährigen. Für diese Altersgruppe hatte die Regierung erst am 20. August die Impfung freigegeben.
Das Gesundheitsministerium präsentierte dem Parlament nun eine Strategie, die die Nachfrage nach Impfungen erhöhen soll. Die Grundpfeiler bilden ein kostenloser Transport zu Impfstellen und eine breit angelegte Informationskampagne. Dabei soll über Kooperationen mit Tiktok-Influencern die junge Generation erreicht werden. Reicht das, um genügend Südafrikaner*innen in den nächsten Monaten von der Sicherheit der Impfung zu überzeugen?
„Ich denke, in einem Jahr verstehen wir vielleicht besser, wie die Impfung wirkt“, meint Silindile. Auch Nicolene schließt eine Impfung in nächster Zeit aus. Die Vakzine der beiden Mitbewohnerinnen werden wohl noch eine Weile ungenutzt im Kühlschrank liegen.
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